Die Vereinsführungen gehen konzeptlos und unzureichend gegen Neonazis in Fußballstadien vor

Der Verein über alles

Nicht nur in der Fanszene von Rot-Weiß Erfurt tummeln sich rechtsextreme Hooligans. Reaktionen gibt es meist erst, wenn dies zum öffentlichen Skandal wird.

Am 12. November beginnt vor der Staatsschutzkammer in Gera der Prozess gegen vier Mitglieder der rechtsextremen Hooligan-Gruppe »Jungsturm«. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Raub und gefährliche Körperver­letzung vorgeworfen. Angeklagt werden sie unter anderem wegen zwei Überfällen auf Fans des Fußballvereins Carl Zeiss Jena im vergangenen Jahr. Ende April hatte die Polizei Wohnräume von Verdächtigen in Sachsen-Anhalt und Thüringen (Jungsturm sieht alt aus - Jungle World 21/2020) durchsucht, drei Männer wurden in Untersuchungshaft genommen.

Die Vernetzung des »Jungsturms« in der Neonaziszene spiele für die Behörden Thüringens keine große Rolle, beklagt Fabian Müller von der Gruppe »Dissens – Antifa Erfurt«.

»Die Verhaftungen und Razzien trafen die Gruppierung empfindlich. Sie tritt derzeit weder im Stadion noch im Umfeld offen in Erscheinung«, beschreibt Fabian Müller von der Gruppe »Dissens – Antifa Erfurt« im Gespräch mit der Jungle World die derzeitige Situation. Dies sei für viele von rechter Gewalt Betroffene ein kleiner Trost, dennoch stelle sich die Frage, »wie sich ein solches Netzwerk seit 2014 in Thüringen ungestört etablieren konnte«. Schließlich handele es sich um »Neonazis, die nicht nur für den Straßenkampf trainieren, sondern ihn auch ausführen und ihr Wissen in die Szene tragen«.

In diese Kategorie gehört auch die Gruppe »Kategorie Erfurt« (KEF). »Erfurter Hooligans von KEF und Jungsturm sind ganz klar dem extrem rechten Spektrum zuzuordnen«, hatte die »Mobile Beratung in Thüringen« in einem Interview mit dem Erfurter Radio F.R.E.I. bereits Anfang des Jahres erklärt. Ende April sagte ein Sprecher der Organisation, dass die Hausdurchsuchungen ihre Hinweise bestätigt hätten, die noch 2019 vom Thüringer Innenministerium nicht ernst genommen worden seien. Die Insolvenz des FC Rot-Weiß Erfurt und der damit verbundene Abstieg des Clubs in die fünftklassige Oberliga, so seine Einschätzung, werde die Situation verschärfen. Es fehlten Gelder für Fanprojekte, aber auch für Sicherheitspersonal, so dass ausgesprochene Stadionverbote nicht durchgesetzt werden könnten.

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) versprach im Juni in einer Reaktion auf die Ermittlungen gegen den »Jungsturm«, er wolle »härter vorgehen gegen Entwicklungen, wo Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft zum Beispiel in Jugendkulturen einsickert«; man werde »das Engagement der Polizei in diesem Bereich nicht zurückfahren – im Gegenteil«. Die Zahl der »sze­nekundigen Beamten«, die sich mit rechtsextremen Fans von Rot-Weiß Erfurt befassen – nach Angaben seines Ministeriums sind es zwei Beamte –, soll trotz des Abstiegs nicht reduziert werden.

Es geht jedoch nicht allein um polizeiliche Arbeit, die etwa die Beteiligung Rechtsextremer an Fanaktivitäten ohnehin nicht verhindern kann. Der Vereinsführung von Rot-Weiß Erfurt wird seit Jahren vorgeworfen, aus Angst vor der Reaktion ihrer aktiven Fanszene nicht konsequent genug gegen extreme Rechte vorzugehen.So werde nach Angaben der Antifa Erfurt etwa das Verbot des Aufhängens der Zaunfahne von KEF nicht mehr durchgesetzt. »Da braucht es endlich Konsequenzen und eine kontinuierliche Förderung von antifaschistischen Initiativen im Stadion und in der Fanszene«, fordert Müller. Den Neonazis im Stadion müsse die Plattform genommen werden, damit »es schwerer wird, im Stadion Nachwuchs zu rekrutieren«. Antirassistisches Engagement wirke »eben nur dann, wenn auch der Verein aktiv gegen Neonazis handelt«.

Anfang Oktober wurde bekannt, dass auch in der Nürnberger Nordkurve Neonazis ihren Platz haben. Nach dem Tod des bundesweit vernetzten Neonazis Christian Keck am 12. September wurde ein Spruchband mit dem Text »Ruhe in Frieden, Kecki« außen am Max-Morlock-Stadion an­gebracht, verfasst »im Namen der Nordkurve«, wie der 1. FC Nürnberg in einer Distanzierungserklärung feststellte. Ein solches Gedenken für einen »verstorbenen Neonazi, der Club-Fan war«, sei »inakzeptabel«. Zahlreiche Fans auch aus der Nordkurve hätten sich bereits distanziert.

Ein ebenfalls mit »Nordkurve Nürnberg« gekennzeichnetes Gebinde mit der Aufschrift »Ruhe in Frieden, Kecki« wurde auch bei dessen Grab abgelegt, neben Kränzen neonazistischer Organisationen wie Hammerskins Franken. Zur Trauerfeier für Keck waren neben einer Reihe prominenter Neonazikader auch Fans des 1. FC Nürnberg angereist. Um Auseinandersetzungen zu vermeiden, wurde der Tross der Fußballanhänger zu einer anderen Zeit als die rechtsextremen Kameraden auf den Friedhof in Weisendorf bei Erlangen geschleust. Die »Rot-Schwarze Hilfe« (RSH, der Name bezieht sich auf die traditionellen Farben des Dresses des 1. FC Nürnberg), die Fans bei Schwierigkeiten mit Polizei und Justiz hilft, legte ein Kondolenzbuch im Internet auf, das man nach ihren Angaben wieder habe schließen müssen, weil es »für politische Zwecke missbraucht« worden sei. Offenkundig haben sich an den Trauerbekundungen auch Fans beteiligt, die keine Neonazis sind.

Was aber kann ein Verein gegen rechtsextreme Fans tun, wie eine in solchen Fällen nötige Distanzierung erwirken? Um »präventive Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, um rassistischen als auch diskriminierenden Tendenzen jeglicher Form vorzubeugen«, bemüht sich nach eigenem Bekunden auch Rot-Weiß Erfurt. Der 1. FC Nürnberg setzt in einer Erklärung zum Selbstverständnis voraus, dass »jeder Mensch, unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Hautfarbe, Herkunft, Glauben, sozialer Stellung, Behinderung oder sexueller Identität respektiert wird«. Der Verein erinnert zudem mit der Verleihung des Jenö-Konrad-Cup an seinen durch eine antisemitische Hetzkampagne der Nationalsozialisten vertriebenen ehemaligen Trainer.

Ausreichend sind solche Initiativen nicht. Experten wie Martin Endemann von »Football Supporters Europe« kritisieren daher das Konzept der »unpolitischen Kurve«, das Frieden auf den Rängen schaffen soll – um den Preis, dass Probleme ignoriert werden. Auch dort, wo es keine Dominanz der Rechtsextremen gibt, können diese an Fankultur und Vereinsleben teilnehmen, wenn die Loyalität zum Verein über alles andere gestellt wird. Eingestanden wird dies in der Regel erst dann, wenn ein Skandal es erzwingt.