Das Oberlandesgericht Dresden hat den Jihadisten Abdullah al-H. zu lebenslanger Haft verurteilt

An den Grenzen des Rechtsstaats

Das Oberlandesgericht Dresden hat den Islamisten Abdullah al-H. zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Eine Aufklärung des fragwürdigen Verhaltens der Behörden brachte der Prozess nicht.

»Wenn jemand sich zum Herrn über das Leben aufschwingt und dafür den Namen Gottes missbraucht, ist das sicherlich eine Sünde, die kaum zu übertreffen ist«, frömmelte der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats am Freitag vergangener Woche bei der Urteilsverkündung im Dresdner Oberlandesgericht. Dort lief seit Mitte April der Prozess gegen den Angeklagten Abdullah al-H.; er hatte im vergangenen Oktober in der Dresdner Innenstadt zwei Männer aus islamistischem und schwulenfeindlichem Motiv mit Messern angegriffen. Thomas L. erlag seinen Verletzungen, Oliver L. überlebte schwer verletzt. Der Richter stellte eine besondere Schwere der Schuld fest und verurteilte den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Haft mit vorbehaltlicher Sicherheitsverwahrung.

Bereits im November 2018 hatte dasselbe Oberlandesgericht al-H. zu einer Gefängnisstrafe nach Jugenstrafrecht verurteilt: Man warf ihm vor, eine staatsgefährdende Straftat geplant und Werbung für die terroristische Vereinigung »Islamischer Staat« (IS) gemacht zu ­haben. Das Amtsgericht Leipzig verlängerte im Dezember 2019 diese Strafe um einige Monate wegen eines Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und einer Körperverletzung während der Haft.

Bereits am ersten Verhandlungstag wurde deutlich, dass al-H. schon während dieser Haft den Plan gefasst hatte, einen Anschlag zu verüben. Das sagte der Angeklagte dem als Zeuge geladenen psychiatrischen Gutachter Norbert Leygraf, dem zufolge der Angeklagte seine Tat mit einem »heiligen Krieg gegen Ungläubige« erklärt habe. Leygrafs Gutachten lieferte bemerkenswerte Hinweise auf den patriarchalen Zusammenhang von Männlichkeit, Sexualität und jihadistischer Ideologie: So handelten al-H.s Ausführungen von einer auf Frauen projizierten Angst vor der eigenen Sexualität und homosexualitätsfeindlichen Aggressionen.

Mehrfach habe der Angeklagte von seiner »Angst vor Dämonen« gesprochen, die Leygraf zufolge für seine negativ besetzten und abgespaltenen sexuellen Anteile stünden. Durch seine Unterwerfung unter die strengen Regeln der jihadistischen Ideologie habe der Angeklagte einen Ausweg aus dem als unrein verstandenen irdischen Dasein gesucht. In seiner Aussage vor Gericht kritisierte der Psychiater, dass sowohl die Gefängnispsychologin als auch die Deradikalisierungsberatung Violence Prevention Network (VPN) dieses wichtige Thema ausgeklammert hätten. Für die Mitarbeitenden der Beratung standen vertrauensbildende Maßnahmen im Vordergrund. Sie nahmen an, dass sein religiöser Fundamentalismus ein theologisches Bildungsproblem sei. Auch eine Beamtin des zuständigen sächsischen Landeskriminalamts (LKA), die für die Einstufung von al-H. als Gefährder verantwortlich war, hatte mit dem Angeklagten noch wenige Monate vor dessen Haftentlassung über Interpretationen einzelner Suren im Koran diskutiert, wie sie selber vor Gericht aussagte.

Das Gericht folgte in der Urteilsbegründung in wesentlichen Zügen dem psychiatrischen Gutachten von Leygraf: Der Täter sei ein homosexualitätsfeindlich motivierter Islamist, der nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen sei. Er sei derart ideologisch ­gefestigt, dass von ihm auch in Zukunft eine ernstzunehmende Gefahr ausgehe.

Die Verurteilung fällt in eine Zeit, in der erneut über den Umgang mit islamistischen Attentätern debattiert wird; Abschiebungen werden dabei nicht selten als rechtsstaatliche Lösung präsentiert. Dagegen verwahrte sich Schlüter-Staats: Er wurde im Laufe des gesamten Verfahrens nicht müde zu betonen, dass es im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Werten stehe, »dass jemand in den Tod geschickt wird, selbst jemand wie der Angeklagte«.

Doch die Behörden hatten anders darüber gedacht: So sagte die LKA-Beamtin aus, dass während seiner ersten Haftzeit geprüft wurde, ob der in Syrien Geborene trotz eines offiziellen Abschiebeverbots nach Syrien abgeschoben werden könne – man versuchte, al-H. zur »freiwilligen Ausreise« zu bewegen. Die Idee sei gewesen, dass er bei einem »Zwischenstopp in Ägypten oder Marokko aussteigen« könne. Dass er in anderen Ländern Straftaten hätte begehen können, scheint offenbar nicht mehr in den Aufgabenbereich der Beamtin gefallen zu sein.

Weiterführende Einblicke in die Maßnahmen der Behörden gab es jedoch vor Gericht nicht. Der Hinweis der LKA-Beamtin auf ihre eingeschränkte Aussagegenehmigung wurde von Gericht und Bundesanwaltschaft ebensowenig hinterfragt wie die Rolle des sächsischen Verfassungsschutzes, der al-H. noch am Tag der Tat observiert hatte. Der Nebenklageanwalt Maximilian Klefenz bemängelte diese fehlende Aufklärung, zeigte sich aber mit dem Urteil zufrieden.

Beunruhigend bleibt, dass es trotz der Überwachung, der Erteilung von Meldeauflagen und der Androhung von Abschiebung nicht möglich war, den ideologisch gefestigten Islamisten an seiner Mordtat zu hindern.