Der fast vergessene Wintersport Skiballett

Glitzer und Akrobatik im Schnee

Hätte es da nicht die Vorbehalte und Ressentiments der Sportfunktionäre gegeben, wäre das Skiballett, das heute fast vergessen ist, vielleicht eine olympische Disziplin geworden.

Die sechziger Jahre waren nicht nur schön. Alles war entweder schwarzweiß oder sah so aus wie mit Super 8 gefilmt. Vor allem in den USA versuchten die Reichen, dem bedrückenden Alltag zu entfliehen, indem sie sich in exklusive Skiorte flüchteten, in denen sie tagsüber unter den ­gestrengen Augen der Pistenwächter in der ihnen vorgegebenen Weise die Hänge hinunterrutschten und abends vor dem Kaminfeuer Privatkonzerten von Joni Mitchell lauschten. Die Kinder der Skiurlauber fanden das allerdings meist langweilig und meinten, sie könnten ja auch ganz anders Skifahren – nämlich wie auch immer sie wollten. Der Freestyle war geboren, und die »Hotdog Skier«, wie man die Schnee-Revoluzzer nannte, drehten sich bei ihren Sprüngen in der Luft, bretterten undiszipliniert über Buckelpisten und fingen gar an, samt Skiern und Ski­stöcken zu tanzen. So entwickelte sich eine mittlerweile fast vergessene Sportart: Skiballett.

Aus der Rebellion einiger weniger Skifahrer entstand eine neue Disziplin mit Regeln, einem Massen­publikum und hauptberuflichen Sportlerinnen.

In den Siebzigern entstand aus der Rebellion einiger weniger Skifahrer eine neue Disziplin mit Regeln, einem Massenpublikum und Sportlerinnen, die die Sache hauptberuflich betrieben. Skiballett war nun ein klar definierter Wintersport: eine zweiminütige Vorführung einer einstudierten Choreographie zu Musik – dem Eiskunstlauf sehr ähnlich. In den USA wurde das Skiballett sehr populär und die Zuschauer liebten die teils halsbrecherischen Vorführungen der Athleten. Europa hinkte hinterher, aber auch in den Alpen etablierte sich langsam eine Freestyle- und Skiballett-Szene.

In den USA brachte die Sportart Stars wie Suzy Chaffee hervor. Nach einer erfolgreichen, aber nicht berauschenden Karriere in traditionellen Disziplinen wie Abfahrt und Slalom fand sie im Freestyle und vor allem im Skiballett ihre sportliche Berufung und wurde zwischen 1970 und 1973 dreimal Weltmeisterin im Freestyle-Skiing. Sie erhielt lukrative Werbeverträge und spielte Nebenrollen in Filmen wie dem trashigen Krimi »Ski Lift to Death« (1978) oder dem immerhin mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichneten Skisport-Verherrlichungsstreifen »Feuer und Eis« (1968) von Willy Bogner. Weil sie jahrelang das Gesicht der Werbekampagne eines Herstellers für Lippenbalsam war, kennen die meisten US-Amerikaner sie bis heute unter dem Spitznamen »Suzy Chapstick«.

1980 entdeckte auch die Fédération Internationale de Ski (FIS) den Freestyle und das Skiballett für sich und beendete damit die kurze Phase der wildwüchsigen Skishows. Sportlerinnen mit Sponsoren und Werbeverträgen durften diese zwar behalten, mussten nun aber einen Teil der Einnahmen an die FIS beziehungsweise deren nationale Dependancen abführen – denn Skiballett galt jetzt als Amateursportart. Der Begriff mag bizarr erscheinen, bedeutete doch die Übernahme durch die FIS eine Professionalisierung und Reglementierung. Ab 1980 richtete die FIS offizielle Weltcups aus und erarbei­tete Regelwerke, die dick waren wie Telefonbücher.

Weil die achtziger Jahre noch ein bisschen schräger waren als die sechziger und siebziger, wurde auch das Skiballett nach und nach – nun – ballettähnlicher. Die Choreographien wurden dramatischer und die Outfits immer ausgefallener, inklusive mit Glitzersteinchen besetzter Stirnbänder, Rüschenhemden und Puffärmel.

Hollywood ebenso wie die LGBTQ-Szene liebte das quietschbunte ­Treiben. Die Sportfunktionäre, die zur selben Zeit Missbrauchsfälle und Korruptionsaffären im Skisport nach Kräften zu vertuschen versuchten, fürchteten um die »Seriosität« des Sports. So wurde das Ski­ballett zwar bei zwei Olympischen Spielen als Demonstrationssportart zugelassen, nämlich 1988 in Calgary in Kanada und 1992 in Albertville in Frankreich, schaffte es aber nie zur olympischen Disziplin.

Nach diesen Niederlagen vor dem Olympischen Komitee ließ auch das Interesse des Publikums am Skiballett bald nach. In den Neunzigern löste das Snowboarden, das teils noch spektakulärere Kunststückchen erlaubt, das Kunstskifahren als Attraktion ab. Ein österreichischer Hersteller von Energy-Drinks begann, weltweit verschiedenste riskante Sportarten zu fördern, wodurch auch der Skisport jenseits der von der FIS reglementierten Variante immer halsbrecherischer wurde. Bei den seitdem entstandenen Skisportarten fahren Menschen mit Skiern oder Snowboards vom Mount Everest, spielen Snowmobil-Rugby oder ringen auf Tiefschneebuckelpisten mit Alligatoren.

Die Veteranen des Skiballetts wie der Bayer Hermann Reitberger, der 1989 Weltmeister wurde, gehen ihrem geliebten Sport weiterhin nach, sofern sie körperlich noch dazu in der Lage sind. Immer wieder finden kleinere Revivals des Skiballetts statt – wenn auch zumeist als nostalgisch bis humoristisch gestaltetes reenact­ment der glamourösen Zeiten, als aufgeputzte Männer und Frauen, mal solo, mal als Duo, zu den Klängen von Disco oder Hair Metal Pirouetten drehen. Mit ihren Skistöcken klopfen sie rhythmisch auf den Schnee, schlagen mehrfache Saltos und ­tragen dazu Kostüme, bei deren Anblick man am liebsten in eine Zeit­maschine steigen möchte, um ein Tanzstudio in einer konservativen US-amerikanischen Provinzstadt zu eröffnen und den dort lebenden Menschen die befreiende Kraft des Tanzens beizubringen.