Sachsen und Sachsen-Anhalt ­haben ihre Verfassungsschutzberichte für 2020 vorgestellt

In schlechter Verfassung

Die Jahresberichte für 2020 der Landesbehörden für Verfassungs­schutz von Sachsen und Sachsen-Anhalt zeigen, wie schonend rechtsextreme Bestrebungen behandelt werden.

Vor über 20 Jahren, im Mai 2000, wurde das »Institut für Staatspolitik« (IfS) gegründet. Anfangs noch mit Sitz im hessischen Bad Vilbel, zog es später in das kleine Dorf Schnellroda in Sachsen-Anhalt um. Politisch an der Schnittstelle zwischen extremer Rechter und Konservatismus beheimatet, arbeitete der rechte Think Tank stets an der völkisch-nationalistischen Theoriebildung und der Rehabilitierung des Faschismus.

Götz Kubitschek, der Gründer und langjährige Vorsitzende des Instituts, war lange Zeit nur Beobachterinnen der rechten Szene bekannt. Im Zuge der autoritären Revolte ab 2015 wurde er zu einer Ikone der Neuen Rechten. Selbst die New York Times schickte Journalisten in die sachsen-anhaltische Provinz, um den bekannten Vertreter des modernen Faschismus zwischen seinen Ziegen zu interviewen. Bereits 2006 schrieb Kubitschek in der vom IfS herausgegebenen Zeitschrift Sezession: Das Ziel sei »nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party«.

Der sächsische Verfassungsschutz rät Demokraten, sich an »Querdenken«-Protesten zu beteiligen, damit die dort anwesenden Neonazis in der Minderheit bleiben.

Nun, 21 Jahre nach Gründung des IfS, hat auch die Landesbehörde für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt – das »Frühwarnsystem« im »Land der Frühaufsteher« (Eigenwerbung des Bundeslands) – erkannt, dass die rechtsextreme Kaderschmiede eventuell eine Gefahr für die Demokratie darstellt, und sie erstmalig unter Beobachtung gestellt. »Den Wesenskern der Ideologie des IfS stellt der ›Ethnopluralismus‹ dar, der unter anderem fremdenfeindliche, an­ti­egalitäre und den völkischen Kollektivismus betreffende Elemente enthält«, heißt es zur Begründung im Bericht für 2020, der Anfang Oktober vorgestellt wurde. Eine Erkenntnis, die sich freilich schon seit zwei Jahrzehnten in der Fachliteratur finden lässt.

Im sächsischen Verfassungsschutzbericht für 2020, der ebenfalls vor zwei Wochen präsentiert wurde, fällt wie­de­rum vor allem auf, was fehlt. Pegida wird wohl nie darin auftauchen, egal wie viel Mühe sie sich geben. Ob man, wie 2016 geschehen, in Bezug auf ertrunkene Geflüchtete im Mittelmeer zu Hunderten auf dem Dresdner Neumarkt »Absaufen, absaufen!« ruft oder, wie im November des vergangenen Jahres zum Gedenktag der Reichspogromnacht, den aus der AfD ausgeschlossenen Neonazi Andreas Kalbitz als Hauptredner einlädt – jedes Jahr aufs Neue wird Pegida »keine erwiesene extremistische Bestrebung« attestiert. Die kontinuierlichste völkische Demonstrationsreihe der Bundesrepublik ist dem sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz nur eine Fußnote wert. (Einen Bericht zur Pegida-Kundgebung am Sonntag anlässlich des siebenjäh­rigen Bestehens der Bewegung finden Sie auf Seite 19; Anm. d. Red.)

Ebenfalls kleingeredet wird im Bericht die »Querdenken«-Demonstration vom November 2020 in Leipzig. Zehntausende Coronaleugner und Verschwörungsgläubige hatten damals die Innenstadt übernommen, zusammen mit Hunderten Nazis und anderen Rechtsextremen, von »Blood and Honour« bis Götz Kubitschek. Rechte Hooligans lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei und ermöglichten so der »Quer­denken«-Bewegung eine Demonstra­tion über den Leipziger Ring, die zuvor verboten worden war. Zwar wird die Demonstration als wichtiges Treffen der überregionalen Neonazi-Szene aufgeführt, die Proteste selbst werden aber bloß als »nicht extremistische Veranstaltung gegen die aktuell geltenden Coronabeschränkungen« erwähnt. Es handele sich, kann man dort weiter lesen, vorrangig um eine »zivildemokratische« Bewegung aus dem »regierungskritischen, oppositionellen Milieu«.

Anschließend gibt der Verfassungsschutz noch eine überraschende Handlungsempfehlung: Damit die Coronaproteste nicht zum Einfallstor für »Rechtsextremisten« werden, müssten »derartige Proteste von der Mitte der Gesellschaft aufgefangen und dominiert werden«. Die Behörde rät also Demokraten, sich an »Querdenken«-Protesten zu beteiligen, damit die dort anwesenden Neonazis in der Minderheit bleiben.

Auf so viel Verständnis können Linke erwartungsgemäß nicht hoffen. Vielmehr gibt sich der Verfassungsschutz große Mühe zu beweisen, dass diese eine Gefahr darstellen, selbst wenn sie sich gesetzeskonform verhalten. So kann man über »Linksextremisten« lesen, dass sie sich zwar überwiegend an die Pandemievorschriften gehalten hätten, jedoch »eher aus basisdemokratischen Erwägungen und einem gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsgefühl heraus und mitnichten aus Respekt vor dem Staat und seiner Verordnungen«.

Dass »Linksextremisten« grundsätzlich nicht zu trauen ist, verdeutlicht der sächsische Verfassungsschutz auch an anderer Stelle in seinem Bericht, als es um die Entgleisung eines Polizeiführers auf einer antirassistischen ­Demonstration in Dresden im September 2020 geht. »Schubs mich und du fängst dir ’ne Kugel!« hatte der Einsatzleiter damals Teilnehmenden, von ­denen er sich bedrängt sah, entgegengerufen und die Hand an seine Waffe gelegt. Im Bericht erscheint der Vorfall nun als Beweis für die »polizeifeind­liche Ausrichtung« der Linken, die nämlich möglicherweise einen perfiden Plan verfolgt hätten: »Es ist nicht auszuschließen, dass die Situation von den beteiligten Linksextremisten gezielt provoziert wurde, um den Beamten unter Druck zu setzen.«

Nun ist es weder neu noch überraschend, dass der Verfassungsschutz vor allem die Linke als politischen Feind betrachtet. Bei der Bewertung der extremen Rechten hat er – abgesehen von mangelndem politischem Willen – jedoch tatsächlich ein Problem: Bei der Bundestagswahl erhielt die AfD in Sachsen-Anhalt 19,6 Prozent der Zweit­stimmen, im Nachbarland Sachsen wurde sie mit 24,6 Prozent gar stärkste Kraft. Dort wählen über 800 000 Menschen eine extrem rechte Partei, die ­Anfang des Jahres vom Verfassungsschutz bundesweit zum »Verdachtsfall« erklärt wurde.

Wenn ein derart großer Teil der Bevölkerung so weit rechts steht, gerät die Extremismustheorie ins Wanken, die ja auf der Annahme basiert, dass die Demokratie von den Rändern her bedroht werde und nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Angesichts dieser Zahlen, die nicht in den Berichten auftauchen, wirken die exakten Angaben zu »erwiesenen Rechtsextremisten« (1 230 in Sachsen-Anhalt, 4 800 in Sachsen) denn auch wenig aussagekräftig.

Hier zeigt sich erneut, dass der Verfassungsschutz – auch weil es nicht seine Aufgabe ist – nicht in der Lage ist, gesellschaftliche Verhältnisse zu erfassen, die rassistische Mobilisierungen wie Pegida oder rechtsextreme Anschläge wie im Oktober 2019 in Halle hervorbringen. Stattdessen versuchen die Ämter, mit ihren Statistiken den Schein zu wahren, sie hätten die Lage unter Kontrolle, während die rechte Landnahme in beiden Bundesländern weiter voranschreitet.