Partner oder nicht? Die Jusos und die Fatah-Jugend

Ein Schutzraum für Israels Feinde

Die Annahme des Beschlusses »Unsere Vision für das Willy Brandt Center Jerusalem« auf dem diesjährigen Bundeskongress der Jusos sorgte für großes mediales Echo. Vor allem die vom Bundesvorstand im Antrag genutzte Formulierung »Schwesterorganisation« für die Fatah-Jugend rief die Kritiker auf den Plan.

Ein »Safe Space« soll das Willy Brandt Center in Jerusalem der Selbstbeschreibung auf seiner Homepage zufolge sein. Nach dem diesjährigen Bundeskongress der Jusos fragt man sich jedoch: für wen? Die Mehrheit der SPD-Jugendorganisation Jungsozialisten (Jusos) verabschiedete Ende November auf ihrem digital veranstalteten Bundeskongress einen Antrag ihres Bundesvorstands. Unter dem Titel »Unsere Vision für das Willy Brandt Center Jerusalem« beschlossen sie eine Rückkehr zu den Prinzipien des 1996 von den Jusos gegründeten Begegnungszentrums in Jerusalem. Das Willy Brandt Center (WBC) organisiert gemeinsame Workshops, Seminare, Sprachkurse und Reisen für israelische und palästinensische Jugendliche, nach eigenen Angaben um Vorurteile abzubauen und den Friedensprozess in der Region voranzutreiben.

Während der Beschluss der Jusos eine öffentliche Debatte auslöste, gingen kritische Äußerungen aus den eigenen Reihen nicht über Twitter-Meldungen und einen offenen Brief hinaus.

Der Bundesvorstand sah das Prinzip der »doppelten Solidarität« mit den »progressiven Kräften im israelisch-palästinensischen Konflikt«, wie das WBC das Ziel seiner Arbeit auf seiner Website beschreibt, aufgrund zweier früherer Beschlüsse verletzt: »Auf dem Bundeskongress 2019 in Schwerin haben wir mit Teilen der Anträge ›Antisemitismus in den Vereinten Nationen‹ und ›Solidarität mit Israel – gegen jeden Antisemitismus und Antizionismus‹ den Konsens der Zusammenarbeit des Willy Brandt Centers Jerusalem verlassen und uns für unsere PartnerInnen für eine weitere Beteiligung am Projekt disqualifiziert.«

Die beiden damaligen Beschlüsse verurteilten den israelbezogenen Antisemitismus, wie er die Boykottkampagne BDS und die Abstimmungspraxis der Vereinten Nationen gegen Israel kennzeichnet. Die Jugendorganisation der Fatah, mit der die Jusos seit Gründung des WBC zusammenarbeiten, reagierte auf die Beschlüsse mit einem Boykott der Zusammenarbeit. Der neue Antrag solle ein »Aufschlag« sein, den Grundsatz der doppelten Solidarität »wieder mit Leben zu füllen«. Als »third party« wolle man sich »inhaltlich nicht einseitig« positionieren: »Wir verstehen uns als ein gleichberechtigtes Drittel innerhalb der Partnerschaft, sind aber keine Konfliktpartei.« Die im Beschluss als »Schwesterorganisation« bezeichnete Fatah-Jugend wird dafür gelobt, sich für eine »friedliche und nachhaltige Lösung des Konflikts« einzusetzen; »Kräfte der Antinormalisierungsbewegung« reichten zwar »bis in die Fatah hinein«, »eine besondere Problematik für unsere palästinensische Partnerorganisation stellt aber der Druck dar, der von autoritär-repressiven Bewegungen wie der Hamas erzeugt wird«.

Während die Verabschiedung des neuen Antrags eine öffentliche Debatte auslöste, gingen kritische Äußerungen aus den eigenen Reihen bisher nicht über einige Meldungen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter und einen offenen Brief hinaus. »Für uns wird es weiterhin keine Kooperation mit Organisationen geben, welche das Existenzrecht Israels negieren«, posteten die Jungsozialisten aus Leipzig. Die Nachfrage der Jungle World, welche konkreten Konsequenzen der Stadtverband in Betracht ziehe, bekam keine klare Antwort. Die Kölner Jusos erklärten ebenfalls, dass das Existenzrecht Israels für sie nicht verhandelbar sei. Es falle Ihnen »schwer, die Fatah-Jugend, die BDS unterstützt und das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, als ‚Schwesterorganisation‘ zu bezeichnen«. Derzeit stehe man »im Dialog mit unseren Mitgliedern vor Ort«, sagte die stellvertretende Vorsitzende Paula Risius der Jungle World. Darüber hinaus wolle man mit langjährigen Bündnispartnern wie beispielsweise der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) das Gespräch suchen. In ihrer Stellungnahme auf Twitter schreiben die Kölner Jungsozialisten, dass sie »weiterhin die Konfliktparteien – darunter auch unsere Bündnispartner – an einen Tisch bringen« und sie dabei unterstützen wollten, »Brücken zu bauen«.

Die Jusos erlägen einer »krassen Fehleinschätzung der Fatah und ihrer Jugendorganisation«, sagte die Vorsitzende des Vorstands der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, der Jungle World. Dies sei »nicht zu entschuldigen«. Die Berliner Recherche- und ­Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) verwundert, dass es nicht als Hindernis für eine Zusammenarbeit angesehen werde, dass die Fatah auch »Gewalt an jüdischen Israelis befürwortet oder gar ausübt«. Der Verein verweist auf die Beschlussklausel, wonach die Jungsozialisten ein »Veto der Partner bezüglich inhaltlicher Positionierung zum Konflikt akzeptieren«. Konsequent weitergedacht erhalte die Fatah-Jugendorganisation dadurch eine Möglichkeit, »Beschlüsse zur Arbeitsdefinition Antisemitismus oder gegen israelbezogenen Antisemitismus zu blockieren und somit negativ auf die Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland Einfluss zu nehmen«, sagte der Projektmitarbeiter Alexander Rasumny der Jungle World.

»Die Infragestellung des Existenzrechts Israels sehen wir als antisemitisch an«, schrieb der Bundessprecherinnenrat der Jugendorganisation »Solid« der Linkspartei auf Anfrage der Jungle World. Die Jugendorganisation verweist auf das Logo der Fatah-Jugend, in dem »sowohl Israel als auch die palästinensischen Autonomiegebiete in ihrer Gesamtheit als Palästina« dargestellt würden. Für den Bundessprecherinnenrat sei die Fatah-Jugend »keine Akteurin, mit der man sich solidarisieren sollte – denn auch sonst sehen wir sie nicht als linke und demokratische Organisation«. Der Fatah würden nicht zuletzt immer wieder Korruption und Verschleppung von Wahlen vorgeworfen.

Das Ziel, tatsächlich »solidarisch an der Seite der progressiven Kräfte in Israel und Palästina zu stehen«, wie es in dem Beschluss des Juso-Bundeskongresses heißt, unterstützen auch die über 100 Einzelpersonen sowie die Hochschulgruppe Frankfurt am Main und der Kreisverband Freiburg der Jungsozialisten, die aus Protest einen offenen Brief an den Juso-Bundesvorstand verfasst haben. Ihre Kritik zielt vor allem auf die Frage, ob die Fatah-Jugend und ihre Mutterpartei Fatah die Rolle »als progressive Kraft noch ausfüllen« könnten. Dass die alten politischen Kategorien nicht mehr funktionierten, ist sich Anetta Kahane sicher. Weder sei die Fatah universalistisch noch emanzipatorisch. Es stelle sich deshalb auch die Frage, wieso die deutsche Sozialdemokratie gemeinsam mit antizionistischen Parteien in der Progressiven Allianz organisiert sei. In dem 2013 gegründeten internationalen Netzwerk arbeitet die SPD unter anderem mit der Fatah zusammen.

Die frühere Kritik der Jungsozialisten an israelfeindlichen Positionen »war ein Lichtblick innerhalb der deutschen Sozialdemokratie«, sagte der Sprecher des Marburger Bündnisses gegen Antisemitismus (BgA) der Jungle World. Der jüngste Beschluss bedeute eine Rückkehr zur traditionellen Linie der Mutterpartei. Das lokale Bündnis erhoffe sich, dass »die derzeit öffentlich geäußerte Kritik bald Wirkung zeitigt und die Jusos wieder stärker auf Kritik des Antisemitismus setzen anstatt auf eine Karriere innerhalb der Partei«.