Einschluss und Ausschluss
»Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird.« Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP verspricht nach 16 Jahren von CDU und CSU dominierter Migrationspolitik eine Wende. Beim Staatsangehörigkeitsrecht könnte es tatsächlich Fortschritte geben. Mehrfachstaatsangehörigkeiten sollen ermöglicht und Einbürgerungen erleichtert werden. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern sollen von Geburt an deutsche Staatsbürger werden können.
In der Asylpolitik vernimmt man fortschrittliche Ankündigungen, aber auch Stillstand. Die Koalition will Asylrechtsverschärfungen der vergangenen Jahre zurücknehmen. Subsidiär Geschützte sollen wieder unter denselben Voraussetzungen mit ihren Familien zusammengeführt werden können wie nach der Genfer Flüchtlingskonvention Schutzberechtigte. Die von Innenminister Horst Seehofer (CSU) eingeführten sogenannten Ankerzentren sollen abgeschafft werden, bestehen bleiben soll aber die bis zu 18monatige Isolierung in Erstaufnahmeeinrichtungen, was Pro Asyl kritisiert. Bei Abschiebungen will die Koalition hart vorgehen: »Wir starten eine Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern.«
Das System der Duldung will die Koalition nicht grundsätzlich verändern. Es sollen allerdings mehr Möglichkeiten geschaffen werden, einen dauerhaften Aufenthaltstitel zu erhalten. Wie viele der derzeit über 200 000 Geduldeten davon profitieren können, bleibt abzuwarten.
Ein grundsätzliches Problem für eine progressive Migrationspolitik bleibt zudem bestehen: Für Migrations- und Asylpolitik ist weiterhin das Innenministerium zuständig, das unter den Ministern Otto Schily (SPD), Wolfgang Schäuble (CDU) und Horst Seehofer (CSU) die klare ordnungspolitische Linie entwickelt hat, dass Migration vorrangig als Gefahr zu behandeln sei.
In der Asylpolitik sind Entscheidungen auf EU-Ebene allerdings inzwischen ohnehin wichtiger als die Gesetzgebung und Verwaltungspraxis in den Mitgliedsländern, wie die Eskalation an der polnisch-belarussischen Grenze in den vergangenen Wochen gezeigt hat (Jungle World 46/2021). Im Koalitionsvertrag bleibt der Abschnitt zur europäischen Flüchtlingspolitik an vielen Stellen vage. Immerhin soll bei Erweiterungen des Schengen-Raums künftig ein »besonderes Augenmerk auf die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und humanitäre Standards« gelegt werden. Dieser Satz dürfte sich vor allem an Kroatien richten, wo Medienberichten zufolge Geflüchtete an der Grenze zu Serbien Opfer brutaler Pushbacks werden. Dennoch empfiehlt die EU-Kommission die Aufnahme Kroatiens in den Schengen-Raum.
Bei der Seenotrettung verspricht die Koalition zivilen Helfern und NGOs Schutz, die in den vergangenen Jahren kriminalisiert wurden. Dass Frontex sich jedoch »aktiv« an der Seenotrettung beteiligt, wie die Koalitionäre es fordern, erscheint in Anbetracht der klaren Abschottungsstrategie der EU-Agentur weltfremd.
Ansonsten bemüht sich die Koalition um Kontrolle und Auslagerung des Flüchtlingsschutzes: Migrationsabkommen mit Herkunftsländern sollen geschlossen, in Ausnahmefällen sollen Asylanträge in Drittstaaten geprüft werden, und Frontex soll »zu einer echten EU-Grenzschutzagentur weiterentwickelt« werden – »auf Grundlage der Menschenrechte«, versteht sich.