Die WHO kann wenig für die Weltgesundheit tun

Es gilt die omertà

Unterfinanziert, abhängig von Pharmaunternehmen und gezeichnet von geopolitischen Machtkämpfen kann die WHO wenig für die Weltgesundheit tun.
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»Es wäre besser gewesen, wenn die chinesische Regierung in den ersten Phasen offener gewesen wäre.« Wenigstens eine so höflich formulierte Kritik an der repressiven Geheimhaltungspolitik, durch die wertvolle Zeit bei der Seuchenbekämpfung verloren ging, hätte man von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gerne gehört. Sie war auch zu hören – allerdings im April 2003 von Gro Harlem Brundtland, der damaligen WHO-Generaldirektorin. Als Ende 2002 in China eine neue Atemwegserkrankung auftrat, die später Sars genannt wurde, ließ Brundtland ihre Mitarbeiter selbst Informationen sammeln. Die WHO konfrontierte China im Februar 2003 mit ihren Erkenntnissen und erhielt am folgenden Tag den ersten offiziellen Bericht. Es geht also.

Die derzeitige Leisetreterei der WHO ist weniger darauf zurückzuführen, dass diese nicht mehr von einer resoluten Sozialdemokratin und ehemaligen Ministerpräsidentin Norwegens geleitet wird, sondern von Tedros Adhanom Ghebreyesus, dem ehemaligen Gesundheits- und Außenminister des autokratischen Regimes Äthiopiens. Sie ist vor allem die Folge des stetigen Verfalls internationaler Institutionen, der durch die Renationalisierung in den vergangenen Jahren noch beschleunigt wurde.


Die WHO verfügt über etwa 2,8 Milliarden US-Dollar, das entspricht rund einem Drittel des Forschungs- und Entwicklungsbudgets eines großen Pharmakonzerns wie Novartis. An der Zusammenarbeit mit dem medizinisch-industriellen Komplex führt da kein Weg vorbei, die wahren global players haben somit erheblichen Einfluss auf die weltweite Gesundheitspolitik. Die Mitgliedsstaaten könnten zwar gegensteuern, etwa durch höhere freiwillige Zahlungen, die derzeit mehr als 80 Prozent des Budgets der WHO ausmachen. Doch das Interesse an globaler Gesundheitspolitik ist gering.

Ausgesprochen geizig zeigt sich hier China, das nur 0,21 Prozent der freiwilligen Zahlungen an die WHO beiträgt – Nigeria erreicht immerhin 0,65 Prozent. Man darf daher davon ausgehen, dass es der chinesischen Regierung nicht um die bestmögliche Gesundheitspolitik, sondern vornehmlich um machtpolitische Ziele ging, als sie 2017 Tedros Adhanom Ghebreyesus, den Kandidaten der Afrikanischen Union, bei der Wahl zum Generaldirektor der WHO unterstützte. Er dürfte sich nicht zuletzt durch seinen langjährigen Dienst als anpassungsfähiger Technokrat empfohlen haben, von dem keine Unbotmäßigkeit zu erwarten ist.

Davon profitiert nicht nur China. Die zögerliche Reaktion der EU, die erratische Politik des britischen Premierministers Boris Johnson, das verantwortungslose Geschwätz des US-Präsidenten Donald Trump – Anlass zur Kritik gab es mehr als genug. Doch es gilt die omertà. »Wir kritisieren unsere Mitgliedstaaten nicht öffentlich«, sagte Mike Ryan, der Leiter der WHO-Programms zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie.
Die WHO muss sich an privatwirtschaftlichen Interessen und machtpolitischen Gegebenheiten orientieren, wenn sie überhaupt arbeitsfähig sein will. Man mag darüber streiten, ob Rücksicht auf China oder die Weltwirtschaft die WHO dazu bewog, am 24. Januar, einen Tag nach der Abriegelung Wuhans, als bereits die ersten Infektionen außerhalb Chinas bekannt waren, explizit von »unnötigen Beschränkungen des internationalen Verkehrs« abzuraten. Aber weltweit anerkannte Experten hätten es besser wissen müssen.

Die Coronakrise ist nicht das Ergebnis einer abstrakten Globalisierung, sondern machtpolitisch und ökonomisch motivierter Entscheidungen. Eine schnelle Reaktion Chinas hätte eine Pandemie wahrscheinlich verhindern können. Schnellere Reaktionen anderer Staaten hätten die Folgen gemildert. Weiterhin behindern kapitalistische und nationalstaatliche Konkurrenz die Bekämpfung der Pandemie. Die WHO ist Ausdruck dieser Verhältnisse, die der Weltgesundheit abträglich sind.