Die russische Regierung will mit Impfdiplomatie international Einfluss nehmen

Der Schock bleibt aus

Die russische Regierung bemüht sich mit ihrer Impfdiplomatie um größeren Einfluss in europäischen und anderen Ländern, auch wenn der Impfstoff Sputnik V bislang nur in begrenzten Mengen produziert werden kann.

Wenn es um den Covid-19-Impfstoff Sputnik V geht, wird in Moskau derzeit jeder noch so bescheidene Exporterfolg, jede kleine Lizenzproduktion im Ausland medienwirksam verkündet. Dabei ist die Anzahl der zum größten Teil bislang nur versprochenen Impfdosen bisher eher marginal, verglichen mit den Mengen, die chinesische und insbesondere indische Pharmafirmen schon tatsächlich ausgeliefert haben. Da bis heute kein demokratisches Land mit einer halbwegs unabhängigen Arzneimittelzulassungsbehörde den in Russland entwickelten Impfstoff Sputnik V geprüft und zugelassen hat, weiß niemand, ob den Angaben zu trauen ist, die eine Wirksamkeit von über 91 Prozent und eine Rate ernsthafter Nebenwirkungen nahe null versprechen.

Für Russland hatte Präsident Wladimir Putin bereits im August des vergangenen Jahres stolz die weltweit erste Zulassung eines Impfstoffs gegen Sars-CoV-2 verkündet. Dass Sputnik V sich noch in einem frühen Stadium der Erprobung befand und bis dahin nur an relativ wenigen Personen getestet worden war, störte ihn nicht. Die Namensgebung ist für die Propaganda nicht unwesentlich. Bewusst bezieht sie sich auf den sogenannten Sputnik-Schock von 1957, als es der damaligen Sowjetunion als erstem Land überhaupt gelang, einen Satelliten ins Weltall zu befördern, wodurch sie ihre technologischen und militärischen Fähigkeiten demonstrierte.

Die Bedenken und die Kritik an der Vorgehensweise bei der Entwicklung des russischen Vakzins sowie an der Inkonsistenz der veröffentlichten Daten konnte die russische Regierung bisher nicht ausräumen. So weisen unabhängige, kritische Wissenschaftler um den Italiener Enrico Bucci immer wieder auf Ungereimtheiten in den Veröffentlichungen hin und fordert Zugang zu den Rohdaten, um den Verdacht der Manipulation auszuräumen. Auch ein am 20. ebruar in der weltweit renommierten medizinwissenschaftlichen Zeitschrift The Lancet publizierter Artikel zur Wirksamkeit von Sputnik V ist Bucci zufolge nicht frei von Widersprüchen und Hinweisen auf im Sinne der Autoren angepasste Ergebnisse. Das ist bedenklich für eine Fachzeitschrift, die mit qualitativ hohen Ansprüchen an wissenschaftliche Veröffentlichungen sowie unabhängigem peer review wirbt.

Solchen Bedenken trotzend weilte Alice Weidel, die Bundesvorsitzende der AfD, Anfang März zusammen mit führenden Parteikollegen auf Einladung offizieller russischer Stellen in Moskau. Neben Gesprächen mit Abgeordneten der Duma stand ein Besuch des Gamaleja-Instituts auf dem Programm, wo die Gäste an der Entwicklung des russischen Impfstoffs beteiligte Wissenschaftler trafen. Anschließend gab Weidel ein Interview, in dem sie sowohl Sputnik V als auch den Umgang der russischen Regierung mit der Covid-19-­Pandemie lobte. So weit, sich mit dem russischen Vakzin impfen zu lassen, ging ihre Begeisterung dann aber doch nicht.

Auch darin folgte sie dem russischen Präsidenten Putin, der eine publikumswirksame Impfung bisher mit dem Argument vermieden hat, er sei noch nicht an der Reihe. Diese ungewöhnliche Bescheidenheit blieb nicht ohne Eindruck auf die Mehrzahl seiner Mitbürger: Bisher sollen erst circa fünf Prozent der russischen Bevölkerung geimpft sein, der Andrang hält sich trotz eines niedrigschwelligen Zugangs zu Impfungen sehr in Grenzen.

In Deutschland forderte kürzlich der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (»Die Linke«), die schnelle Zulassung von Sputnik V. Der Einsatz des Impfstoffs könne »zum Verständnis beitragen, dass osteuropäische Forschung nicht schlechter ist als kapitalistische«, zitierte ihn der Evangelische Pressedienst. Das klingt, als gehöre ­Ramelow zu jener Strömung innerhalb seiner Partei, die der obskuren Überzeugung anhängt, in Russland gebe es keinen Kapitalismus. Woher der gelernte Kaufmann sein Wissen über Wirksamkeit und Verträglichkeit von Sputnik V nimmt, bleibt sein Geheimnis.

Doch auch Thomas Mertens, der Vorsitzende der ständigen Impfkommis­sion (Stiko), hält Sputnik V für einen guten Impfstoff und wünscht sich seine baldige Zulassung in der EU. Die Frage drängt sich auf, woher er seine Zuversicht nimmt, wenn doch bisher die Rohdaten nicht für eine Überprüfung bereitgestellt wurden. Es schafft nicht gerade Vertrauen in die hiesigen Gesundheitsbehörden, wenn der oberste Vertreter der für Impfungen zuständigen Überwachungsinstitution dem Ergebnis einer unabhängigen Überprüfung durch die europäische Arzneimittelagentur (EMA) in einem Pressestatement vorgreift und damit auch Kritik russischer Ärzte ignoriert, die es einer Umfrage zufolge mehrheitlich ablehnen, sich mit Sputnik V impfen zu lassen. Christa Wirthumer-Hoche, die Leiterin des Verwaltungsrats der EMA, riet dagegen wegen mangelnder Daten von der Zulassung von Sputnik V zum jetzigen Zeitpunkt dringend ab.

Wie effektiv und verträglich Sputnik V ist, wird sich eventuell in den kommenden Monaten zeigen. Um möglichen Manipulationen der sicherlich unter hohem Druck agierenden russischen Wissenschaftler auf die Spur zu kommen, ist eine Veröffentlichung aller relevanten Ergebnisse notwendig.

Selbst dann noch stellt sich aber die Frage nach den Produktionskapazitäten: Russischen Angaben, man habe in Deutschland, Italien und anderen Staaten Kooperationspartner gefunden, ist mit Vorsicht zu begegnen. Sie bleiben auffallend wenig konkret: Weder werden die genauen Bedingungen der Kooperationen genannt, noch ist es gelungen, große Herstellern dafür zu ­gewinnen. Die produktionsstarke indische Pharmaindustrie konzentriert sich jedenfalls voll und ganz auf westliche Konkurrenzprodukte.

Mitgliedern der AfD und der Linkspartei, die derweil ungeduldig werden, steht es frei, sich in Moskau impfen zu lassen. Presseberichten zufolge arbeiten russische Geschäftsleute bereits an entsprechenden Pauschalreisen.