In die Stichwahl um die Präsidentschaft in Tunesien gehen zwei politische Außenseiter, darunter ein Ultrakonservativer

Die große Überraschung

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Konservative Muslime pro­testierten gegen Essebsis Erbrechts­reform. Das Kabinett stimmte ihr im November 2018 zu. Das Parlament sollte ursprünglich im März dieses Jahres abstimmen, das Votum wurde jedoch bis nach den Wahlen verschoben.
Unterlegene islamistische Präsidentschaftskandidaten erklärten bereits ihre Unterstützung Saïeds für die Stichwahl, darunter der Anwalt Seifeddine Makhlouf. Er tritt oft als Strafverteidiger von Salafisten in Erscheinung und erhielt in der ersten Runde 4,4 Prozent der Stimmen. Aufmerksamkeit erregte er mit seinem Vorhaben, die Führungs­figuren des einflussreichen Gewerkschaftsdachverbands UGTT wegen »Sabotage der tunesischen Ökonomie« ins Gefängnis zu bringen.

Mittlerweile hat auch die Führung ­al-Nahdas, deren wichtigster Kandidat Abdelfattah Mourou vom eher mode­raten Flügel in der ersten Runde 12,9 Prozent der Stimmen erhalten hatte, zur Wahl Saïeds aufgerufen. Aber auch aus anderen politischen Lagern kommt nun Unterstützung für Saïed. So rufen auch der ehemalige Staatspräsident Moncef Marzouki – er erhielt drei Prozent der Stimmen – und Lotfi Mraïhi – mit 6,6 Prozent der Stimmen ein relativ erfolgreicher Bewerber der Kleinpartei Union populaire républicaine – zur Wahl Saïeds auf.

Dessen Konkurrent in der Stichwahl, Karoui, führt seinen Wahlkampf aus dem Gefängnis heraus. Er wurde am 8. Juli aufgrund einer Anzeige einer NGO aus dem Jahr 2017 wegen Geldwäsche und Steuerflucht angeklagt und kam am 23. August in Untersuchungshaft. Ursprünglich gehörte Karoui der Regierungspartei Nida Tounès an, die bereits zahlreiche Spaltungen durchmachte, ehe er sich 2017 mit ihr überwarf und eine eigene Partei gründete, Qalb Tounès (Herz Tunesiens).

Karoui leitet zusammen mit einem seiner Brüder den Fernsehsender Nessma TV und machte sich dadurch einen Namen, dass er Almosen in armen Landesteilen Tunesiens verteilte und kostenlose Festessen organisierte. Seine Karriere hatte er nach dem Abitur in Frankreich als Haustürvertreter für Colgate und Palmolive begonnen. Sein Wahlprogramm bleibt vage, als Hauptslogan wählte er: »Das Land ist reich, das Volk ist arm, ich bin Kandidat und zähle auf die Hilfe Gottes.« Der Verweis auf seine Inhaftierung erlaubte es ihm, seine Parolen nicht näher konkretisieren zu müssen.

In einem Punkt ist Karouis Profil ­jedoch klar: Die Islamisten hassen ihn. Im Oktober 2011 strahlte Nessma TV die Verfilmung der Graphic Novel »Persepolis« der Frankoiranerin Marjane Satrapi aus. 200 wütende Salafisten versuchten daraufhin, das Gebäude des Senders niederzubrennen, andere Islamisten verklagten Karoui wegen Blasphemie. Der Strafprozess endete mit einer relativ geringfügigen Geldstrafe.