Die Pandemie als Härtetest

Am Fenster

Was kümmert mich der Dax Von

Blitzkrieg, Doppelgänger, Schadenfreude – die deutsche Sprache hat die Welt bereits um einige Vokabeln bereichert. Ende September klärte der ­Guardian seine Leserinnen und Leser über eine »nationale Besessenheit« auf: Der Deutsche macht nicht einfach so das Fenster auf. Die Begriffe stoßlüften, kipplüften und quer­lüften haben nun eine gute Chance, ebenfalls ins Weltspracherbe aufgenommen zu werden. Es liegt nahe, diese Besessenheit damit zu erklären, dass es in Deutschland noch immer besonderer Bemühungen bedarf, den Muff von 1 000 Jahren verwehen zu lassen. Aber es gibt auch ein pragmatisches Motiv, das auf einer anderen Besessenheit basiert: der zwanghaften Sparsamkeit. Denn vom Lüften spricht man in Deutschland derzeit vornehmlich, wenn es darum geht, den Normalbetrieb in den Schulen und Betrieben aufrechtzuerhalten. Und zwar kostensparend.

Dass jetzt mal Schluss mit lustig ist, dekretierte Helge Braun, der Chef des Bundeskanzleramts, am 8. Oktober: »Wenn wir das, was uns wirklich wichtig ist – nämlich das Aufrechterhalten unseres Wirtschaftskreislaufs, Schule und Bildung –, wenn wir das nicht gefährden wollen, dann muss das Thema Feiern, Veranstaltungen, Freizeitaktivitäten jetzt etwas runtergefahren werden.« Doch Sars-CoV-2 weiß nichts von preußischen Tugenden, ungeniert verbreitet sich das Virus auch dort, wo fleißig gearbeitet und gelernt wird. Und wer möchte angesichts der Not von Standort und Vaterland so dekadent sein, den Einbau von teuren Luftfiltern und Plexiglaswänden zu fordern? Die Schweden, die nach der Wikingerzeit ja zu Weicheiern wurden, haben für ihre verwöhnte Brut in fast allen Klassenzimmern Luftfilter installiert. »Für die kalten Monate werden jetzt Pullover, Schals und Decken zur Grundausstattung der Schülerinnen und Schüler gehören«, stellte hingegen Susanne Lin-Klitzing, die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, fest. Denn der Deutsche friert nicht. Nein, hierzulande empfindet man allenfalls »thermische Unbehaglichkeit«, die »in Kauf zu nehmen« ist, wie derzeit die Berufsgenossenschaften, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in Privatunternehmen, lehren. Uropa musste in Stalingrad schließlich auch mit der thermischen ­Unbehaglichkeit zurechtkommen. Es wird nicht nur viel für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Normalbetriebs riskiert. Mehr und mehr wird die Pandemiebekämpfung auch zum Vorwand für die Disziplinierung einer als verweichlicht wahrgenommenen Gesellschaft. Endlich mal wieder harte ­Zeiten!