Im Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Sevim Dağdelen über die Aussichten für ein Verbot der Grauen Wölfe in Deutschland

»Man muss türkische Faschisten so ernst nehmen wie deutsche«

Die Linkspartei fordert schon lange, die Grauen Wölfe zu verbieten. Doch Widerstände gegen deren Verbot sind stark — sie reichen zurück in die Zeit des Kalten Kriegs.
Interview Von

Alle Bundestagsfraktionen mit Ausnahme der AfD stimmten am 18. November einem Antrag zu, der Frankreichs Verbot der Organisation »Graue Wölfe« begrüßte. Was halten Sie davon?

Das war ein historischer Tag. Meine Partei kämpft seit Jahren für das Verbot der Vereine der islamistisch-nationalistischen Bewegung Graue Wölfe. CDU, CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben sich dazu durchgerungen, zumindest einen Prüfauftrag für ein Verbot zu erteilen. Der Grund war wohl, dass die Bundesregierung unter Druck war, zumindest etwas Solidarität mit Frankreich wegen der Angriffe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Netzwerke in Europa erkennen zu lassen, zu denen die Grauen Wölfe seit der Koalition der islamistischen AKP und der faschistischen MHP gehören.

»In Deutschland deutet alles darauf hin, dass ein Verbot der Vereine der Grauen Wölfe von Innenminister Horst Seehofer hintertrieben wird.«

Wie sehen Sie derzeit die Chancen für ein Verbot der Grauen Wölfe in Deutschland und könnte der französische Vorstoß diesbezüglich förderlich sein?

In Deutschland deutet jetzt alles darauf hin, dass ein Verbot der Vereine der Grauen Wölfe von Innenminister Horst Seehofer hintertrieben wird. Hinter dem fadenscheinigen Argument, man könne keine Bewegung, sondern nur Vereine verbieten, wird eine Sabotage des Bundestagsbeschlusses versteckt. Über die Gründe zu spekulieren, verbietet sich. Fakt ist, dass die Bundesregierung alles unterlässt, um die enge Partnerschaft mit Erdoğan zu gefährden. Ein wirkliches Verbot der Vereine seines Netzwerks wäre sicherlich ein schwerer Schlag für den Autokraten, den er nicht unbeantwortet lassen würde. Im Moment schlägt die Bundesregierung zwei Fliegen mit einer Klappe: Solidarität mit Frankreich durch einen Prüfauftrag des Verbots der Grauen Wölfe und Schulterschluss mit Erdoğan, indem man den Prüfauftrag hintertreibt und sein Netzwerk weiter walten lässt.

Sie setzen sich schon lange für ein Verbot der Grauen Wölfe ein. Was sind Ihre Erfahrungen mit der Bereitschaft in Deutschland, die Organisation zu verbieten?

Jetzt, wo deutlich wird, dass Seehofer den Prüfauftrag torpedieren will, braucht es Druck aus der Zivilgesellschaft, um auf ein zügiges Verbot der Dachverbände Türk Federasyon (siehe Seite 3 und 4, Anm. d. Red.) und der Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V. (Atib) zu drängen, die der Verfassungsschutz ja bereits im Blick hat. Ich würde mir wünschen, dass man nicht weiter mit zweierlei Maß bei deutschen und türkischen Rechten misst. Ich finde es bemerkenswert, dass die Bundesregierung eine Organisation wie den Zentralrat der Muslime (ZMD) hofiert, obwohl dessen Vizechef gleichzeitig Vorstandsmitglied der größten ZMD-Mitgliedsorganisation Atib ist. Die wird von der Bundesregierung selbst dem Netzwerk der Grauen Wölfe zugerechnet und gehört zum Prüfauftrag des Bundestages bezüglich eines Verbots. Es ist für mich unerklärlich, wieso jemand, der für den völkerrechtswidrigen Krieg Erdoğans gegen die Kurden im syrischen Afrin hetzt, zugleich einen führenden Posten in einer Organisation haben kann, die man zur Islamkonferenz einlädt. Sicherlich fällt die Atib hier neben den antidemokratischen Muslimbrüdern und Salafisten als Mitgliedsorganisationen nicht so sehr auf, aber wie hier konsequent bei völkischen Islamisten weggeschaut wird, ist schon beachtlich. Man stelle sich nur einmal für einen Moment vor, welchen Aufschrei es gäbe, wenn die Bundesregierung einen Dachverband mit der AfD als größter Mitgliedsorganisation privilegiert einladen würde.

Dem Verbot in Frankreich gingen Angriffe der Grauen Wölfe auf armenische Instutionen und Personen voraus. Gegen wen richten sich die Aktivitäten der Organisation in Deutschland?

Erdoğans Netzwerk aus Islamisten und türkischen Nationalisten richtet sich gegen Aleviten, Armenier, Kurden, Griechen und Juden, gegen Andersdenkende, Gewerkschafter, Sozialisten und Kommunisten gleichermaßen. Wir haben es mit einer islamistisch-völkischen Ideologie zu tun. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist ihr Markenzeichen. In Folge meiner Rede zum Verbot der Grauen Wölfe haben mich zahlreiche Drohungen und Schmähungen von Leuten erreicht, die sich den Grauen Wölfen zurechnen, darunter etliche bizarre Kommentare, die mein angeblich »armenisches« und »jüdisches Blut« als Grund meiner politischen Haltung ausmachen. Da zeigt sich die faschistische Ideologie der Grauen Wölfe recht gut.

Im Bundestag sagten Sie, die Grauen Wölfe seien in der Vergangenheit in Deutschland bewusst gefördert worden, um die politische und gewerkschaftliche Organisation türkischer Arbeitsmigranten zu behindern. Was war da los?

Die Gründung der Grauen Wölfe in Deutschland vor 42 Jahren ist ohne die Unterstützung und schützende Hand der Unionsparteien nur schwer denkbar. Man wollte und brauchte diese rechte Truppe im Kampf gegen linke Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten aus der Türkei, die seit Ende der sechziger Jahre vorne mit dabei waren, wenn es galt, Streiks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in den Fabriken zu organisieren. Seit Jahrzehnten also können die Grauen Wölfe, die in der Türkei vom Geheimdienst MIT in die Nato-Putschorganisation Gladio eingebaut wurden, in Deutschland schalten und walten, schlägern und spalten.

Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) soll eine besondere Rolle gespielt haben. Wie sah die aus?

Ja, die unrühmliche Rolle der Unionsparteien bei der Gründung und Unterstützung der rechten Truppe wird gerne unter den Teppich gekehrt: Es war der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, der dem Faschistenführer Alparslan Türkeş bei einem Treffen 1978 persönlich zugesagt hatte, den Aufbau der Organisation Graue Wölfe in Deutschland freundlich zu begleiten.

Wie stark schätzen Sie eigentlich den Rückhalt der Organisation innerhalb der türkeistämmigen Bevölkerung Deutschlands ein?

Mein Eindruck ist, dass bei türkeistämmigen Islamisten und Faschisten gerne weggeschaut wird. Es ist schon erstaunlich, wie dicht diese Vereine über Jahrzehnte trotz ihrer rassistischen und völkischen Hetze ihr Netz knüpfen konnten. Die Ülkücü-Bewegung umfasst nach Schätzungen etwa 18 000 Mitglieder und Anhänger und ist in nahezu allen westdeutschen Bundesländern aktiv. Hier darf diese Gesellschaft nicht weiter wegschauen. Und die politische Linke in Deutschland muss diese Gefahr von rechts durch türkische Faschisten und Islamisten endlich so ernst nehmen wie die Gefahr durch deutsche Faschisten. Wichtig ist zudem, dass die Kritiker der Grauen Wölfe, die massiv beschimpft und bedroht werden, nicht weiter alleingelassen werden.

 

Sevim Dağdelen ist seit 2005 Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Sie ist Obfrau im Auswärtigen Ausschuss. Sie gehört als stellvertretendes Mitglied dem Ausschuss für Inneres und Heimat, dem Ausschuss für Energie und Wirtschaft sowie dem Verteidigungsausschuss an. Von 2017 bis 2019 war sie stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Mit der »Jungle World« sprach sie über Möglichkeiten, die auch als Graue Wölfe bekannte extreme türkisch-nationalistische »Ülkücü« (»Idealisten«)-Bewegung zu verbieten.