Das Buch »The Last Man Takes LSD« erzählt von Michel Foucaults Drogentrips

Selbstverwirklichung in der Wüste

Kiepenheuer & Witsch verschob Anfang Mai die Veröffentlichung eines Buches über Michel Foucault aufgrund von Vorwürfen, dieser habe Kinder sexuell missbraucht. Das kürzlich ­erschienene Buch »The Last Man Takes LSD« erzählt von den Drogentrips des Philosophen – und wie diese sein Denken prägten.

Michel Foucault ist ein philosophischer Superstar. Auf Boulevardniveau wurde denn auch kürzlich der Vorwurf des französischen Autors Guy Sorman verhandelt, Foucault habe in Tunesien Ende der sechziger Jahre minderjährige Jungen missbraucht. Stellenweise durfte auch ein homophober Unterton nicht fehlen, beispielsweise wenn in der Zeit vom »Homosexuellen der harten Sorte« die Rede ist. Vor allem in Frankreich dienten die Vorwürfe den Rechten, um den Vordenker des sogenannten »Islamo-Gauchisme« zu verhöhnen.

Da für Foucault Klasse und Herrschaft keine brauchbaren Begriffe mehr waren, fand er im Neoliberalismus eher Anschlussmöglichkeiten für sein eigenes offenes Denken.

Verteidiger Foucaults wiesen hingegen darauf hin, dass die Vorwürfe auf Hörensagen beruhten, und meinten, sie müssten erst sorgfältig geprüft werden, ebenso wie die Frage, wie sich solche Taten Foucaults gegebenenfalls auf sein Werk ausgewirkt hätten. Auf das Ergebnis einer solchen Prüfung wartet wohl auch der Verlag Kiepenheuer&Witsch, der die geplante Veröffentlichung von Simeon Wades »Foucault in Kalifornien«, wohlgemerkt eines Buchs über, nicht von Foucault, für eine »aktuelle Einordnung« nun fast ein Jahr verschiebt.

Was ist von solch einer Einordnung zu erwarten? Will man in Foucaults Werk nun eine Rechtfertigung für Pädophilie oder sexualisierte Gewalt finden oder es von jedem Makel freisprechen? Das wäre bis zu einem gewissen Grad Unsinn. Und doch entspräche es dem generellen Umgang mit Foucault, jener kontextlosen und fetischisierten Lektüre, wahlweise als Götzenverehrung oder -vernichtung angegangen. Beides würde ein weiteres Mal an der vielleicht einzig relevanten Frage zur Verbindung von Werk und Autor bei Foucault vorbeizielen, die immer noch unbeantwortet geblieben ist, nämlich der nach dem politischen Gehalt seiner Theorie: Welche Art Emanzipation lässt sich mit der Theorie des in linken Kreisen ungebrochen beliebten Foucault eigentlich denken?

Im günstigsten Fall könnte das kürzlich auf Englisch erschienene Buch »The Last Man Takes LSD. ­Foucault and the End of Revolution« von Mitchell Dean und Daniel Zamora dabei behilflich sein. Es ordnet das letzte Schaffensjahrzehnt Foucaults in die politische Suche nach emanzipatorischen Alternativen in den siebziger und achtziger Jahren ein. Der titelgebende LSD-Trip Foucaults im kalifornischen Death Valley 1975 ist dafür nur ein Aufhänger, ein Beispiel für die körperlichen Grenz­erfahrungen Foucaults, die ihm als eine politische Horizonterweiterung erschienen. Die Autoren versuchen, auf dieser Grundlage den theoretischen Perspektivwechsel Foucaults zu erklären. In dem im Buch als Faksimile abgedruckten Brief an seinen kalifornischen Gastgeber Simeon Wade (den Autor von »Foucault in Kalifornien«) schreibt Foucault, es sei eine der wichtigsten Erfahrungen seines Lebens gewesen, und dann, ein halbes Jahr später, dass er sein komplettes Vorhaben zu »Sexualität und Wahrheit« deswegen umarbeiten müsse.

In seiner letzten Schaffensperiode wandte Foucault sich von seiner Umdeutung von Macht hin zu den Mechanismen der Subjektivierung, einem neuen Verständnis einer Mikro­politik des Widerstands und den Spielräumen dafür in den »Gouvernementalitäten« der Gegenwart. Dean und Zamora zufolge war dies eine Suche nach einem neuen Ethos der Linken vor dem Hintergrund der ­politischen Katerstimmung nach 1968, dem Scheitern einer marxistischen Linken und dem, wie es im Untertitel des Bandes heißt, »Ende der Revolu­tion«. Die Zeichen standen auf Flucht nach vorn. Foucaults Theorieentwicklung sei daher weniger die einer kohärenten Position als vielmehr eine Exkursion jenseits der ausgetretenen Pfade.

Die Autoren stellen sich die leitende Frage, wie sich vor diesem Hintergrund Foucaults Affinität zur Programmatik des Neoliberalismus deuten lasse, die er zum Beispiel in seiner Vorlesungsreihe zur »Geburt der Biopolitik« 1978/79 artikulierte. Zamora hatte diese Frage bereits 2014 in einem kontrovers diskutierten Interview im US-Magazin Jacobin aufgeworfen und in einem Sammelband mit Gleichgesinnten (darunter Dean) ausgeführt. Daran anschließend gehe es nicht darum, so die Autoren, Foucault als einen insgeheim bösen Jungkonservativen zu entblößen, dessen Theorie die Affirmation des Neoliberalismus als Projekt der Klassenherrschaft vorantreibe. Da für Foucault ja Klasse und Herrschaft keine brauchbaren Begriffe mehr waren, fand er im Neoliberalismus mit dessen Betonung des Einzelnen gegen die Gesellschaft eher Anschlussmöglichkeiten für sein eigenes offenes Denken.

Dieses speise sich zunächst aus seiner offensichtlichen Abgrenzung vom Marxismus, von dem sich eine ganze Generation der französischen Denker spätestens Ende 1973 mit Veröffentlichung von Alexander Solschenizyns »Archipel Gulag« abgewandt hatte, dessen Erstausgabe übrigens in Paris erschien. Das antikommunistische Argument, jede sozialistische Politik münde in den ­Gulag, wurde theoretisch durch jenes ergänzt, dass jeder Marxismus zum totalitären Denken tendiere. Antitotalitarismus sei entsprechend eines der wenigen Bindeglieder ­einer »neuen« Linken im Post-Achtundsechziger-Frankreich gewesen, die sich sowohl gegen den Parteimarxismus und die strukturalistischen Vorgaben eines Louis Althusser richtete wie gegen den Staat oder den sozialistischen Versuch, Staatsmacht zu erobern. Während also die organisierte Linke sich in neuen Bündnissen zusammenzuschließen versuchte, sympathisierte Foucault eher mit dem »erweiterten Liberalismus« ­Valéry Giscard d’Estaings, der 1974 die Präsidentschaftswahlen knapp ­gegen den Sozialisten François Mitterrand gewonnen hatte, mit den Autoren der Nouvelle Philosophie um Alain Finkielkraut und André Glucksmann oder eben dem Neoliberalismus der Chicagoer Schule.

In Foucaults Werk findet man diese Abgrenzung auch in seinem Verständnis von Macht. Macht ist da nicht mehr die repressive Kapazität des Staats, sondern omnipräsent und produktiv in der Verbindung von Wahrheit und Wissen. Foucault legte sein Augenmerk daher auf das Subjekt und die Machtwirkungen, die dieses hervorbrachten. Er wandte sich gegen eine, wie er es nannte, »Hermeneutik des Subjekts«, also das für die Moderne prägende christliche Verständnis von Subjektivierung, in der Subjektivität durch eine Art Geständnis einer inneren Wahrheit hervorgebracht werde. Indem er diese historisch relativierte, machte er solche modernen Herstellungsweisen von Wahrheiten, die er auch in den naturwissenschaftlichen ­Forschungen und den Untersuchungen der Humanwissenschaften entdeckte, der Kritik zugänglich.

Die Antike schien ihm ein Vorbild für eine andere Art der Selbstbeziehung, in der das Subjekt nicht einfach sich selbst erkennen und seiner Wahrheit verpflichten müsse, sondern offener bleiben könne für eine »Ökonomie der Lüste«. Wenn, dann findet man in diesem Zusammenhang Äußerungen Foucaults zur Knabenliebe. Aber, so Dean und Zamora, es sei Foucault weniger um eine Verherrlichung der Antike gegangen, auch wenn er durchaus Sympathien für vormoderne oder gar regressive Momenten hegte, zum Beispiel in seiner Verteidigung der iranischen ­Revolution von 1979. Vielmehr sei es um Inspiration für eine Form des Widerstands gegen den Paternalismus der Normalität gegangen.

Für Foucault werde so das Subjekt selbst zum Schauplatz eines politischen Kampfs, und zwar gegen jene Normalisierungen, die eine Gesellschaft ihren Individuen aufnötige. Wenn der Staat nicht die Macht innehabe, sondern nur bestimmte Arten und Weisen normalisiere, in denen sich Selbstverhältnisse ausprägen können, wenn folglich das Individuum aus sich selbst heraus Widerstand gegen diese Wahrheitsregime leisten könne, dann könnte man meinen, es liege doch auf der Hand, dass es politisch um einen größtmöglichen Freiraum der Subjekte gehen müsse.

Unter anderem mit diesem Argument plausibilisieren Dean und ­Zamora Foucaults Hinwendung zum Neoliberalismus: Ein auf Akteure zentrierter, nichtnormativer Rahmen für pluralistische Existenzweisen, für das Potential, aus sich selbst das Beste zu machen. Ein solcher Zeitgeist finde sich, wie die Autoren an manchen Stellen bemerken, auch in Roland Barthes’ Motiv vom Tod des Autors, der die autoritär gesetzte Bedeutung eines Texts für die freie Interpretation öffnen soll, oder Vorstellungen wie jener der »molekularen Revolution« von Gilles Deleuze und Félix Guattari.

Hier wird kein völlig neues Bild von Foucault gezeichnet und keine neue Lesart vorgeschlagen. Interessant ist es doch, wie die Autoren ganz zum Schluss bemerken, dass sich heute anders auf die Gewiss­heiten einer von Foucault inspirierten Sozialwissenschaft blicken lässt, und zwar genau von deren politischer Konsequenz her. Was würde es denn eigentlich für das emanzipatorische Potential jener Sozialwissenschaft bedeuten, wenn die Foucault’sche »Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden«, tatsächlich bloß bestehende Herrschaft affirmiert, die in erster Linie darin besteht, die Subjekte den Kräften der Selbstvermarktung zu überlassen?

Schon Slavoj Žižek witzelte über Yuppies, die Deleuze lesen, und Nancy Fraser prägte jüngst den Begriff des progressiven Neoliberalismus. Zamora und Dean geben hier keine endgültige Antwort, und auch ihre These vom drogeninduzierten Erweckungserlebnis zielt eher auf eine weitere kuriose Erzählung über das große Genie. Trotzdem macht das Buch es möglich, Foucaults Thesen als eine spezifische Reaktion auf die politische Herausforderung seiner Zeit zu verstehen, in der es einer radikalen Neuerfindung linker Praxis bedurfte – und diese Praxis kritisch zu beurteilen. Idealerweise ließe sich so auch nach dem heutigen Stand der Praxis fragen, die sich nun wieder von ­einem Foucault’schen Horizont abhebt. Konkret also, ob es nach Foucault auch wieder eine Möglichkeit geben kann, die Revolution nicht als beendet zu denken.

 

Mitchell Dean und Daniel Zamora: The Last Man Takes LSD. Foucault and the End of Revolution. Verso Books, London/New York City 2021, 256 Seiten, ca. 22 Euro