Fragile Männlichkeit im Bond-Film »Keine Zeit zu sterben«

He Too

Auch James Bond ist plötzlich traumatisiert. Wie die Figur des britischen Agenten im neuen Film »Keine Zeit zu sterben« modernisiert wurde.

Heldengeschichten, in denen weiße Männer die Hauptrolle spielen, ­haben es nicht leicht in diesen Tagen. In Zeiten von »Me Too« und Wokeness, in denen es sich die liberale Kulturindustrie zur Aufgabe gemacht hat, wenn schon nicht das System auszutauschen, so doch ­wenigstens seine skrupellosesten Akteure, kann die Erzählung von den Supermännern nicht einfach weitergesponnen werden, als sei nichts passiert. Längst hat Hollywood akzeptiert, dass das Böse auch in den eigenen Reihen lauern kann, und sich dem Kampf der Frauen gegen toxische Männlichkeit angeschlossen. Dabei verwickelt sich die Film­­industrie allerdings schnell in Widersprüche.

Der neue James-Bond-Film, »Keine Zeit zu sterben«, ist ein solcher Fall. Es ist die Abschiedsvorstellung von Daniel Craig als Bond. Seit Monaten wird darüber spekuliert, wer wohl sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin wird. Gerne würde die Filmkritik einen schwarzen Darsteller oder eine Darstellerin in der Rolle des Agenten 007 sehen, um der Filmreihe etwas mehr Diversität einzuhauchen. Bis allerdings der nächste Bond seine Arbeit aufnehmen kann, muss der alte nochmal ran.

Es ist klar, was dem Agenten auf seinen Abenteuern bisher entgangen ist: Familie, Geborgenheit, Intimität, Nähe, Liebe, Alltäglichkeit.

Eigentlich befindet sich James Bond (Daniel Craig) schon im Ruhestand, als er aus der Karibik zurückbeordert wird. In ein Labor des britischen ­Geheimdienstes MI6 wurde eingebrochen. Hochgefährliche Viren könnten die gesamte Menschheit auslöschen.

In den jüngeren Filmen der Reihe war die Bond-Figur immer mehr auf sich selbst zurückgeworfen und immer wieder mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Diese Tendenz wird in »Keine Zeit zu sterben« von Regisseur Cary Joji Fukunaga vollends auf die Spitze getrieben. Alle Charaktere, sogar die Bösewichte, besitzen nun eine psychologische Tiefe, die es erlauben würde, die Figuren in eigenen Spin-offs weiterzuentwickeln und sie in endlosen Serien zum Mittelpunkt neuer Dramen zu machen. Die Psychologisierung der Figuren macht die Dialoge allerdings auch lahm und schwerfällig. Über den Bildern liegt ein dunkler Filter wie sonst nur über dem deutschen »Tatort«. Das, wofür man die angel­sächsischen Filmkultur so sehr geliebt hat, also für eine Dramatik, die nicht in die Innerlichkeit der Figuren verlegt, sondern über Handlung ausagiert wird, weicht nun einer romantisierenden Innenschau.

Durch die größere Komplexität der Figuren und dramatisch ausgeschlachtete Gewissenskonflikte weicht der neue Bond der Frage aus, ob das Action- und Heldentheater nicht an und für sich zum Problem geworden sind, zum Relikt einer überkommenen Epoche. Leider gibt der Film sich damit zufrieden, die Heldenfigur als einen hypersensiblen Pseudo-Macho zu zeigen, der an den Forderungen des Maskulinitätstheaters fast zerbricht – wären da nicht die guten familiy values. In einer mit allen ungeschriebenen Regeln des Bond-Universums brechenden Szene schält der Geheimagent seiner Tochter einen Apfel. Das muss man erst mal ver­arbeiten: Bond hat eine Tochter! Die Mutter der Kleinen ist die Psychiaterin Madeleine Swann (Léa Seydoux), die der rührenden Szene lässig gekleidet in Momjeans beiwohnt und wissend lächelt.

Es ist klar, was dem Agenten auf seinen Abenteuern bisher entgangen ist: Familie, Geborgenheit, Intimität, Nähe, Liebe, Alltäglichkeit. Aber warum bloß braucht die wohl eleganteste Agentengeschichte des Kinos eine solche Ästhetik? Warum braucht sie solche Szenen? Das Bond-Spektakel benötigt die psychologische Tiefe, die Ausstattung der Figuren mit Träumen und Traumata, mit Komplexität und Gewissenskonflikten, um auch im Jahr 2021 noch die Heldengeschichte von dem Einzelkämpfer erzählen zu können, der sich sowohl gegen seine Feinde als auch gegen Widerstände in den eigenen Reihen durchsetzt, um die Welt zu retten. Wenn man schon so eine Geschichte erzählt, muss der Typ ­wenigstens ein bisschen Opfer sein. Das schlechte Gewissen steht diesem Bond ins Gesicht geschrieben. Man weiß eigentlich, dass das, was man hier tut, nicht richtig ist, aber man macht es trotzdem.

Darin liegt das Perfide und sehr Zeitgenössische dieser neuen Ideologie. Sie ist nicht nur leicht durchschaubar, sondern durchschaut sich sogar selbst. Allen Beteiligten ist klar, dass hier ein Genre mit seiner eigenen Daseinsberechtigung ringt und versucht, diesen Konflikt in der Phantasiewelt unendlicher Selbst­referenzialität auszutragen.

Die wachsende Zahl von Superheldenfilmen sowohl fürs Kino als auch für Streaming-Dienste hat deren überzeichnete Erzählweise zum neuen Standard der Heldengeschichten werden lassen. Deren Betonung des Mimetischen, das im Comic noch ein utopisches Moment besaß, verleiht im Grunde jede Figur eine düstere Vergangenheit. Diese verweist in ihrer oftmals bis ins Allegorische reichenden Überdrehtheit aber immer schon darauf, dass es sich eben nur um eine Geschichte handelt. Die Heldengeschichte reformiert sich in ihrer Parodie als Superheldengeschichte.

Gebrochen wird die Heldengeschichte oftmals durch eine weibliche Perspektive. Der weibliche oder mütterliche Blick, der auf dem Helden ruht, findet sich prominent in dem US-amerikanischen Science-Fiction-Film »Dune« (2021) des kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve. In der Verfilmung des gleichnamigen ­Romans von Frank Herbert begibt sich die auserwählte Hauptfigur Paul Atreides (gespielt vom engelsgleichen Timothée Chalamet) mit seiner Mutter (Rebecca Ferguson) auf eine Reise durch die Wüste. Ein ­geheimer Frauenorden wacht nicht nur über den Status der messianischen Heldenfigur, sondern stattet ihn auch mit der Stimme der Macht aus.

Im neuen Bond-Film ist es der Blick der wissend lächelnden Madeleine Swann auf ihren Geliebten. Schon während der Autofahrt zu Beginn der Handlung scheint sie zu ahnen, wo Bonds Reise hingeht. Im strengen Gegensatz zu den Zeilen des alten Bond-Songs »We Have All the Time in the World« von Louis Armstrong flüstert sie Bond zu, ob sie nicht schneller fahren können. Bond, der noch denkt, er wäre der alte Beschützer-Bond, antwortet lässig: »Wir haben alle Zeit der Welt.«

Der neue Bond ist hin- und hergerissen zwischen allen Versuchen, die Heldengeschichte zu retten. Das Problem des Films besteht darin, dass er sich für keine der beiden Seiten entscheidet: »Keine Zeit zu sterben« ist weder überzeichnet und phantasievoll genug, um als Superheldengeschichte durchzugehen, noch ist der weibliche Blick auf den Helden konsequent entwickelt. Dennoch hat der Film etwas unfreiwillig Subversives. Schließlich hat der neue Bond die Erwartungen der Fans, vor allem Unmengen intelligenter Waffen, ausgesuchter Drinks und schneller Autos präsentiert zu ­bekommen, mächtig enttäuscht.

»James Bond 007: Keine Zeit zu sterben« (UK, USA 2021). Regie: Cary Joji Fukunaga. Darsteller: Daniel Craig, Léa Seydoux, Rami Malek, Lashana Lynch.