Bolivien will auf der Lithiumförderung eine ganze Industrie aufbauen

Den Schatz zu heben, genügt nicht

Bolivien verfügt über bedeutende Vorkommen an Lithium. Dieses Alkalimetall wird unter anderem für die Herstellung von Batterien für Elektroautos benötigt. Um nicht nur Rohstoffexporteur zu sein, will man solche Batterien im Land herstellen. Doch der Aufbau der neuen Industrie gestaltet sich schwierig.
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Die grünen Kunststoffkisten, die mit einem schwarzen und einem roten Kabel an einem Steuerpult hängen, sind das neueste Produkt von Marcelo González und seinem Team. »Eine kompakte, leichte Autobatterie«, erklärt der 38jährige, drahtige Physiker mit einem stolzen Lächeln. »Die produzieren wir in mehreren Modellen für einen Elektro­autohersteller aus Cochabamba. Die Verträge sind gerade erst unterzeichnet worden.«

Das ist ein Achtungserfolg für den Leiter der Lithiumbatteriefabrik in La Palca. 66 Mitarbeiter arbeiten in der kleinen Fabrik nahe der alten Bergbaustadt Potosí, sie produzieren von der Knopfzelle über die backsteingroßen Akkus für Solaranlagen bis zu fast 20 Kilogramm schweren Autobatterien so ziemlich alles, was sich an Speicherelementen aus Lithium herstellen lässt. »Wir sind ein Zwitter zwischen Forschungseinrichtung und Pilotfabrik, machen Grundlagenforschung und Produktentwicklung«, so González.

Er ist in Uyuni aufgewachsen, wo das Lithium gefördert wird. Die rund 200 Kilometer von Potosí entfernte Stadt liegt am gleichnamigen Salzsee, wo sich die größten Lithiumreserven Boliviens unter einer dicken Salzkruste befinden. Diesen Schatz wollen die Bolivianer nicht nur heben, sie wollen den Rohstoff auch verarbeiten und eine eigene Batterieproduktion auf die Beine stellen. Die Pilotfabrik von La Palca ist dabei ein wegweisender Schritt.

»Bolivien ist das einzige Land der Region, das sich der Batterieproduktion verschrieben hat. Der Erfüllung dieses Traums sind wir in den vergangenen fünf Jahren einen großen Schritt näher gekommen – nun wissen wir, wovon wir reden«, sagt González. Er hat bis 2013 in Potosí Physik gelehrt. Dann erfuhr er von den ehrgeizigen Plänen der bolivianischen Regierung, las, was er über Lithium und die komplexe Batterieproduk­tion an Literatur fand, und bewarb sich für eine Stelle in der damals noch in Planung befindlichen Pilotfabrik.

»Anfangs waren wir nur ein sehr kleines Team, bei der Lithiumförderung in Llipi sah das ganz anders aus«, erinnert sich der zurückhaltend auftretende Wissenschaftler. In Llipi, auf dem Salzsee von Uyuni, wird der Stoff gefördert, der in den Akkus steckt. In bis zu 30 Hektar großen Schwimmbecken wird Salzlake im Licht der gleißenden Sonne eingedickt. Aus der zurückbleibenden Sole wird dann das Alkalimetall in mehreren Schritten von anderen Metallen wie Magnesium oder Bor separiert und extrahiert. Das findet in einer kleinen Pilotanlage statt, die derzeit pro Jahr rund 400 Tonnen Lithiumcarbonat von hoher Reinheit produziert. Ein Teil des Lithiumcarbonats landet in transparenten Plastiksäcken in La Palca. »Das ist der Rohstoff, aus dem wir unsere Akkus produzieren«, sagt Marcelo González, schließt die Tür zum Lagerraum und setzt dann den Weg durch die Labors fort.

Partner gesucht
Die Produktion von Stromspeichern auf Lithium-Ionen-Basis ist ein komplexer Prozess, es hat ein paar Jahre gedauert, bis das Team der Techniker und Wissenschaftler die Materie im Griff hatte. »Wir haben die Anlage schlüsselfertig von Experten aus China übernommen, mussten in der Praxis erst Abläufe erlernen, Produktionsphasen koordinieren und haben langsam die Produktpalette erweitert. Heute sind wir auf dem internationalen Stand, produzieren Batterien, die sich sehen lassen können.« Ein Elektromobil, mit dem der ehemalige Präsident Evo Morales schon ein paar Runden drehte, steht in einer Garage der Batteriefabrik. Ein Techniker arbeitet an einem neuen Modell, das das Logo »Hecho en Bolivia« (Hergestellt in Bolivien) trägt.
Luis Alberto Echazú, der rund zehn Jahre das Zukunftsprojekt koordinierte, von Januar 2017 bis November 2019 sogar als stellvertretender Energieminister, wähnte sich im Oktober 2019 vor dem Durchbruch. Damals unterzeichnete er einen Vertrag mit dem bolivianischen Elektroautohersteller Quantum aus Cochabamba über die Lieferung von Lithium-Ionen-Akkus aus La Palca und verkündete einen Erfolg. Wie weit ein Elektroauto nach dem Aufladen fahren kann, ist ein entscheidender Faktor bei der Vermarktung. »Unser Produkt ermöglicht eine größere Reichweite als jene, die Quantum zuvor aus China importierte. Wir sind reif für den nächsten Schritt«, frohlockte Echazú damals.

Diese Einschätzung teilten auch Marcelo González und sein in Frankreich ausgebildeter Kollege Jorge Balboa. Dieser ist Chemiker und zuständig für die Produktion der Kathoden, der negativ geladenen Elektrode in den Batterien. Diese haben eine geschichtete Struktur, in der Kobalt enthalten ist; für die Produktion ist Hightech-Equipment nötig. All das steht in der Pilotfabrik von La Palca zwar zur Verfügung, doch diese hat nur begrenzte Kapazitäten. »Für die semiindustrielle oder industrielle Nutzung brauchen wir ganz andere Anlagen, mehr Expertise und auch einen Markt für unsere Produkte. Das sind die zentralen Herausforderungen«, so Balboa.

Ein strategischer Partner für die Massenproduktion von Akkus und Batterien wurde benötigt, und den haben die bolivianischen Verantwortlichen im Energieministerium in den vergan­genen Jahren gesucht. Dabei haben sie sich so manche Abfuhr eingehandelt. »Wir wollen eine Kooperation: gemeinsam Lithiumhydroxid im industriellem Maßstab fördern, gemeinsam Batterien en gros in Bolivien produzieren und sie auf dem internationalen Markt verkaufen. Das sind unsere drei elementaren Kriterien«, sagte Echazú. »Wir wollen keine Konzession für die Lithiumförderung vergeben, sondern ein Gemeinschaftsunternehmen mit langfristiger Perspektive auf die Beine stellen.«
Den Partner meinte Echazú in der deutschen ACI Systems, einem mittelständischen Unternehmen aus Zimmern ob Rottweil in Baden-Württemberg, gefunden zu haben. Im Dezember 2018 wurde in Berlin in Anwesenheit von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ein Kooperationsvertrag mit einer Laufzeit von 70 Jahren für die Förderung von Lithiumhydroxid unterzeichnet.

Umstrittener Vertrag
Echazú sagt, der Vertrag verpflichte das deutsche Unternehmen auch, gemeinsam mit dem bolivianischen Staatsunternehmen eine Batteriefabrik für die Produktion im großen Stil in Uyuni zu errichten. »Mindestens 300 000 Autobatterien wollen wir im Jahr produzieren«, so der stellvertretende Minister. »Für deren Absatz in Europa ist unser strategischer Partner ACI Systems verantwortlich.« Das ist auch der Informationsstand der beiden Batterieexperten Balboa und González.

Doch diese klaren Zielvorgaben ­waren im Decreto 3 738 nicht fixiert, einem Erlass des damaligen Präsidenten Evo Morales, der 2018 die Grundlage für die Gründung des bolivianisch-deutschen Gemeinschaftsunternehmens ACISA bildete. Auch der Bau eines Solarkraftwerks mit einer Leistung von 30 Megawatt, der von Wolfgang Schmutz, dem Geschäftsführer von ACI Systems, Anfang Oktober 2019 als ­eines der Projekte genannt wurde, die dafür sorgen sollen, dass »der ökologische Fußabdruck des Gemeinschaftsunternehmens möglich klein bleibt«, ist darin nicht enthalten.

Die Widersprüche werfen Fragen auf. »Was steht eigentlich in den Verträgen drin und warum sind sie nicht öffentlich zugänglich?« fragt Pablo Solón. Der Umweltexperte und ehemalige Botschafter Boliviens bei der Uno hat das Decreto 3 738 analysiert und bringt Kritik vor: »Da ist die Tatsache, dass laut dem Gesetz keine Gewinnabgaben an die lokalen Gremien abgeführt werden.« Das habe in Potosí Proteste ausgelöst, die im Oktober 2019 in Bolivien für Schlagzeilen sorgten und schließlich dazu führten, dass am 3. November 2019 das Decreto 3 738 annulliert wurde.

Man hatte die lokale Bevölkerung nicht eingebunden, die bereits an den Erlösen des Silberbergbaus nicht be­teiligt worden war. Der Cerro Rico, der »reiche Berg«, erhebt sich über Potosí. In der Kolonialzeit förderten die Spanier große Mengen an Silber – und transportierten es nach Europa. Heutzutage ist der Berg, in dem immer noch mehrere Bergbaugenossenschaften Silber ­fördern, ein Symbol für die Plünderung der Ressourcen des Landes. Das soll nicht noch einmal passieren und deshalb hat das Comité ­Cívico Potosinista (Comsipo) regional und national mobilisiert, um die Region an der Lithiumförderung partizipieren zu lassen. »Wir waren lange die Milchkuh des Landes, ohne von der Milch zu profitieren. Hier fehlt es an Investitionen und an Perspektiven für die Jugend. Die großen Lithiumvorkommen sind eine Chance, daran etwas zu ändern. Darauf bestehen wir«, so Juan Carlos Manuel, Präsident der Organisation.

Der Widerstand dagegen, dass der Rohstoffabbau wieder einmal an der Bevölkerung vorbei betrieben werden sollte, hat erheblich zum erzwungenen Rücktritt von Evo Morales im November 2019 beigetragen, der einherging mit den Protesten gegen Manipulationen bei der Präsidentschaftswahl am 20. Oktober 2019. Als verkappten Putsch gegen ihren Präsidenten Morales betrachtet hingegen dessen Partei MAS, die »Bewegung zum Sozialismus«, den Widerstand gegen Boliviens ersten indigenen Präsidenten. Nach dessen Rücktritt übernahm eine erzkonser­vative Interimsregierung die Macht, die mehrfach ihre Befugnisse überschritt. Sie hätte nur zu gern auch beim Lithium vollendete Tatsachen geschaffen, kritisierte Luis Arce, der als Kandidat des MAS die Wahlen zur Präsidentschaft am 18. Oktober gewann und inzwischen vereidigt wurde.

Solarpanels statt Staudämme
Der neue Präsident Boliviens steht nun vor der Herausforderung, die »Indust­rialisierung des Lithiums«, den Aufbau einer Batterieproduktion, wieder voranzutreiben und die Menschen aus den Regionen Potosí und Uyuni für dieses Vorhaben zu gewinnen. Seitdem wird in Bolivien über die Neuverhandlung der Verträge mit dem deutschen Unternehmen spekuliert. Erste Signale in diese Richtung hat es von bolivianischer Seite gegeben; auch ACI Systems sei verhandlungsbereit, wie Geschäftsführer Wolfgang Schmutz in mehreren Interviews bekundete. Er kündigte an, das Förderprojekt, die Strategie und die umweltpolitische Herangehens­weise auch in den Dörfern rund um den riesigen Salzsee besser zu erklären.

Das hält Miguel Fernández Fuentes für notwendig. Er ist der Geschäftsführer von Energética, einem in Cochabamba ansässigen Unternehmen für dezentrale und nachhaltige Energie­konzepte. Es arbeitet mit Solarpanels, aber auch mit den Lithiumbatterien aus La Palca, um Energie für kleine und abgelegene Dörfer zu speichern. Die Erfahrungen sind gut, nur fanden die regenerativen Energieträger in Bolivien in den vergangenen zehn Jahren zu wenig Beachtung. Die Strategie der ­Regierung Morales war eine andere: Das Land sollte vor allem durch die Nutzung der Wasserkraft zur »energetischen Drehscheibe im Herzen Lateinamerikas werden«, wie es Luis Arce, damals Wirtschaftsminister, 2015 in einem Interview mit der Jungle World formulierte. Arce trieb den Bau von Staudämmen voran – »obwohl sie ökologisch fragwürdig sind, sich ökonomisch nicht rechnen und keine verbindlichen Abnahmegarantien für den Strom vorliegen«, kritisiert Pablo Solón. »Schon heute gibt es ein Über­angebot an Kraftwerkskapazität und ich hoffe, dass Luis Arce aus den Fehlern gelernt hat und seinem im Wahlkampf formulierten Bekenntnis zu mehr Nachhaltigkeit nun auch Taten folgen lässt.«

Im Beraterstab des neuen Präsidenten scheint in der Tat ein Umdenken stattgefunden zu haben. Mehr dezentrale Energiegewinnung, mehr Wind- und mehr Solarenergie sowie mehr Speicherkapazitäten solle es geben und generell mehr Schutz von Umwelt und Ressourcen, so Miguel Fernández Fuentes. Der Experte hofft auf einen energiepolitischen Neuanfang, wozu indirekt auch die Batterieproduktion im eigenen Land gehört.

Neue Verhandlungen
Arce bezeichnet das Lithium als einen Schlüsselrohstoff für die Zukunft des Landes. Auf 4,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr taxierte er im Wahlkampf das Exportpotential des »weißen Goldes« aus den Salzseen des Landes. Davon gibt es neben dem von Uyuni noch zwei weitere, dort sollen internationale Partner aus Asien den Rohstoff abbauen.

Doch eine Kooperation zur Förderung und Weiterverarbeitung von Lithium­hydroxid gibt es derzeit nur mit ACI Systems. Das deutsche Unternehmen hat die politische Unterstützung der Bundesregierung. Aus gutem Grund, denn Elektromobilität ist ohne leistungsfähige Lithium-Ionen-Akkus kaum denkbar, ein langfristiger Vertrag über die Lithiumförderung daher vorteilhaft. Diesen Vorteil will weder ACI Systems noch die Bundesregierung aufgeben, weshalb diplomatisch nach Lösungen gesucht wird.

Die regionalen Initiativen, ob in Potosí oder in Uyuni, fordern Nachverhandlungen. Der See ist von karger Vegetation umgeben. Auf den Böden der Region wächst Quinoa, die Viehzucht konzentriert sich auf Lamas und Alpacas, die mit den extremen Temperaturen in der Höhenlage zurechtkommen. Ökonomische Perspektiven brächten aber nur der Tourismus und das Lithium, meinen Aktivisten wie Luis Machaca. Er wirbt für mehr Transparenz, für klare Angaben, womit die Bevölkerung in der Förderregion rechnen kann. Auch für Experten wie Fuentes und Solón ist das eine Grundvoraussetzung, um Akzeptanz für das Projekt zu gewinnen. Mehr Transparenz sei auch bei den Neuverhandlungen der Verträge ­erforderlich. Das sieht Physiker Marcelo González genau so, der weiterhin hofft, eine industrielle Großproduktion aufbauen zu können: »Hier kursieren eine Menge Halbwahrheiten und Ängste. Dass muss sich ändern, wenn wir unseren Traum wirklich realisieren wollen.«