Nach dem Prozess gegen einen waffenhortenden KSK-Soldaten bleiben Fragen

Der bewaffnete Durchschnitt

Der ehemalige KSK-Soldat Philipp Sch. wurde vergangene Woche wegen Verstößen gegen das Waffen-, das Sprengstoff- und das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt. Sein Fall ist nicht außergewöhnlich, sondern Ausdruck der rechtsextremen Normalität in der Elitetruppe der Bundeswehr.

Sichtlich erleichtert verließ Philipp Sch. am Freitag vergangener Woche das Leipziger Landgericht. Mit dem ehemaligen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) freuten sich seine Verlobte und seine Eltern, die ihn zu jedem Prozesstag begleitet hatten. Der Vorsitzende Richter Jens Kaden hatte Sch. zu zwei Jahren auf Bewährung wegen Verstößen gegen das Waffen-, das Sprengstoff- und das Kriegswaffenkontrollgesetz ver­urteilt. In seinem Garten im nordsächsischen Collm hatte der Verurteilte Depots für Waffen, Munition und Sprengstoff angelegt, die teilweise aus Beständen der Bundeswehr entwendet worden waren.

Wie sie genau in seinen Besitz gekommen waren und was er mit dem von ihm beiseite geschafften Kriegsmaterial vorhatte, wurde vor Gericht nicht abschließend geklärt. Stattdessen versuchte der Angeklagte, sich als Opfer zu inszenieren: einerseits als medial Vorverurteilter, der »in die rechte Ecke gestellt« worden sei, andererseits als Ausbilder, der nur das Beste für seine Einheit im Sinn gehabt habe. Munition und Sprengstoff habe er nur entwendet, weil er die Ausbildung seiner Einheit habe sicherstellen wollen, hatte Sch. am ersten Prozesstag gesagt.

Diese Erklärung ließ ihm Richter Kaden allerdings nicht durchgehen. Als »irrational« und »in allen Punkten seltsam« bezeichnete er die Einlassungen des Verurteilten. In seiner Urteilsbegründung ging der Richter explizit auf die rechtsterroristischen Anschläge in Hanau und Halle sowie auf den Mord an Walter Lübcke ein. Er machte deutlich, dass der antisemitische Attentäter von Halle mit der Menge Sprengstoff, die Sch. gebunkert hatte, »in die Synagoge gekommen« wäre.

Bereits während des Prozesses hatte Kaden wiederholt Fragen nach den im KSK gepflegten Traditionen gestellt. Im Verlauf des Verfahrens wurde deutlich, dass nicht nur das Andenken an die Wehrmacht, sondern auch das an führende Mitglieder der Waffen-SS und NS-Generäle geradezu selbstverständlich zum Brauchtum der Truppe gehört. Der Prozess lieferte damit Einblicke in die politischen Zustände in der Bundeswehr und vor allem im KSK. Die Einheit war 1996 gegründet worden, um deutsche Geiseln im Ausland zu befreien. Doch in jüngster Vergangenheit wurde sie beispielsweise eingesetzt, um deutsche Interessen »am Hindukusch« zu verteidigen.

Die jüngsten Vorfälle dieser Einheit – vom KSK-Soldaten Andre S., der das rechtsextreme Netzwerk Hannibal leitete, über die Erkenntnisse des Militärgeheimdienstes über überdurchschnittlich weit verbreitete rechtsextreme ­Ansichten unter KSK-Soldaten bis zum Brandbrief eines KSK-Hauptmanns wegen des Ausmaßes extrem rechter Umtriebe – zeigen, dass frühere Skandale keine Ausrutscher waren. So bekundete beispielsweise der damalige Kommandeur Reinhard Günzel im Jahr 2003 seine Unterstützung für den damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der kurz zuvor eine als antisemitisch kritisierte Rede gehalten hatte. Günzel wurde daraufhin entlassen. 2008 machte ein rechtsextremer Hauptmann des KSK Schlagzeilen, weil er einen Soldaten bedroht hatte, der sich kritisch über die rechtsextremen Tendenzen in der Spezialeinheit geäußert hatte. Sch. ist also kein spek­takulärer Sonderfall. An ihm zeigt sich die Normalität im KSK.

Die Führung der Bundeswehr und das Verteidigungsministerium sahen jahrelang zu, wie Rechtsextreme an der Waffe ausgebildet wurden und Netzwerke sich festigten. So setzte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) erst eine Arbeitsgruppe zum Rechtsextremismus im KSK ein, nachdem Sch. von der Polizei festgenommen worden war. Doch weiterhin bleiben sowohl mit Blick auf die Aufklärung als auch die Konsequenzen mehr Fragen als Antworten.

Im Verfahren wurde deutlich, dass nicht nur das Andenken an die Wehrmacht, sondern auch das an führende Mitglieder der Waffen-SS zum Brauchtum des KSK gehört.

Zwar tauchten im Verfahren immer wieder Hinweise auf die vom Richter so bezeichnete »rechtsnationale Einstellung« des Angeklagten Sch. auf. Aber zum Gegenstand des Verfahrens wurde sie nicht. Das hat auch mit den Ermittlungen zu tun, die die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft in eine bestimmte Richtung lenkten. Nachdem die Polizei mit großem Aufwand das Grundstück des Angeklagten durchsucht hatte, stockte die Untersuchung. An entscheidenden Stellen wurde nicht weiter nachgefragt oder es wurden Plattitüden als Antworten akzeptiert.

Zu Fotos führender deutscher Kriegsverbrecher der Waffen-SS und von Generälen der Wehrmacht, die bei Sch. gefunden worden waren, sagte etwa ein als Zeuge geladener Beamter des LKA wenig Substantielles: Der Inhalt der Bilder sei gar nicht Gegenstand der Ermittlungen der Sonderkommission Rechtsextremismus gewesen. Soldaten des KSK hätten sich in ihren Chatnachrichten mit Verweis auf die SS gegrüßt, antisemitische Bilder geteilt, die die Shoah, »ich will nicht sagen relativierten, eher lächerlich machten«, wie der ermittelnde Beamte der Sonderkommission berichtete. Ein rechtsextremes Weltbild sei den ermittelnden LKA-Beamten zufolge aber nicht zu erkennen gewesen.

Dabei gab es weitere Indizien für eine Nähe von Philipp Sch. zu Neonazismus und Nationalsozialismus. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hatte ihn als »rechtsextremen Verdachtsfall« geführt.

Maßnahmen leitete die Polizei ein, nachdem die damalige Ehefrau von Sch. entscheidende Hinweise auf die Waffendepots geliefert hatte. Der Angeklagte vermutete dahinter eine Verschwörung seiner ehemaligen Frau gegen ihn und seine Kameraden. Diese hielten auch vor Gericht zu ihm. »Normal«, »durchschnittlich«, »konservativ, wie die CDU vor zehn bis 15 Jahren«, so beschrieb ein ehemaliger Kamerad Sch. vor Gericht.

Ob Sch. konkrete Vorstellungen davon hatte, was er mit seinen Waffen anstellen würde, kam im Verfahren nicht ans Licht. Zu den möglichen Motiven des Angeklagten machte ein weiterer befragter Soldat allerdings eine scherzhafte Andeutung: Vielleicht habe Sch. in Vorbereitung auf eine »Zombieapokalypse« so gehandelt. In der völkischen Vorstellungswelt rechtsextremer Prepper ist die Rede von einem solchen von Untoten herbeigeführten Weltuntergang längst mit Bildern von angeblich offenen Grenzen und anstürmenden Flüchtlingen verknüpft. Nach der völkischen Mobilmachung gegen die »Migrantenflut« im Jahr 2015 wuchs das Milieu der Prepper. Manche Netzwerke sprachen statt von der »Zombieapokalypse« vom »Tag X«. Im Fall des sogenannten Hannibal-Netzwerks von André S. nahmen die Pläne bereits Züge von Terrorplanungen an.