Viele Beschäftigte in der Automobilindustrie sehen den Individualverkehr kritisch

»Mein Arsch oder das Klima?«

Auch die Gewerkschaften haben Probleme, adäquat auf die Klimakrise und den Umbau der Automobilindustrie zu reagieren. Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt, dass viele Beschäftigte den Unter­neh­­men weder zutrauen, ihre Arbeitsplätze zu sichern, noch, die Voraus­setzungen für eine ökologische Verkehrswende zu schaffen.

Der Beschluss der EU-Kommission, voraussichtlich ab 2035 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen, wird auch für die Arbeiter in der deutschen Autoindustrie große Veränderungen bedeuten. Die deutschen Autokonzerne legen mit einem Jahresumsatz von 436 Milliarden Euro im Jahr 2019 nicht nur die Basis des export­orientierten deutschen Wirtschaftsmodells, die gut organisierten Beschäftigten in der Autobranche sind auch das Rückgrat der deutschen Gewerkschaftsbewegung.

Elektromobilität, deren Folgen für den Produktionsprozess und die notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz werden deshalb auch in den Gewerkschaften heiß diskutiert. Die IG Metall, die größte Gewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund, nimmt dabei eine ambivalente Rolle ein. Sie unterstützt ausdrücklich die Ziele des Pariser Klimaabkommens und wirbt offensiv für eine »ökologische, soziale und demokratische Transformation«, unterstützt in der Praxis aber häufig die bisherige Ausrichtung der Produktion auf Verbrennungsmotoren.

Immer wieder kollidiert das Interesse der Beschäftigten am Erhalt tariflich abgesicherter Arbeitsplätze mit ihrer ­kritisch-reflektierten ­Produzenten­intelligenz.

Zur beworbenen »Transformation« gehört neben dem Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), dem Ausstieg aus dem Abbau und der Verstromung von Kohle und der umfassenden Einführung erneuerbarer Energie auch eine Verkehrswende, deren Basis das Elektroauto ist. Bereits lange vor den Protesten von Fridays for Future (FFF) drang die IG Metall auf Investitionen in die Elektromobilität und den Ausbau der Infrastruktur für das Aufladen der strombetriebenen Fahrzeuge. Sie sucht dabei auch die Zusammenarbeit mit der Klimabe­wegung. Im August 2019 traf sich der IG Me­tall-Vorstand öffentlichkeitswirksam mit Vertretern von FFF. Hans-­Jürgen Urban, ein Vorstandsmitglied und Vordenker der IG Metall, bezeichnete ein Bündnis mit Gruppen wie FFF als »historische Pflicht«.

Andererseits agiert die IG Metall nicht selten als Verteidigerin des Verbrennungsmotors. Als sich die SPD in der Großen Koalition im vergangenen Jahr gegen eine Kaufprämie für PKW mit Verbrennungsmotor aussprach, liefen führende Funktionäre der IG Metall dagegen Sturm. Der Grund dafür ist der mit dem Umbau der Autoin­dustrie verbundene Verlust von Arbeitsplätzen.

Elektroautos benötigen weniger Teile, ihre Motoren sind einfacher gebaut und ihre Fertigung kann leichter automatisiert werden.

Die Transformation der Autobranche ist nicht zuletzt auch ein staatlich gefördertes Rationalisierungsprogramm. Schon 2019 hat die Branche 50 000 Arbeitsplätzen abgebaut. Die IG Metall ging Anfang 2020 von 50 000 Stellen aus, die »in den nächsten zwei bis drei Jahren« abgebaut werden sollten, und von weiteren 180 000 mittelfristig ­gefährdeten Stellen.

Die Folgen dieser Rationalisierung für die Beschäftigten und die gewerkschaftliche Kampfkraft der Automobilarbeiter beschreibt unter anderem die rätekommunistische Gruppe La Banda Vaga aus Freiburg in ihren »Thesen zu Industrie 4.0«: Während die Zahl der IT-Experten aufgrund der digital gesteu­erten und vernetzten Produktion wachse, wird das Fachwissen vieler bisheriger Arbeiter entwertet. Das lässt selbst bei den Kernbelegschaften Entlassungsängste aufkommen und schwächt ihre Position im Arbeitskampf. La Banda Vaga folgert daraus, dass sich im Zuge der Digitalisierung und des Übergangs zur Elektromobilität auch die Ausbeutung der Arbeitskraft verschärfen wird.

Das sehen auch viele Beschäftige so. Deshalb ist die offizielle Forderung der IG Metall, den Übergang zur Elektromobilität voranzutreiben, intern nicht unumstritten. Allerdings wäre es falsch, die Automobilarbeiter und ihre gewerkschaftlichen Vertreter als uneinsichtige Bremser zu bezeichnen, die den Klimawandel nicht ernst nehmen. Das zeigt unter anderem die im Juni erschienene Studie »E-Mobilität, ist das die Lösung?« der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS). Auf Basis von ausführlichen Interviews mit betrieblich aktiven Gewerkschaftern aus der Auto­branche, wie Betriebsräten und Vertrauensleuten, liefert sie einen Eindruck davon, was die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten denken und diskutieren.

Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung zeigen die Befragten ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Bedeutung der Klimafrage. Mit dem ökologischen Versagen der eigenen Branche gehen sie hart ins Gericht. Ressourcenknappheit, die problematische PKW-Dichte in Ballungsräumen und die ökologischen Folgen der Autoproduktion spielen für sie eine große Rolle.

»Ich will also meinen Lebensstandard behalten, gleichzeitig darf die Ökonomie nie vor der Ökologie stehen, wenn wir unseren Planeten nicht kaputt­machen wollen«, lautet eines von zahlreichen Zitaten in der Studie. »Ein Großteil der Kollegen sieht das ähnlich. Wir haben einen Klimawandel, da muss man was machen.«

Eine ökologische Verkehrswende halten alle Befragten für notwendig, insbesondere einen starken Ausbau des ÖPNV. Einhellig äußern sie eine hohe Bereitschaft, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren, und eine nachlassende Begeisterung für das eigene Auto. Insgesamt konstatieren die Autoren der Studie eine »bemerkenswerte kritisch-reflektierte Produzentenintelligenz« im Hinblick auf die Umwelt- und Klimaprobleme. Die befragten Beschäftigten haben also nicht nur umfangreiches technisches und betriebliches Fachwissen, sondern betrachten auch die gesellschaftlichen und ökologischen Konsequenzen der Automobilgesellschaft kritisch.

Doch auch die Sorge über die Entqualifizierung ihrer Arbeit, wie sie von La Banda Vaga analysiert wird, zeigt sich in der Befragung. Immer wieder kollidiert das Interesse am Erhalt tariflich abgesicherter Arbeitsplätze mit der beschriebenen kritisch-reflektierten Produzentenintelligenz. »Da wird im Kopf durchdacht: Was ist wichtiger? Mein Arsch oder das Klima? Da sind die Kollegen noch nicht so weit, zu sagen, dass man das nicht mehr von­einander trennen kann«, bringt einer der befragten Automobilarbeiter das Dilemma auf den Punkt.

Das Elektroauto sehen nur die wenigsten positiv. Die Zweifel an dessen ­Umweltverträglichkeit sind groß – viele führen hier die Verlagerung von Rohstoff- und Entsorgungsproblemen in den globalen Süden an. Die Autoren der Studie stellen zudem fest, dass bei den Beschäftigten der Glaube, durch das eigene Konsumverhalten gesellschaft­liche Veränderungen herbeiführen zu können, gering ist.

Mit ihrer Skepsis, was die Klimabilanz von Elektroautos und die Individualisierung einer gesamtgesellschaftlichen Frage anbelangt, dürfte das Urteil der Befragten wohl realistischer sein als das so mancher Propagandisten der Elektromobilität. Auch die in den Interviews vielfach geäußerten Einschätzungen, dass die Neue­rungen mit Verschlechterungen für die Beschäf­tigten einhergehen und die Kosten der Verkehrswende wohl auf die Arbeitenden abgewälzt werden, lassen sich kaum bestreiten.

Hier liegt auch der Grund für die innergewerkschaftliche Kritik an der Strategie der IG Metall. Vielfach wird das Fehlen eigenständiger gewerkschaftlicher Transformationsansätze kritisiert: Man orientiere sich zu stark an der Expertise und Analyse der ­Unternehmensseite. Die Ausrichtung der IG Metall auf das Elektroauto ­halten viele für verengt. »Auf die Frage, was passiert, wenn die Elektrostrategie versagt, gibt es keine Antwort«, so einer der Befragten. Einige von diesen plädieren stattdessen für eine gewerkschaftliche Debatte über tiefergreifende gesellschaftliche Veränderungen und über Alternativen zum Individualverkehr.

Neben der IG Metall sucht auch die Gewerkschaft Verdi die Zusammenarbeit mit FFF. Auf Distanz geht hingegen die IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE), die unter anderem die Beschäftigten im Kohleabbau organisiert. Die Forderungen vom FFF würden dem Vorsitzenden der IG BCE, Michael Vassiliadis, zufolge »unseren gesellschaftlichen Wohlstand gefährden«, einen »Kahlschlag in der Industrie nach sich ziehen« und die »Sicherheit unserer Stromversorgung gefährden«.

Von einer einheitlichen Strategie im Umgang mit den Herausforderungen der Klimakrise sind die Gewerkschaften also weit entfernt. Dabei könnte eine solche den gemeinsamen Arbeitskampf stärken, wie auch die Studie der RLS zeigt. Denn von den Transformationsstrategien »ihrer« Unternehmen erwarten die Beschäftigten wenig. »Dem Management wird überwiegend schlicht nicht zugetraut, kluge strategische Entscheidungen zu treffen, die es erlauben würden, die Lohn- und ­Beschäftigungsbedingungen auch zukünftig zu sichern«, bilanzieren die Autoren.

Auch auf die Fähigkeiten der Politik vertrauen die Beschäftigten kaum, wenn es um eine ökologische Verkehrswende geht. »Der Verkehrspolitik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene wird einfach nicht zugetraut, dass sie einen adäquaten ÖPNV ermöglicht«, so das Fazit der Autoren. Eine von den Unternehmen unabhängige Trans­formationsstrategie böte den Gewerkschaften also vielfältige Chancen – und könnte unter Umständen sogar durchgesetzt werden.