Wer die Behauptung vorbringt, die Nazis seien links gewesen, will sich meist abgrenzen und die Schuldfrage abwehren.

Angriff der Kommunistennazis

Die Nazis waren links – so lautet eine zugespitzte Auslegung der »Hufeisentheorie«. Sie kursiert derzeit wieder.

Sie ist wieder da, die Behauptung, die NSDAP sei doch eigentlich links gewesen. In der Schweizer Wochenzeitung Weltwoche wärmte sie jüngst Peter Keller auf. Der Journalist und Politiker ist Abgeordneter für die rechtspopulistische SVP im Nationalrat, der großen Kammer des Schweizer Parlaments. In dem Artikel will er anhand des Parteiprogramms der NSDAP und der Sozialpolitik des nationalsozialistischen Staats die titelgebende These beweisen: »Hitler stand links.«

Die »Brechung der Zinsknechtschaft« führt der Schweizer Rechtspopulist Peter Keller als sozialpolitische Forderung der NSDAP an.

Dass Keller für diesen Beweis das Parteiprogramm heranzieht, ist verwunderlich. Denn die 25 Punkte, in denen der Politiker die »sozialpolitischen, mitunter antikapitalistischen Forderungen«, also die linke Programmatik der NSDAP ausgemacht haben will, bestehen aus zentralen Elementen nationalsozialistischer Ideologie, die kaum als links bezeichnet werden können. Die »Brechung der Zinsknechtschaft« führt Keller etwa als sozialpolitische Forderung an, obwohl es sich um einen eindeutig antisemitischen Programmpunkt handelt, gerichtet gegen die mit dem »raffenden Kapital« identifizierten Juden. »Gemeinnutz vor Eigennutz« ist der antiindividualistische Kern der Ideologie der Volksgemeinschaft, wie er sich auch in der Parole »Du bist nichts, dein Volk ist alles« zeigt. Die Forderung nach dem »Ende der ›materialistischen Weltordnung‹«, die Keller ebenfalls als Beweis heranzieht, ist keine sozialpolitische oder antikapitalis­tische, sondern eine gleichermaßen antiliberale, antibolschewistische wie antisemitische, vermuteten die Nazis doch eine jüdische Verschwörung hinter dem Liberalismus und Kommunismus. Die realpolitischen Forderungen, auf die Keller eingeht – nach der »Ausbildung besonders veranlagter Kinder armer Eltern« auf Staatskosten etwa oder der Verstaatlichung von Betrieben –, unterscheiden sich, so der auf den Nationalsozialismus spezialisierte ­Historiker Michael Wildt, kaum von an­deren völkischen, also rechten Parteiprogrammen der Zeit.

Die Behauptung, die NSDAP sei eine linke Partei gewesen, wird in unregelmäßigen Abständen immer wieder vorgebracht. Es geht dabei nicht so sehr um eine adäquate historische Einschätzung dessen, was den Nationalsozialismus ausmachte. Wer diese Behauptung vorbringt, will sich meist abgrenzen und die Schuldfrage abwehren. Bedienen sich Konservative und andere Rechte der These vom linken Charakter der NSDAP, geht es ihnen überwiegend darum, die konservative Kollaboration mit dem Nationalsozialismus kleinzureden, »der Linken« die Schuld unterzuschieben und sich selbst als »gesellschaftliche Mitte« darzustellen. Die derzeit häufig herangezogene »Hufeisentheorie«, derzufolge sich die »extremen Ränder« von links und rechts beinahe glichen – zuletzt etwa vom Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, in der Welt in einem Meinungsbeitrag vertreten –, erfüllt die gleiche Funktion.

2012 twitterte Erika Steinbach, damals noch CDU-Bundestagsabgeordnete: »Die Nazis waren eine linke Partei. Vergessen? Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.« Die Worte »sozialistisch« und »Arbeiterpartei« hatte Steinbach in Großbuchstaben geschrieben, wohl um die Beweiskraft mit graphischen Mitteln zu steigern. 2003 hatte der Historiker und Hitler-Biograph Joachim Fest in einem Artikel in der Taz behauptet: »Manche guten Gründe sprechen dafür, dass der Nationalso­zialismus politisch eher auf die linke als auf die rechte Seite gehört.« Der Nationalsozialis­mus, so Fests These, stehe dem Sta­linismus näher als dem Faschismus Musso­linis.

Keller nimmt in der Weltwoche Bezug auf den His­toriker Götz Aly und dessen 2005 erschienenes Buch »Hitlers Volksstaat«. Darin vertritt Aly die These, der Nationalsozialismus sei eine »Gefälligkeitsdiktatur« gewesen, die die deutsche Bevölkerung mit ökonomischen Geschenken für sich gewonnen habe. Aly zufolge gehörten auch die sogenannten Arisierungen zu dieser Methode, Unterstützung zu erkaufen. Die deutsche Bevölkerung habe im Nationalsozialismus konkrete finan­zielle Vorteile erhalten. »Für die Mehrzahl der jungen Deutschen«, schreibt Aly in der Einleitung, »bedeutete der Nationalsozialismus nicht Diktatur, ­Redeverbot und Unterdrückung, sondern Freiheit und Aben­teuer.«

Genuin links ist eine solche Herrschaftssicherung durch gelegentliche ökonomische Zuwendungen allerdings nicht. Genuin links ist vielmehr eine Politik, die von der Gleichheit aller Menschen ausgeht. Auch deshalb ist es unhaltbar, die NSDAP als links zu bezeichnen: Ihre Ideologie fußte auf der mörderischen Ungleichheit, sie war eine Partei für sogenannte arische Deutsche. Ihre Kernforderung im 25-Punkte-Programm war die nach dem Ausschluss aller Juden aus der Volksgemeinschaft. Und selbst innerhalb der Volksgemeinschaft galt: Die Deutschen sind zwar gleichartig, aber keineswegs gleichwertig.

Der Artikel in der Weltwoche hat in Deutschland bislang keine große Debatte ausgelöst. Aber über Umwege hat die zentrale Behauptung dennoch Beachtung erhalten. Der ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen, Ralf Fücks, Gründer und Geschäftsführer des Zentrums liberale Moderne, das bislang durchaus gute Texte zur Neuen Rechten veröffentlichte, twitterte als Antwort auf eine Kritik an dem Artikel: »Sie müssen nur den Namen NSDAP ernst nehmen: Nationaler Sozialismus und völkischer Antikapitalismus. Das war nicht nur Gerede. Hitler war ›rechts‹ in seinem Nationalismus und Rassismus, ›links‹ in seiner Sozial- und Steuer­politik, dem Arbeiterkult, der staatlichen Lenkung der Wirtschaft.«

Der Historiker Marc Buggeln widersprach Fücks vehement: Die Sozial- und Steuerpolitik des Nationalsozialismus habe keine Umverteilung von oben nach unten bewirkt, im Gegenteil. Links sei sie daher nicht gewesen.

Ebenso wenig war der Arbeiterkult des Nationalsozialismus links. Der Prototyp des Arbeiters im Nationalsozialismus war der Soldat, was sich beispielsweise in Wortschöpfungen wie »Arbeitsfront« und »Soldaten der Arbeit« niederschlug. Der Arbeiterkult des ­Nationalsozialismus war militaristisch und völkisch, alle Deutschen waren aufgefordert, permanent Dienst an der Volksgemeinschaft zu leisten. Zudem, und das ist entscheidend, war der Arbeiterkult antisemitisch. Dem »schaffenden« deutschen Arbeiter stellten die Nazis die »raffenden« Juden als das Böse schlechthin gegenüber.

Dieser Arbeitsbegriff verweist auch auf den spezifischen Sozialismusbegriff des Nationalsozialismus. Dieser hat mit dem der Arbeiterbewegung nichts gemein. Stattdessen steht er für »Kampf dem Klassenkampf«, wie es der Soziologe M. Rainer Lepsius formulierte. In einem Kommentar zum 1934 verabschiedeten Arbeitsordnungsgesetz heißt es, sozialistisch sei, für »das Ganze tätig zu sein«. Und das Ganze war die Volksgemeinschaft, in der der Klassenkampf als undeutsch und zersetzend galt. Mit der Vergesellschaftung von Produktionsmitteln, dem Erringen sozialer Gleichheit und Freiheit, kurzum: mit der Linken, hat all das nichts zu tun.