Das afghanische »Emirat« könnte die drohende Hungersnot politisch nutzen

Nun kommt der Hunger

Die humanitäre Krise erhöht die Chancen der Taliban, diplomatische Anerkennung zu erlangen.

Wenn die Feuerkraft oder die Größe des Geldkoffers über die Machtverhältnisse entscheiden, treten verfassungsrecht­liche Fragen zwangsläufig in den Hintergrund. In der internationalen Diplomatie ist allerdings von Bedeutung, wer als legitimer Repräsentant eines Staates gelten kann. Artikel 60 der afghanischen Verfassung legt fest: »Der erste Vizepräsident handelt in Abwesenheit, beim Rücktritt oder im Todesfall des Staatspräsidenten nach Maßgabe der in dieser Verfassung verankerten Bestimmungen.«

Die Barttracht, die in Afghanistan wieder zur Vorschrift zu werden droht, genügt in Xinjiang, um auf unbestimmte Zeit in einem ­Um­er­ziehungslager inhaftiert zu werden.

Auf diesen Artikel beruft sich Vizepräsident Amrullah Saleh, der, anders als Präsident Ashraf Ghani, das Land nicht verlassen, sondern sich ins Panjirtal zurückgezogen hat – derzeit die Region, in der sich jene sammeln, die bewaffneten Widerstand gegen die Taliban leisten wollen. Ein gewählter Amtsträger, von Terroristen aus der Hauptstadt vertrieben und ausgestattet mit einer nach internationalem Recht kaum bestreitbaren Legitimation, bittet die »internationale Gemeinschaft« um Unterstützung, doch die Reaktion ist, milde ausgedrückt, verhalten. Den Evakuierungseinsatz legitimiert die Bundesregierung zwar mit der »fortgeltenden Zustimmung der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan«, ansonsten aber ignoriert man, offenbar um die Taliban nicht zu verärgern, Saleh und seine Verbündeten der neuen Nordallianz.

Noch kein Abonnement?

Um diesen Inhalt zu lesen, wird ein Online-Abo benötigt::