17.09.2020
Was steckt hinter dem Begriff »Clubkultur«

Die Krux mit der Kultur

Nicht nur in Berlin taucht der Begriff »Clubkultur« immer öfter auf. Als Selbstbezeichnung wird er in einer Zeit gebraucht, in der die Clubs so etabliert wie nie, gleichzeitig aber auch immer stärker von Schließung bedroht sind.

Wenn die deutschen Pioniere des Techno von früher erzählen, sparen sie selten mit großen Worten. »Das waren die Momente, ja, wo ich sag’, da ging eigentlich der Zweite Weltkrieg erst wirklich zu Ende«, schwelgte Maximilian Lenz alias Westbam kürzlich in einer ARD-Dokumentation über die Anfänge der Loveparade. Der Unendlichkeitsgestus der elektronischen Musik traf den Nerv jener, für die nach dem Mauerfall sämtliche geschichtlichen Grabenkämpfe vorbei waren und nun alles nur noch auf die große Einheit zusteuerte. Der DJ und Musiker Hardsequencer ­beschwor in »The Dancing Nations«, einer damaligen Dancefloor-Hymne, »people of all nations dancing together«.

Gäbe es kein Covid-19, würde ein Blick in Berliner Clubs reichen, um zu zeigen, dass es mehr oder weniger so gekommen ist. Merkwürdig, dass die Wegbereiter von damals ausgerechnet in der Pandemie den Zeitpunkt gekommen sahen, die Anerkennung von Techno als Weltkulturerbe und einen Techno-Feiertag zu fordern (Jungle World 13/2020). Vorher war elektronische Tanzmusik, zumindest makroökonomisch gesehen ertragreich und kulturell Mainstream. Die einstige Underground-Bewegung ist längst ein fester Teil des Tourismuskonzepts vieler Städte. Wer wollte, konnte vielerorts jeden Tag zum Techno-Feiertag machen.

Wenn der Club Kultur ist, darf er mit konservativer Rhetorik und Methodik gegen die Prinzipien des Marktes erhalten werden, wie ein Denkmal.

Knapp 1,5 Milliarden Euro wurden einer von der Clubcommission, einem Gesamtverband der Berliner Clubs, durchgeführten Studie zufolge allein im Nachtleben der Hauptstadt 2017 umgesetzt. Festivals wie das Big City Beats World Club Dome in Frankfurt zählten mit weit über 100 000 Besuchern zu den meistbesuchten kostenpflichtigen Musik­veranstaltungen in Deutschland. Und auch der subversive Anstrich des Festivals Fusion konnte in den vergangenen Jahren nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um eine Massenveranstaltung handelt. Eine, zu der noch weit mehr als 70 000 Menschen kämen, hätten die Veranstalter nicht einen Zaun drumherum gezogen.

Während mehr Körper und Kapital denn je zu den Bässen strömen, kämpfen trotzdem jedes Jahr etliche Läden ums Überleben. Die Einnahmen reichen oft kaum für eine angemessene Bezahlung der Angestellten und die Raummiete, wenngleich viele Clubs ihren Besuchern zehn Euro und mehr abnötigen. Denen, die nach dem Vortrinken dann in die Indu­striebrache stolperten, war das oft egal, solang ihr Freitagabend, ihr Samstag und manchmal auch ihr Sonntag oder Montag gerettet waren. Die Situation wird schwierig durch das Marktgerangel um vielversprechende Innenstadtflächen, die Begehrlichkeiten bei Investoren und Vermietern wecken. Nur ein Beispiel von vielen: Die Leipziger Distillery, der älteste Techno-Club Ostdeutschlands, musste seit ihrer Gründung 1992 mehrfach um die Existenz bangen und soll 2022 ihren alten Standort endgültig räumen, obwohl die Veranstaltungen bis zuletzt beliebt und gut besucht waren.

Für den Erhalt des Clubs setzte sich sogar Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) ein. Nachvollziehbar staatstragend, denn mit den Clubs verschwinden Arbeitsplätze und Steuergelder, auch die Attraktivität der Städte für Touristen leidet. Nicht nur deswegen hat die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe der Clubcommission die eingangs zitierte Studie in Auftrag gegeben. Überall taucht darin ein Wort auf, das in den neunziger Jahren zur Selbstbeschreibung der Rave-Szene selten jemand verwendet hätte: Kultur.

Die politische Förderung der Szene scheint vielen Veranstaltern und Künstlern als adäquater Ausweg aus der Prekarisierung und Verdrängung. Wenn der Club Kultur ist, darf er mit konservativer Rhetorik und Methodik gegen die Prinzipien des Marktes ­erhalten werden, wie ein Denkmal. Aber für wen? Tine Fuchs vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag konstatierte im Bundesausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen, dass Clubkultur ein wichtiger Baustein für das Stadtmarketing sei und im Hinblick auf den Fachkräftemangel einen Standortfaktor darstelle. Auf der anderen Seite wollen Orte wie das »About Blank« zwar bleiben, sich aber nicht für die »Marke Berlin« einspannen lassen, welcher der Club einmal »fortwährendes Scheitern, Stillstand, Havarie« wünschte, obgleich er ebenfalls der Clubcommission angehört.

Das Beispiel zeigt die ambivalente Position der Clubs zwischen Authen­tizität und Kommerz. Möchte man Erstere pflegen und ein ausgewähltes Nischenprogramm darbieten, bedeutet dies oft dauernden Existenzkampf. Auf der anderen Seite drohen der Ausverkauf, die Eventisierung der Partys und damit das Abdriften in die von der Szene geschmähte Massenkultur.

Hinter den künstlerischen Darbietungen verschwindet die harte Realität, dass die meisten Clubs bestenfalls kostendeckend arbeiten können. Rücklagen zu bilden, ist oft nicht drin. Nicht alle Läden haben die Möglichkeit, sich etwa als Kultur- oder Jugendzentrum fördern zu lassen. Große Unternehmen machen sich das in auf die Jugend zielenden urbanen Marketingkampagnen zunutze. Programme wie die Red Bull Music Academy oder das Telekom Electronic Beats haben gezeigt, wie Clubkultur als Aushängeschild eines Konzerns vernutzt werden kann.

Gibt es politische Unterstützung, um solchen Übernahmeversuchen durch Konzerne widerstehen zu können? Die Fraktionen der regierenden Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus haben beantragt, Clubs mit kuratiertem Programm als Kulturstätten anzuerkennen, ähnlich Theatern oder Opern. Damit könnte die Lage der Clubs zumindest etwas erleichtert werden.

An anderer Stelle versucht eine bundesweite Initiative, das Baugesetz zu novellieren. Kordula Kunert vom Live-Kommbinat Leipzig e. V. erklärt das Problem: »In der deutschen Rechtsprechung werden Kulturbetriebe wie Clubs als Vergnügungsstätten kategorisiert und fallen damit in dieselbe Sektion wie Bordelle, Spiel­casinos, Wettbüros und Sexkinos. Dadurch sind Clubs gleich doppelt benachteiligt: wegen einer höheren Belastung durch Vergnügungs- oder Umsatzsteuer und weil sie nicht als Orte kultureller Nutzung in Bebauungsplänen verzeichnet sind.« Clubs sind deswegen vor dem in Großstädten um sich greifenden Verdrängung nicht geschützt, die Verwertung ihrer Räume ist dem Markt überlassen. Gesetzesänderungen könnten die kulturelle Arbeit der Clubs ­würdigen und deren steuerliche und rechtliche Lage verbessern.

Clubs als Anlagen für kulturelle Zwecke hätten dann eine bessere Verhandlungsposition, wenn der Hausbesitzer mal wieder Eigenbedarf anmeldet. Darüber hinaus könnte die Anerkennung als Kulturstätte dazu führen, dass sich der Betrieb professionalisiert. Laut der Studie der Clubcommission sind lediglich 28 Prozent der Angestellten in der Branche sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Der Rest besteht aus Minijobbern, freien Mitarbeitern, Auszubildenden, Praktikanten oder Ehrenamtlichen. Die Studie schätzt die Gesamtzahl der Angestellten in der hauptstädtischen Clubszene auf etwa 9 000. Damit gäbe es in Berlin mehr Werktätige in Clubbetrieben als bei Daimler. Abzuwarten bliebe, wer darüber entscheiden darf, ob eine Großraumdisko Kulturstätte ist oder nicht.

Andere Gründe für das sogenannte Clubsterben lassen sich wohl nicht per Gesetz beheben. Die Studie der Clubcommission stellt ebenfalls fest, dass das Durchschnittsalter der Gäste bei 30,2 Jahren liegt, was zeigt, dass die Szene in die Jahre kommt. Zwar liegt die Vermutung nahe, dass eine ältere Zielgruppe kaufkräftiger sein könnte. Gleichzeitig deutet sich an, dass Jugendliche unabhängig von Eintrittspreisen eher zu Trap und Shisha-Bar neigen und nicht zu Bässen und Ekstase.

Ohnehin ist so mancher vor der Clubtür heute gleicher als andere. »Unity« hieß in den frühen Jahren des Techno die politische Forderung nach Gleichheit aller Hautfarben, Geschlechter und sexuellen Orientierungen. Die Realität sieht heutzutage oftmals anders aus. Manche Veranstalter agieren restriktiver als ein preußischer Kleingartenverein. Kürzlich wurde in München ein 44jähriger bei einem Techno-Festival abgewiesen, weil er »zu alt« sei. Er klagte, doch das Amtsgericht München gab den Betreibern recht, die Begründung war vielsagend: Bei Techno-Veranstaltungen stünde »nicht allein die Musik«, sondern das »gemeinsame Feiern« im Vordergrund – und das gelinge nur, wenn die Gäste entsprechend ausgewählt würden.

Die Clubs selbst handeln im eigenen Interesse, wenn sie etwa zum Erhalt der Authentizität Menschen an der Tür aussortieren, die nicht zum Konzept passen. Nicht umsonst verspricht der Club Exklusivität, eine Diskothek hingegen Erstsemester- und Schaumpartys – das unbedingt zu vermeidende, reproduzierbare Geschäft. Immer wieder und immer öfter gibt es aber auch Debatten über rassistische Auswahlpraktiken an so mancher vermeintlich inklusiver Tür.

Das eigentümliche Paradoxon der Clubkultur – laufend erfolgreich und trotzdem ständig sterbend – versteht nur, wer begreift, dass Kultur im Kapitalismus keine abgetrennte Sphäre ist. Zwar hat sich Clubkultur immer gegen Konventionen abgegrenzt und fand in Nischen der Gesellschaft statt. Aber Subversion ist vor Verwertung nicht gefeit. Darum kämpfen viele Läden heutzutage gegen Probleme, die gerade der Siegeszug der Clubkultur erzeugt hat.

Solange aber Senatoren und Bürgermeister Clubs nicht erhalten wollen, weil sie ein schöner Ort für viele sind, sondern weil sie Arbeitsplätze liefern und Touristen anziehen und solange Türsteher nicht die Tür, sondern ein Image bewachen, wird auch der Kulturbegriff den Club nicht retten.