Feiern, bis der Amtsarzt kommt
Kaum durften die Clubs wieder aufmachen, mussten manche ihre Türen erneut schließen. Am 23. November trat in Berlin eine neue »Sars-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung« in Kraft. Diese sieht für die Clubs eine Kapazitätsbegrenzung auf 50 Prozent vor, hinzu kommt die 2G-plus-Regelung: Nur Genesene und Geimpfte mit einem tagesaktuellen negativen Testnachweis dürfen feiern.
»Wir würden am liebsten heute die Clubs schließen«, sagte die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) in der vorigen Woche. Das sei dringend notwendig, doch rechtlich derzeit nicht möglich. Dafür bräuchte es Änderungen im Bundesinfektionsschutzgesetz. Bei der Bund-Länder-Konferenz am 2. Dezember wurde dann beschlossen, dass Clubs bei einer Siebentageinzidenz über 350 ganz schließen müssen; am Montag betrug die Siebentageinzidenz in Berlin 341,4. Aber bereits am Freitag der vorigen Woche beschloss der Berliner Senat eine Aktualisierung der Verordnung, wonach »Tanzlustbarkeiten« in geschlossenen Räumen untersagt sind. Nur im Freien darf mit 2G-Regel getanzt werden – eine kaum vorstellbare Option im Winter.
Zwei Tage nach Bekanntgabe der neuen Verordnung kündigte das Clubkollektiv »About Blank« an, für mindestens vier Wochen in einen »solidarischen Lockdown« zu gehen.
Für einige Berliner Clubs bedeutet aber bereits die 50-Prozent-Regelung eine Partypause: Die Techno-Reihe »Synoid«, die im Club »Alte Münze« stattfinden sollte, schrieb auf Instagram, dass eine Technoparty mit nur 50 Prozent Auslastung wenig Sinn ergebe. Die Veranstalterinnen fühlten sich moralisch verpflichtet, die Ausbreitung des Virus einzudämmen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Auch im Club »About Blank« wird seit Ende November nicht getanzt. Erst Anfang November fand die langersehnte Wiederöffnung nach über anderthalb Jahren statt. Zwei Tage nach Bekanntgabe der Verordnung vom 23. November kündigte das Clubkollektiv an, für mindestens vier Wochen in einen »solidarischen Lockdown« zu gehen.
»Es ist ein logistischer Alptraum, einen Club, der so lange dicht war, für drei Wochen hoch- und nun wieder abrupt runterzufahren«, sagt Sulu Martini, ein Sprecher des »About Blank«, im Gespräch mit der Jungle World. Die Schließung erschwert auch politische Arbeit: Drei Solipartys fallen im Dezember aus. Martini kritisiert die neuen Regelungen: Für kleinere Clubs sei eine halbe Auslastung schlichtweg nicht kostendeckend. Ohnehin sei die 50-Prozent-Regelung nicht praktikabel, »weil es ja klar ist, dass die Leute sich überall da ballen, wo es ballert«.
Das zeigt exemplarisch der Club »Berghain«. Dieser hat aufgrund der neuen Verordnung zusätzliche Flächen geöffnet, die allerdings nicht bespielt werden. Offenbar soll so die Kapazität des Clubs beibehalten und die 50-Prozent-Regelung umgangen werden. Am ersten Wochenende nach dem Inkrafttreten der neuen Verordnung stand zudem auf den Armbändchen für Partygäste eine Zeile des »Querdenken«-Darlings Nena: »Komm ganz nah heran, Tanz auf dem Vulkan«. Auf eine Anfrage der Jungle World reagierte das »Berghain« nicht. Inzwischen hat auch das »Berghain« den Clubbetrieb eingestellt.
Lutz Leichsenring, der Sprecher des Vereins Clubcommission, verteidigt im Gespräch mit der Jungle World die Praxis des »Berghain«: »Das ist kein Trick, sondern ein legitimes Mittel, um mehr Fläche für jeden Gast bereitzustellen.« Zudem habe er dort »sehr strenge Zugangskontrollen« erlebt. Die Clubcommission fordere bei hohen Inzidenzen flächendeckende PCR-Tests für die Clubszene und wolle auch bessere Statistiken dazu, wie Clubs gerade zum Infektionsgeschehen beitragen: »Es ist für uns erstaunlich, dass in der Clubhauptstadt Berlin bei tagtäglichen Events die Inzidenzen und Hospitalisierungsraten vergleichsweise niedrig sind.« Auch habe die Clubcommission bereits ein erfolgreiches Pilotprojekt mit der Charité durchgeführt sowie mit Laboren PCR-Tests für 15 Euro ausgehandelt. Doch die Lage in den Krankenhäusern ist tatsächlich ernst: Alle planbaren Operationen an der Charité werden bereits verschoben und Berliner Chefärztinnen und Chefärzte raten dazu, »besonders vorsichtig zu sein« – und Drogenkonsum zu vermeiden.
In Sachsen gilt bereits seit Anfang November die 50-Prozent-Regelung für Tanzlustbarkeiten und zusätzlich auch ein Masken- und Abstandsgebot. Deshalb habe der Leipziger Club »Institut für Zukunft« (»IfZ«) seine für den 13. November geplante Wiedereröffnung absagen müssen. Das »IfZ« habe zehn Festangestellte in Kurzarbeit schicken müssen, obwohl es im Laden viel zu tun gebe, schrieb der Club auf Facebook. 80 Minijobbern habe der Club zudem kündigen müssen, noch bevor sie ihre erste Schicht antreten konnten. Alle Partys bis zum Jahresende seien nun abgesagt, 80 Künstler könnten deshalb nicht auftreten und keine Gage erhalten.
Es gibt zwar finanzielle Hilfen für Clubs, zum Beispiel aus dem Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen, diese reichen aber oft nicht aus, kritisiert Leichsenring von der Clubcommission: »Hier können nur ausbleibende Eintrittseinnahmen geltend gemacht werden, nicht Barumsätze. Diese tragen aber erheblich zur Kostendeckung in der Clubszene bei.« In Berlin laufe noch die Soforthilfe IV für kleine und mittlere Kulturbetriebe, derzeit in der sechsten Auflage, bestätigt eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Kultur und Europa der Jungle World. »Diese Unterstützung wird es geben, solange es notwendig ist«, so die Sprecherin. Bislang habe Berlin auch noch keinen Club »an die Pandemie« verloren.
Doch insbesondere Clubs wie dem »About Blank« steht ein harter Winter bevor. »Wir wissen nicht, wie lange wir im geschlossenen Zustand durchhalten können«, sagt Martini, »da die Belastbarkeit der Hilfsprogramme für die Zukunft eher wackelig ist und nach bald zwei Jahren Covid-19-Pandemie die eigenen Strukturen immer mehr zerrieben werden.« Eine Silvesterparty sei geplant und fertig gebucht, allerdings dürfte sie wohl kaum stattfinden. Andere Clubs würden offenbar gerne weiterfeiern, bis der Amtsarzt kommt.