In Myanmar geht die Junta juristisch gegen Mitglieder der entmachteten Zivilregierung vor

Kampf gegen die Junta

Das Militärregime in Myanmar geht gerichtlich hart gegen Mitglieder der entmachteten Zivilregierung und der Partei Nationale Liga für Demokratie vor. Innerhalb der Staatengemeinschaft Asean wird es allerdings zusehends isoliert.

Das Urteil im ersten Prozess gegen Aung San Suu Kyi nach dem Putsch erging am Montag: vier Jahre Gefängnis wegen »Aufwiegelung« und Verstoßes gegen Pandemieschutzauflagen. Sie war am 1. Februar von den Putschisten um den Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Min Aung Hlaing, als De-facto-Regierungschefin abgesetzt worden.

Zugleich werden gegen Suu Kyi und den zusammen mit ihr abgesetzten Präsidenten Win Myint weitere Anklagen vorbereitet. Ihnen wird Korruption im Zusammenhang mit dem Kauf eines Hubschraubers für den Katastrophenschutz durch das damalige So­zialministerium vorgeworfen. Die beiden sitzen seit der Machtübernahme der neuen Militärjunta in Haft, der Gesundheitszustand der 76jährigen Suu Kyi hat sich dadurch weiter ­verschlechtert. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe, von Korruption bis Aufwiegelung, könnten zusammengenommen bis zu 100 Jahre Haft bedeuten.

Seit dem Putsch sind nach Angaben einer Unter­grund­orga­ni­sation 2 000 Soldaten und 6 000 Polizisten auf die Seite der Bewe­gung des zivilen Ungehorsams übergelaufen.

Ein drohendes Beispiel dafür, wie solche Prozesse ausgehen können, liefert Nan Khin Htwe Myint. Die 67jährige war bis zum Putsch Chefministerin des Karen-Staats (auch Kayin-Staats), einer Verwaltungseinheit im Norden des Landes, und zudem Mitglied des Zentralkomitees der Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD), der auch Suu Kyi und Win Myint angehören. Sie war eine der wichtigsten Führungsfiguren der Partei aus den Reihen der diversen ethnischen Minderheiten. Bei ihrer Amtsenthebung hatte sie sich furchtlos gezeigt und auch danach, als sie zunächst nur unter Hausarrest stand, zum aktiven Widerstand gegen das Regime aufgerufen. Am 9. November ist sie wegen Korruption zu 75 Jahren Haft verurteilt worden. Der Prozess fand innerhalb des Gefängnisses Hpa-an statt, wo die Politikerin seit Mai eine zweijährige Freiheitsstrafe wegen juntakritischer Äußerungen verbüßt.

Bereits am 1. November war als erster aus der Führungsriege der NLD Win Htein zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Der 79jährige frühere Soldat, der im Rollstuhl sitzt, war Parteisprecher und galt lange als rechte Hand Suu Kyis. Der Richter Ye Lwin, der nun über Suu Kyi urteilen soll, ist derselbe, der im September 2018 in einem nicht minder aufsehenerregenden Prozess zwei ­einheimische Journalisten der Agentur Reuters, die zu Verbrechen gegen die muslimische Minderheit der Rohingya recherchiert hatten, zu sieben Jahren Haft verurteilt hat. Sie wurden jedoch nach über 500 Tagen freigelassen.

Das Militärregime hat in den ersten zehn Monaten seiner Herrschaft ins­gesamt 573 Mitglieder der NLD festgenommen, teilte die Partei am 1. Dezember mit. Darunter ist ein Großteil der früheren Führungsriege; ein anderer Teil derselben ist untergetaucht. Deshalb hat die NLD kürzlich eine provisorische Koordinationsgruppe installiert, um die Parteiarbeit zumindest eingeschränkt aufrechtzuerhalten. Mindestens sieben der Verhafteten sollen durch Folter umgekommen sein, heißt es, fünf weitere starben aus anderen Gründen. Der prominenteste unter ihnen ist Nyan Win, der Suu Kyi viele ­Jahre als Anwalt zur Seite stand und zuletzt als Rechtsberater der NLD wirkte; er erlag einer schweren Covid-19-Infek­tion.

Etliche der Inhaftierten haben keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung. Zudem bleibt ­insbesondere die vormalige Regierungschefin isoliert. Die Junta ließ weder den chinesischen Sondergesandten Sun Guoxiang zu ihr durch noch den Japaner Yōhei Sasakawa, den Vorsitzenden der karikativen Nippon Foundation. Er wollte Aung San Suu Kyi das Schwert ihres Vaters zurückgeben, das sie ihm bei einem seiner früheren Besuche in Myanmar zu Reparaturzwecken überlassen hatte – Aung San, als Vater des burmesischen Unabhängigkeitskampfs verehrt, hatte 1940 in Japan militärisches Training erhalten.

Dass General Min Aung Hlaing nicht einmal dem Sondergesandten der ­südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean eine Visite bei Suu Kyi ermöglichen wollte, führte vor einigen Wochen zu einer Wende im Umgang der Asean-Staaten mit dem Regime. Bis dahin war die Asean in dieser Frage faktisch gespalten gewesen: Vor allem Indonesien, Malaysia und Singapur hatten schon beim Sondergipfel Ende April in Jakarta, bei dem Myanmars neuer Machthaber noch persönlich zugegen war, offen Kritik geäußert. Seinerzeit hatte die Asean in einem Fünf-Punkte-Katalog eine Vermittlungsmission initiiert, die aber faktisch gescheitert ist.

Nicht nur beim jüngsten Bündnisgipfel Ende Oktober war Myanmars Junta formell ausgeladen. Auch bei einem Folgetreffen der Allianz mit China setzten die südostasiatischen Nachbarstaaten durch, dass Myanmars Platz am Ende leer blieb – so wie zuletzt beim Asien-Europa-Treffen (Asem) Ende November. Dafür nahm der Umwelt- und Klimaschutzminister der demokratischen Exil­regierung (National Unity Government of the Republic of the Union of Myanmar, NUG) offiziell an der virtuellen Konferenz 3rd Climate Smart and Disaster Resilient Asean (CSDRA) teil, die vom 23. bis 25. November nach dem Weltklimagipfel COP26 in Glasgow stattfand. Näher kommentiert wurde dieser Umstand zwar nicht, aber die vormaligen stillen Verbündeten der Junta innerhalb des Regionalpakts sind ­inzwischen offenbar eingeknickt. Auch bei der Asean scheint es vorstellbar, mittelfristig die NUG als rechtmäßige Vertreterin des Landes formal anzu­erkennen.

Seit dem Putsch sind nach Angaben einer Untergrundorganisation, die mit der NUG zusammenarbeitet, 2 000 ­Soldaten und 6 000 Polizisten auf die Seite der Bewegung des zivilen Ungehorsams (Civil Disobedience Movement, CDM) übergelaufen. Einige wollen sogar für das demokratische Lager kämpfen und werden in den bewaffneten Arm der NUG integriert, die People’s Defence Force (PDF). Auch etliche Offiziere bis zu mittleren Rängen seien ­unter den Desertierten, berichtet das Online-Portal Myanmar Now unter ­Berufung auf die PDF. Nach deren Angaben halten diese abtrünnigen Streitkräfte überdies Kontakt zu Militärangehörigen, die trotz demokratischer Gesinnung weiter auf ihren Posten ausharren und die Widerstandsbewegung mit wichtigen Informationen versorgen.

Die Absetztendenzen hatten jüngst zugenommen, ebenso die Zusammenstöße zwischen der regulären Armee (Tatmadaw) und der PDF. Seit Anfang November gab es wiederholt schwere Kämpfe in der zentralen Region Sagaing. Die Einheiten des Tatmadaw greifen auf die Unterstützung regimetreuer Militanter zurück, während die PDF lose mit Bürgermilizen kooperiert. Auch die meisten der Rebellengruppen der ­ethnischen Minderheiten, darunter die Karenni People’s Defence Force und die Chinland Defence Force, haben sich auf die Seite der Demokratiebewegung geschlagen. Die teils neu aufgeflammten Kämpfe zwischen Rebellen und dem Tatmadaw binden Kräfte, die der in einem Mehrfrontenkonflikt befangenen Armee an anderer Stelle fehlen. Zugleich halten kleinere Angriffe, teils mit tödlichem Ausgang, auf Statthalter der Junta in den Städten an.