Die Kolumne zu Biopolitik und Alltag – Prostitution in der Pandemie

Schwitzen, Atmen, Pandemie

Bodycheck – Kolumne zu Biopolitik und Alltag
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Heftiges Atmen, verschwitzte Körper, die sich aneinander reiben – woran die meisten Leute beim Wort »Sex« denken, klingt nicht, als wäre es mit den Hygieneregeln zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie vereinbar. Aber auch die Sexarbeit ist eine Branche, die ­wieder Geld verdienen will und nun dafür argumentiert, die Regeln zu lockern.

In Österreich und vielen anderen EU-Ländern haben die Bordelle seit dem 1. Juli wieder geöffnet. Der Bundesverband sexuelle Dienstleistungen, nach eigenen Angaben ein »Zusammenschluss von Unternehmerinnen und Unternehmen in der Prostitution auf Bundesebene«, dem derzeit etwa 20 Bordellbetreiber angehören, hat die Kampagne »Bordelle öffnen! Sexarbeit gleichstellen!« ini­tiiert. Sexarbeitende bündeln ihre Forderungen auf Twitter unter dem Hashtag #RotlichtAn. In der vergangenen Woche hob das Verwaltungsgericht Berlin in zwei Eilverfahren die pandemiebedingte Schließung eines erotischen Massagesalons und eines BDSM-Studios auf, da es den Gleichheitsgrundsatz verletzt sah.

Bordelle und Verbände wie der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen, in dem aktive oder ehemalige Sexarbei­terinnen und Sexarbeiter Mitglied werden können, haben Hygiene­pläne vorgelegt und fordern, ihre Arbeit den anderen körpernahen Dienstleistungen gleichzustellen. Die Berliner Beratungsstelle für Prostituierte, Hydra, berichtet von polizeilichen Drohungen, ­Einschüchterungen und Taschenkontrollen auf dem Straßenstrich in der Kurfürstenstraße. In Hamburg muss jede sexarbeitende Person bis zu 5 000 Euro Bußgeld bezahlen, wenn sie beim Arbeiten erwischt wird.

Prostitution ist in Deutschland erst seit dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes 2002 legal. Das 2016 erlassene Prostituiertenschutzgesetz schreibt unter anderem eine Anmeldungs-, Beratungs- und Kondompflicht vor. Viele Prostituierte fühlten sich davon nicht geschützt, sondern bevormundet und stigmatisiert.

Im Mai 2020 hatten 16 Bundestagsabgeordnete von CDU/CSU und SPD in einem Brief an die Bundesländer gefordert, die Schließung der Bordelle langfristig aufrechtzuerhalten, da »Prostitution die Wirkung eines epidemiologischen Superspreader hätte«. Die Parlamentarier, darunter der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD), gehen aber noch weiter: Auch nach der Pandemie solle die Möglichkeit zur Sexarbeit weitgehend eingeschränkt bleiben, da sie grundsätzlich menschenunwürdig, zerstörerisch und frauenfeindlich sei. Die Abgeordneten fordern die Einführung des sogenannten nordischen Modells auch in Deutschland, nach dem die Kunden kriminalisiert und den Sexarbeitenden Hilfen zum Ausstieg angeboten werden. Das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter kritisierte die Forderung nach einem Sexkaufverbot. Dieses fördere die »gesellschaftliche Stigmatisierung von Menschen in der Sexarbeit« und Abhängigkeitsverhältnisse, die Gefahr von Ausbeutung und Gewalt steige.

Allgemein betrachtet vereint die Sexarbeit mehrere Faktoren, die ein Verbot in der Pandemie sinnvoll erscheinen lassen. Diese lassen sich aber auch bei anderen, teilweise längst wieder erlaubten Tätigkeiten finden. Heftiges Atmen in geschlossenen Räumen gehört auch beim Singen im Chor und beim Kampfsport dazu, die zwangsläufige Unterschreitung des Abstandsgebots von anderthalb Metern ergibt sich ebenso bei der Massage, beim Tätowieren und bei anderen »körpernahen Dienstleistungen«. Kontaktkampfsport ver­einigt diese beiden Probleme genauso wie Sexarbeit. Aber während man beim Ringen und Paartanz gar nicht anders kann, als sich an­zuatmen, muss man nicht das Kamasutra bemühen, um auf Techniken zu kommen, die sexuelle Befriedigung ermöglichen, während derer die Gesichter der beteiligten Personen den größtmöglichen Abstand zueinander halten.

Die Berliner Urteile rücken eine Aufhebung des Sexarbeitsverbots in greifbare Nähe. Das nächste Gerichtsurteil könnte befinden, dass explizit sexuelle Dienstleistungen mit Hygienekonzept möglich sein müssten, beziehungsweise hier durch ein Verbot der Gleichheitsgrundsatz verletzt würde. Allerdings könnte es sein, dass nicht die gesamte Branche wieder arbeiten darf: BDSM ist okay, sexuelle Dienstleistungen in gut belüftbaren Räumen sind es vielleicht auch, Straßenprostitution muss bis nach der Pandemie warten? Das stellt das ohnehin konstruierte gemeinsame Interesse von Bordellbesitzerinnen, Edelescorts und Straßenprostituierten auf die Probe und vergrößert die Unterschiede bei Handlungsfähigkeit und Verdienstmöglichkeiten, die in der Branche ohnehin ­immens sind.

Manche plädieren generell dafür, das gesellschaftliche Leben auf Sparflamme laufen zu lassen, bis ein Medikament oder ein Impfstoff gefunden ist. Man zwinge sonst diejenigen, die aufgrund von Vorerkrankungen oder Risikofaktoren mehr Angst vor einer Ansteckung haben müssen, in die Selbstisolation. Ob das Argument valide ist, hängt davon ab, für wie wahrscheinlich man die baldige Entwicklung eines dauerhaften Impfschutzes hält und für wie zutreffend die Risikozuschreibung für bestimmte Gruppen. Durchsetzbar sind diese Schließungsforderungen bei realistischer Betrachtung jedoch nicht, die Wirtschafts- und Lockerungslobbys haben vorerst eindeutig gewonnen. Wenn alles wieder möglichst normal läuft, stellt sich aber die Frage, welche Kriterien für die Öffnung gelten und ob diese zur Pandemiebekämpfung taugen. Wenn den einen heftiges Atmen in Gesellschaft anderer und Körperkontakt erlaubt werden, kann es den anderen kaum verwehrt bleiben.