Hamburg versucht, Kürzungen im sozialen Bereich durchzusetzen

Die letzte Schonfrist

In Hamburg sind die Suchthilfeträger von Sparmaßnahmen infolge der Covid-19-Pandemie bedroht. Zwar gewährt die Sozialbehörde den freien Trägern für das kommende Jahr einen Aufschub, doch spätestens 2023 dürften die Kürzungen im sozialen Bereich auch sie treffen.

Etwa 80 bis 250 Drogenkonsumierende besuchen täglich das Abrigado im Hamburger Stadtteil Harburg. Sie kommen, um Menschen zu treffen, zu duschen und ihre Wäsche zu waschen, um Wunden versorgen oder sich beraten zu lassen – von Behördenproblemen über Safer Use und Therapiemöglichkeiten bis hin zur Wohnungssuche. Außerdem hat das Abrigado einen Raum, in dem Besucherinnen und Besucher mitgebrachte Drogen sicher und hygienisch konsumieren können.

Doch wie lange das Abrigado und ähnliche Träger solche Angebote im gewohnten Umfang weiterführen können, ist ungewiss. Ende Oktober erhielten alle hamburgischen Suchthilfeträger ein Schreiben der Sozialbehörde, in dem diese drastische Einschnitte für das kommende Jahr ankündigte: Die tarifvertraglichen Lohnsteigerungen würden ab 2022 nicht mehr übernommen und über Rücklagen dürfe nicht mehr verfügt werden – obwohl die Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrem im vergangenen Jahr geschlossenen Koalitionsvertrag zugesagt hatten, dass im Bereich der Suchthilfe keine Einsparungen getätigt würden.

»Wir haben mündlich die klare Ansage erhalten, dass die Finan­zierung nur für das kommende Jahr gesichert ist.« Urs Köthner, Leiter der Suchthilfeeinrichtung Abrigado

Die freien Träger der Suchthilfe wandten sich Anfang November mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit, Medien wie die Taz und die Zeit berichteten. In der vergangenen Woche kam die Kehrtwende – so scheint es zumindest: »Wir hatten direkte Gespräche mit Behördenvertretern. Nun wurde uns am 23. November mündlich versichert, dass die Tarifsteigerungen für 2022 finanziert werden und kein Stellen­abbau drohe. Es sei ein Sondertopf gefunden worden«, sagt der Leiter des Abrigado, Urs Köthner, im Gespräch mit der Jungle World. Auch bei der Geschäftsführerin der gemeinnützigen GmbH Sucht Hamburg, Christiane Lieb, habe sich die Behörde bereits gemeldet, die Verhandlungen dauerten aber noch an. Sie sei zuversichtlich, dass auch ihre Einrichtung im kommenden Jahr noch einmal von Einsparungen verschont bleibe.

»Die Gespräche laufen derzeit mit einzelnen Trägern. Leider haben wir keinen Überblick, ob die angekündigten Kürzungen wirklich bei allen Anbietern im kommenden Jahr nichtig sind«, sagt der Vorsitzende der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen, Andreas Koch, der die Interessen von rund 40 Trägern der Suchthilfe vertritt, im Gespräch mit der Jungle World. Zwar sei unter Umständen die Finanzierung der Tarifsteigerungen für das kommende Jahr gesichert, über die Rücklagen dürfe aber weiterhin nicht verfügt werden. Doch gerade diese Rücklagen hätten in den vergangenen Jahren zu einer besseren Versorgung drogenabhängiger Menschen geführt.

In einer Übereinkunft zwischen den Trägern und der Sozialbehörde sei beschlossen worden, dass diese ihre erwirtschafteten Rücklagen jeweils in die nächste Periode mitnehmen dürften. »In enger Absprache mit Behördenvertretern wurde dann für die nächste vertraglich festgelegte Periode – in der Regel zwischen einem und drei Jahren – geschaut, wo und wie diese Überschüsse sinnvoll eingesetzt werden können«, so Koch, der auch Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH Therapiehilfe ist. Diese beteilige sich mit den Rücklagen seit Ende 2019 an der ­Finanzierung eines Angebots für suchtkranke Gehörlose, das sehr gut angenommen werde. »Wenn wir in Zukunft auf die Rücklagen nicht zugreifen dürfen, sind solche sinnvollen Projekte gefährdet«, warnt Koch.

Auch Urs Köthner blickt sorgenvoll in die Zukunft: »Wir haben mündlich die klare Ansage erhalten, dass die Finanzierung nur für das kommende Jahr gesichert ist.« Bei den Sachkosten werde aber bereits 2022 eine Lücke von 10 000 Euro klaffen, die Köthner mit den zugesagten Mitteln nicht schließen könne. Glücklicherweise habe er bereits Drittmittel eingeworben; bei anderen Trägern könnten allerdings schon kleinere Fehlbeträge große Löcher reißen.

Andreas Koch meint, der harte Aufprall sei nur um ein Jahr verschoben worden. Durch die hohen Belastungen aufgrund der Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen sinkenden Steuereinnahmen sei die Haushaltslage Hamburgs angespannt. »In dieser Situation ergibt es aber wenig Sinn, nur nach kurzfristigen Lösungen zu suchen und behördenintern Einsparentscheidungen zu treffen. Man sollte sich zusammensetzen und gemeinsam einen Masterplan bei sinkendem Etat entwickeln«, so Koch. Aber eigentlich benötige die wachsende Stadt Hamburg eine Ausweitung der An­gebote. Es sei doch logisch, dass bei einem Wachstum der Bevölkerung auch die Zahl der Suchtkranken steige.

Auch der Bürgerschaftsabgeordnete Deniz Çelik von der Linkspartei erwartet einschneidende pandemiebedingte Kürzungen. Einsparungen seien nun einmal am einfachsten im sozialen Bereich zu erzielen, sagt er im Gespräch mit der Jungle World. »Den Versuch der Kürzung bei suchtkranken Menschen werte ich als Testballon. Man wollte es zuerst bei den Schwächsten probieren, von denen wenig Widerstand zu erwarten ist«, so Çelik.