Auf einen Kaffee mit Stereo Total

»Wir hassen Perfektion«

Seite 2 – Von Moden unbeirrt

Es gibt ein falsches Bild des Duos, das Bild der Niedlichen des Pop, ­dabei ist wenig niedlich an Stereo Total. Konnten schon zuvor viele Songtexte sowohl satirisch wie auch als Ausdruck von Verzweiflung verstanden werden, ist es nun in einigen Texten noch ernster geworden, weicht der sophisticated Popsong einer nervigen Aggressivität, die trotzdem erheitert – weil man sie teilt.

Gemäß ihrem Plattentitel machen Stereo Total es sich im Kino gemütlich.

Bild:
Paul Cabine

Solche Statements wären, das wissen Cactus und Göring nur zu genau, niemals möglich gewesen, wären sie – und diese Chance hatten sie mehrfach – zu einem Major Label gewechselt. Sie haben die vielen künstlerischen und menschlichen Niedergänge erlebt, die manche große Indie-Hoffnung der neunziger Jahre ereilte, sobald das große Geld winkte – und gleichzeitig, kaum merklich, der Druck aufgebaut wurde, diesen einen Hit hervorzubringen, der Kulturmaschinerie Genüge zu tun, den Umsatz zu vergrößern.

Das haben damals viele so gesehen – bevor die berauschenden Angebote hereinflatterten. Stereo Total haben sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur aus einer dezidierten Analyse heraus dagegen entschieden, zu einem großen Label zu gehen. »Damals gehörte es einfach zum guten Ton, nicht erfolgreich zu sein«, sagt Göring und lacht, denn er muss auch einräumen, dass vieles, was man seinerzeit über die Zukunft des Kapitalismus gemutmaßt hatte, tatsächlich eingetreten ist, zur großen Verwunderung jener, die diese Thesen damals im prophetischen Ton vorgetragen haben: »Es amüsiert mich, dass die Widersprüche heute so viel offener zutage treten als in den Neunzigern.«

Den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen setzen Göring und Cactus in ihrer Musik nicht unbedingt Protest entgegen. Sie machen einfach weiter, von Moden halbwegs unbeirrt. Ihr musikalisches Arsenal umfasst weiterhin Psychorock, Chanson, Punk und Elektroavantgardemusik, allerdings haben sie diesmal alles wilder miteinander verwoben, haben es gewissermaßen eingekocht. Wieder haben sie ihre Platte ohne die Hilfe von Computerprogrammen eingespielt, nicht weil sie es nicht könnten – sie wollen es nicht. »Wir hassen Perfektion«, konstatieren sie im Gespräch Sie wissen, dass die Software alles begradigen kann, und dass sie es leider auch tut, so dass eben am Ende »alles gleich klingt«. Cactus und Göring haben mal, so erzählen sie, auf einer Computermesse einen Workshop gegeben, und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten kaum fassen, welche interessanten Geräusche und Töne sie mit analogem Equipment erzeugen können. Dabei, sagt Göring, ist es mit der Analogmusik einfach so: »Jedes Kabel kann man übersetzen in gesellschaftliche Parameter.«