Der Lieferdienst Gorillas setzt seine Kurierinnen und Kuriere unter Zeitdruck

Einkaufsspaß nicht für alle

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Das Berliner Start-up-Unternehmen Gorillas verspricht die Lieferung von Supermarktwaren innerhalb von zehn Minuten nach Bestellung. Kunden können ausschließlich über eine App bestellen; die Lieferung übernehmen Radkurierinnen und -kuriere; diese Leistung wird mit 1,80 Euro pro Lieferung berechnet. Auch die Arbeitsorganisation des Unternehmens basiert auf einer App. Derzeit liefert das Unternehmen Lebensmittel in acht deutschen Großstädten aus.

»Es kommt vor, dass man in einer Schicht von acht Stunden keine Pausen nehmen soll, weil es zu ›busy‹ ist«, sagt die Kurierin. Die Lieferzeit von zehn Minuten gebe ein hohes Tempo vor.

Unter Investoren wird Gorillas als potentiell sehr profitabel eingestuft, viele Konkurrenten wie das Hamburger Start-up Flink wollen den Markt für Lebensmittellieferung ebenfalls erschließen. Factory Berlin, ein großer Start-up-Campus in Berlin-Mitte, wo auch die Büroräume von Gorillas angesiedelt sind, schwärmt enthusiastisch davon, dass Gorillas deutsche Großstädte »im Sturm eingenommen habe« und nun Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Utrecht, London »erobere«.

Das Unternehmen macht zurzeit mit Werbeplakaten auf sich aufmerksam. In großen, klaren Buchstaben, weiß auf schwarzem Grund, prangen die Sprüche der Gorillas-Werbekampagne in deutschen Großstädten. Sie richten sich an eine junge Käuferschaft und ermuntern diese mit einem Augenzwinkern, dem Konsumimpuls nachzugeben und sich etwas vielleicht nicht unbedingt Notwendiges zu gönnen, sprich liefern zu lassen, zum Beispiel Bio-Gurken aus regionalem Anbau, Papers für Joints oder Süßigkeiten. Das Einkaufen via App bewirbt das Unternehmen wie einen neuen Freizeittrend mit dem Hashtag #Obsessed.

Obwohl Experten anzweifeln, dass das Geschäft der Lebensmittellieferdienste profitabel sein wird, ist viel Geld für den Ausbau des Unternehmens da: Mitgründer und Geschäftsführer Kağan Sümer warb bislang mehr als 245 Millionen Euro ein. Mit ihrer Investition spekulieren die Geldgeber, darunter das chinesische Unternehmen Tencent und der private Hedgefonds Coatue aus New York City, darauf, dass der Verkauf oder Börsengang des Unternehmens Rendite für sie bringen wird. Coatue hält nach Informationen der Website deutsche-startups.de 19,4 Prozent der Anteile. Gorillas konnte durch das Einwerben dieser Investitionen seinen Marktwert steigern: Nach nur neun Monaten zählt das Unternehmen zu den sogenannten Einhörnen, also den Start-ups, die mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Noch nie wurde so viel in die Branche der Lebensmittellieferdienste investiert wie in den ersten Quartalen 2021.

Was für die Kundschaft als Freizeit­spaß am Smartphone beworben wird, bedeutet für die Beschäftigten schwere körperliche Arbeit. Das eingeworbene Kapital soll die Firma vor allem im Konkurrenzkampf um die bessere Kundenbewertung stärken. Bei den Arbeitenden im Warenlager und auf den Lieferfahrrädern sorgt das für Druck. Die schnelle Vergrößerung des Betriebs vollzieht sich aus ihrer Sicht chaotisch. An vielen Stellen seien die Beschäftigten überfordert, berichtet die Gorillas-Kurierin Nina* der Jungle World.

»Manchmal werden Leute zu Schichten eingeteilt, die bereits gefeuert sind«, nennt sie als Beispiel. Dann sei das jeweilige Arbeitsteam unterbesetzt. Solche Pannen müssen die Beschäftigten ausgleichen. Dabei würden Arbeitsrechte missachtet. »Es kommt vor, ­dass man in einer Schicht von acht Stunden keine Pausen nehmen soll, weil es zu busy ist«, sagt die Kurierin. Die versprochene Lieferzeit von zehn Minuten gebe ein hohes Arbeits- und Fahrtempo vor. Auch das von Gorillas zugesicherte Maximalgewicht der Transporttaschen von zehn Kilogramm werde oft weit überschritten, sagt Paul*, ein anderer Kurier. Es gebe keine Waage, aber man könne das Gewicht der eingepackten Waren im Kopf überschlagen.

Auch an anderen Stellen gibt es Probleme: Die Lagerräume sind zu klein, ausreichende Pausenräume fehlen. Anwohnende ärgern sich, denn es werden auch Wege, Straßen und Einfahrten zum Beladen und Packen genutzt. Ihr Ärger treffe mitunter die Kurierinnen und Kuriere, auch wenn wohl eigentlich das Unternehmen gemeint sei, berichtet Paul. Er habe dafür Verständnis, aber es gebe kaum eine andere Möglichkeit, Pause zu machen, als vor dem Warenlager eine schnelle Zigarette zu rauchen. Auch die Technik von Gorillas ist unzureichend entwickelt: Das unabhängige Forschungskollektiv Zerforschung hatte Anfang Mai aufgedeckt, dass durch ein mittlerweile geschlossenes Datenleck bei Gorillas 200 000 Kundendaten einsehbar waren.

Für viele der Beschäftigten ist es der erste reguläre Job in Deutschland, das Risiko, ihn zu verlieren, ist hoch. Gegen diese Unsicherheit gehen sie vor: Im Februar 2021 haben sich bei Gorillas Beschäftigte zur Verbesserung ihrer Situation zum Gorillas Workers Collective (GWC) zusammengeschlossen. Das Management wehre sich dagegen mit Methoden des sogenannten union busting, also der systematischen Bekämpfung von Arbeitnehmervertretungen, schreibt das GWC in einem Papier, das der Jungle World vorliegt. Angestellten sei bei Treffen mit den Vorgesetzten vorgeworfen worden, sie würden »mit ihren Beschwerden den Vibe ruinieren«. Bei einer Betriebsversammlung am 3. Juni wurden zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl neun GWC-Mitglieder zum Wahlvorstand gewählt. Noch in derselben Nacht zweifelte das Management in einer E-Mail die Rechtmäßigkeit der Wahl an.

* Namen von der Redaktion geändert.