Der internationale Druck auf die Militärjunta in Myanmar wächst

Junta unter Druck

Die demokratische Schattenregierung Myanmars erfährt immer mehr internationale Unterstützung. Das bringt die Militärjunta in Bedrängnis.

Am 9. Oktober veröffentlichte das Außenministerium der Militärjunta in Myanmar eine Stellungnahme. Darin verurteilt es alle ausländischen Kräfte und Diplomaten, die mit »ungesetzlichen und terroristischen Elementen« Kontakt halten oder diese sogar als ­offizielle Gesprächspartner anerkennen. Gemeint sind das Committee Representing Pyidaungsu Hluttaw (CRPH) und das National Unity Government (NUG), die demokratische Schattenregierung Myanmars.

Das CRPH haben untergetauchte Abgeordnete des im vergangenen November gewählten Parlaments von Myanmar gebildet, die ihr Mandat nach dem Putsch des Militärs am 1. Februar dieses Jahres nicht hatten antreten können. Im April bildete das CRPH das NUG. Die meisten CRPH-Mitglieder gehören der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) an, der Partei von Aung San Suu Kyi, die faktisch Regierungschefin war, bis sie beim Putsch gestürzt und inhaftiert wurde. So erging es auch dem ­damaligen Präsidenten Myanmars, Win Myint, der ebenfalls der NLD angehört. Die Partei hatte die Wahlen erneut deutlich gewonnen. Das Militär wirft Suu Kyi Wahlbetrug vor. Unter anderem wegen dieses Vorwurfs muss sie sich vor Gericht verantworten.

Das EU-Parlament forderte den Europäischen Rat zu Sanktionen gegen staat­liche Konzerne aus Myanmar auf, die den dortigen Machthabern wichtige Deviseneinnahmen verschaffen.

Was die Militärjunta unter dem neuen Machthaber Min Aung Hlaing, dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte Myanmars, zu der Stellungnahme veranlasste: Am 7. Oktober hatte das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, der zufolge es das NUG und das CRPH als »die einzig legitimen Repräsentanten der demokratischen Wünsche der Bevölkerung Myanmars« unterstützt. Die Resolution wurde mit 647 Ja-Stimmen bei lediglich zwei Nein-Stimmen und 31 Enthaltungen verabschiedet – ein starkes Signal, mit dem die Abgeordneten die parallelen Institutionen des demokratischen Widerstands aufwerteten. Es ist die erste vollwertige Anerkennung der Schattenregierung. Am 5. Oktober hatte bereits der französische Senat, das Oberhaus des französischen Parlaments, die französische Regierung aufgefordert, das NUG anzuerkennen.

In seiner Resolution verurteilt das EU-Parlament den Putsch und die vermehrte Gewalt durch das Regime. Es fordert den Europäischen Rat zu robusten Sanktionen gegen die Junta auf. Sie sollen nicht nur exponierte Vertreter des Regimes treffen, sondern auch staatliche Konzerne, die den Machthabern durch Exporte wichtige Deviseneinnahmen verschaffen, etwa den Energiekonzern Myanmar Oil and Gas Enterprise. Das NUG unterhält inzwischen Repräsentanzen in den USA, Großbritannien, Frankreich, Australien, Südkorea und Tschechien – was als Vorstufe offizieller Anerkennung gilt.

Bereits am 4. Oktober hatten die ­Außenminister der Mitgliedsstaaten der Asean (Association of Southeast Asian Nations) ein virtuelles Treffen zur Lage in Myanmar abgehalten. Nach dem Treffen zeigten die Minister sich darüber verärgert, dass die Militärjunta nicht ausreichend mit dem Asean-Sondergesandten für Myanmar, Erywan Yusof, kooperiere. Dieser soll zwischen der Junta und ihren Gegnern vermitteln. Er ist stellvertretender Außenminister des kleinen Sultanats Brunei, das derzeit den Vorsitz der Asean innehat. Die USA, China und die UN unterstützen seine Vermittlungsmission.

Derzeit verwehrt die Junta Yusof ein Treffen mit Suu Kyi. Der Gesundheitszustand der 76jährigen Friedensnobelpreisträgerin hat sich deutlich verschlechtert. Kürzlich ist sie mit dem Antrag gescheitert, dass die Verhandlungstage vor Gericht nur noch 14tägig statt wöchentlich stattfinden sollen. Am Freitag voriger Woche teilte Suu Kyis Anwalt, Khin Maung Zaw, auf Facebook mit, die Junta habe ihm untersagt, mit Medien, Diplomaten, internationalen Organisationen und ausländischen Regierungen zu kommunizieren.

Zwei Tage nach dem Treffen der Asean-Außenminister drohte Saifuddin Abdullah, der Außenminister des Asean-Mitglieds Malaysia, der Junta, sein Land könnte in einen formellen Dialog mit dem NUG treten, wenn die Junta nicht ausreichend mit der Asean kooperiere. Bislang haben Malaysia, Indonesien und Singapur, die in der Asean seit Anbeginn die schärfsten Kritiker des Putsches waren, keine Gespräche mit dem NUG aufgenommen. Seit einem umstrittenen Asean-Sondergipfel in der indonesischen Hauptstadt Jakarta am 24. April, bei dem lediglich ein vage formuliertes Fünf-Punkte-Papier als kleinster gemeinsamer Nenner zum Umgang mit dem Putsch verabschiedet wurde, hatte die Asean die Junta eher vorsichtig behandelt. Am Freitag voriger Woche beschlossen die Asean-Außenminister aber sogar, Min Aung Hlaing vom nächsten Gipfel Ende Oktober auszuladen. Das geht aus einer am Samstag veröffentlichten Mitteilung des Asean-Vorsitzenden Brunei hervor. Stattdessen soll ein »nicht politischer Vertreter« Myanmars an dem Treffen teilnehmen.

Der internationale Druck auf die Putschisten wächst also beträchtlich. Die UN diskutieren derzeit darüber, ob der UN-Sitz des Landes der Junta oder dem NUG zustehe. Insbesondere die UN könnten allerdings noch einiges mehr tun, um die demokratischen Kräfte zu unterstützen, konstatierte am 9. Oktober bei einer Pressekonferenz in Bangkok der Special Advisory Council for Myanmar (SAC-M), eine Expertengruppe, die sich für Menschenrechte und Demokratie in dem Land einsetzt. Zu der Gruppe gehört unter anderem die südkoreanische Diplomatin Yanghee Lee, die von 2014 bis 2020 UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechts­lage in Myanmar war. Der australische Menschenrechtsanwalt Chris Sidoti, ebenfalls Mitglied des SAC-M, kritisierte kürzlich, dass die höchste Stelle der UN in Myanmar, die des UN-Koordinators, derzeit nicht besetzt sei. Es sei notwendig, die Stelle »in Absprache mit der NUG und der Zivilgesellschaft« mit einer erfahrenen Person zu besetzen.

Das NUG kann sich über seine internationale Aufwertung freuen. Es hatte seine Strategie Anfang September verschärft und die eigenen Landsleute zum »defensiven Volkskrieg« gegen die Junta aufgerufen. Die Schattenregierung verfügt über eigene Streitkräfte, die sogenannten People’s Defense Forces (PDF). Sie sind eine Art Bürgermilizen, die mit Soldaten der Armee bereits verschiedentlich zusammengestoßen sind, aber über mangelnde ­Ausrüstung klagen.

Während die PDF dem Regime bislang eher Nadelstiche versetzen konnten, haben die Gefechte mit Rebellengruppen, die offiziell als »ethnische bewaffnete Organisationen« (ethnic armed organizations, EAO) bezeichnet werden, teils weitaus tödlichere Folgen für lokale Militäreinheiten. Zwischen dem 7. September und dem 6. Oktober seien 1 562 Soldaten getötet und 552 verwundet worden, meldete das NUG. 953 Angriffe auf militärische und administrative Ziele sowie Unternehmen der Junta habe es in diesem Zeitraum gegeben.

Am 9. Oktober fand ein Treffen statt, mit dem die Junta den Friedensprozess im Land neu beleben wollte. Bereits unter der halbzivilen Übergangsregierung des früheren Generals Thein Sein (2010–2016) war 2015 ein Nationales Waffenstillstandsabkommen (NCA) mit zehn EAOs geschlossen worden, unter Suu Kyi nahmen weitere Rebellengruppen an einem Dialog mit der Regierung teil. Inzwischen haben etliche der NCA-Unterzeichner allerdings wieder Kämpfe mit der Armee aufgenommen. Bei den Gesprächen am 9. Oktober waren Vertreter von 18 Parteien aus Minderheitengebieten anwesend, darunter als größere die Shan Nationalities Democratic Party (SNDP). Mit ihnen wurde unter anderem über eine Umstellung von Mehrheits- auf Verhältniswahlrecht diskutiert.

Nahezu gleichzeitig erschien allerdings ein Artikel in Myanmar Alin, einer Zeitung des Regimes, in dem dieses sechs Rebellengruppen des Terrorismus bezichtigt: Die Karen National Union (KNU), die bereits seit 1949 aktiv ist, die Kachin Independence Army (KIA), die Chin National Front (CNF), die Karenni National Progressive Party (KNPP), den Restoration Council of Shan State (RCSS) und die Ta’ang National Liberation Army (TNLA). Tatsächlich hat sich inzwischen eine große Mehrheit der Rebellen klar auf die Seite des demokratischen Widerstands gestellt.