Auf einen Kaffee mit Stereo Total

»Wir hassen Perfektion«

Stereo Total erlauben sich seit 26 Jahren alles, was sie möchten – auch auf ihrem neuen Album »Ah! Quel Cinéma!«.

Schon die Namen sind irgendwie bescheuert: Françoise Cactus und Brezel Göring, haha, wer nennt sich so, Fun Punks oder wer? Ja, bescheuert. Und nein, irgendwie dann doch auch nicht bescheuert. Denn Cactus und Göring, die seit 1993 zusammen in einer Band spielen, wollen schon mit ihren Künstlernamen, ihren noms de guerre, etwas klarmachen. Die beiden sind wie die Namen, die sie sich selbst gegeben haben: albern, komisch, merkwürdig, seltsam, befremdlich. Und ihr Anspruch ist gleichzeitig allumfassend, denn zusammen sind sie Stereo Total.

Es gibt ein falsches Bild des Duos, das Bild der Niedlichen des Pop, dabei ist wenig niedlich an Stereo Total.

Diese Haltung schlägt sich in der Musik nieder. Stereo Total waren immer eine Lo-Fi-Elektroband, die amtlich rockt. Sie hatten Hits, »Schön von hinten« etwa oder »Wir tanzen im 4-Eck«, eine Coverversion des Songs der genialen Dilletanten von der Tödlichen Doris. Ihre Songs sind aus der Indie-Disko nicht wegzudenken, obschon sich ihre Musik immer ein wenig verweigert. Da, wo sie gefällig sein könnte, hakt sie plötzlich, und dennoch erzeugt sie dabei Heiterkeit.

Seit sie musizieren, haben sie, so sagt es Françoise Cactus im Interview mit der Jungle World, lieber »herumexperimentiert. Alles andere ist langweilig.« Und Stereo Total langweilen sich schnell. Sie wollen, betont Brezel Göring, stets frei agieren: »Wir haben nie darüber nachgedacht, ob es den Leuten gefallen wird.« Das sagen viele Bands, die sich in dieser Attitüde gefallen, doch so, wie die beiden dies entspannt behaupten, während sie beinahe spießig am Kaffeetisch in ihrer Wohnung sitzen, ist klar: Die meinen das tatsächlich ernst.

Mit dieser Haltung sind sie auch an ihr neues, soeben veröffentlichtes zwölftes Album »Ah! Quel Cinéma!« herangegangen, auf dem sie weiterhin gewissermaßen durch die Gegenwart flanieren, auf dem aber auch mehr Widerwille gegen das Gesehene und Erlebte durchscheint. Das Duo lässt sich nicht mehr nur mit melancholischer Scherzhaftigkeit durchs Leben treiben, es stößt sich von diesem immer mehr ab. Auf dem Album findet sich daher etwa der »Hass-Satellit«, in dem das Weltraumgefährt sein Alleinsein feiert – zu dem Song gibt es ein schönes, wenngleich ziemlich verstörendes Video von Mariola Brillowska. Am Ende des Albums wird die Welt mit »Keine Musik« bestraft.

Von Moden unbeirrt

Es gibt ein falsches Bild des Duos, das Bild der Niedlichen des Pop, ­dabei ist wenig niedlich an Stereo Total. Konnten schon zuvor viele Songtexte sowohl satirisch wie auch als Ausdruck von Verzweiflung verstanden werden, ist es nun in einigen Texten noch ernster geworden, weicht der sophisticated Popsong einer nervigen Aggressivität, die trotzdem erheitert – weil man sie teilt.

Gemäß ihrem Plattentitel machen Stereo Total es sich im Kino gemütlich.

Bild:
Paul Cabine

Solche Statements wären, das wissen Cactus und Göring nur zu genau, niemals möglich gewesen, wären sie – und diese Chance hatten sie mehrfach – zu einem Major Label gewechselt. Sie haben die vielen künstlerischen und menschlichen Niedergänge erlebt, die manche große Indie-Hoffnung der neunziger Jahre ereilte, sobald das große Geld winkte – und gleichzeitig, kaum merklich, der Druck aufgebaut wurde, diesen einen Hit hervorzubringen, der Kulturmaschinerie Genüge zu tun, den Umsatz zu vergrößern.

Das haben damals viele so gesehen – bevor die berauschenden Angebote hereinflatterten. Stereo Total haben sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur aus einer dezidierten Analyse heraus dagegen entschieden, zu einem großen Label zu gehen. »Damals gehörte es einfach zum guten Ton, nicht erfolgreich zu sein«, sagt Göring und lacht, denn er muss auch einräumen, dass vieles, was man seinerzeit über die Zukunft des Kapitalismus gemutmaßt hatte, tatsächlich eingetreten ist, zur großen Verwunderung jener, die diese Thesen damals im prophetischen Ton vorgetragen haben: »Es amüsiert mich, dass die Widersprüche heute so viel offener zutage treten als in den Neunzigern.«

Den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen setzen Göring und Cactus in ihrer Musik nicht unbedingt Protest entgegen. Sie machen einfach weiter, von Moden halbwegs unbeirrt. Ihr musikalisches Arsenal umfasst weiterhin Psychorock, Chanson, Punk und Elektroavantgardemusik, allerdings haben sie diesmal alles wilder miteinander verwoben, haben es gewissermaßen eingekocht. Wieder haben sie ihre Platte ohne die Hilfe von Computerprogrammen eingespielt, nicht weil sie es nicht könnten – sie wollen es nicht. »Wir hassen Perfektion«, konstatieren sie im Gespräch Sie wissen, dass die Software alles begradigen kann, und dass sie es leider auch tut, so dass eben am Ende »alles gleich klingt«. Cactus und Göring haben mal, so erzählen sie, auf einer Computermesse einen Workshop gegeben, und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten kaum fassen, welche interessanten Geräusche und Töne sie mit analogem Equipment erzeugen können. Dabei, sagt Göring, ist es mit der Analogmusik einfach so: »Jedes Kabel kann man übersetzen in gesellschaftliche Parameter.«

Lust am Analogen

Mit Lust arbeiten Stereo Total also mit analogen Aufnahmegeräten, schon die Technik sorgt dafür, dass alles etwas roher klingt. Gerade die Platten, deren Produktionsprozess chaotisch war, gefallen Göring besser als andere. »Man kann das hören.« Ist das das Menschliche darin? So weit würde das Duo nicht gehen.

Sie geben allerdings Handlungsanleitungen zur Menschwerdung: »Welcher Idiot hat mich geweckt / ich träum’ so schön in meinem Bett«, heißt es im Song »Cinémascope«, in dem sich auch diese Zeilen zu Ehren aller Tagträumerinnen und -träumer finden: »Die ganze Woche tu ich nichts / am Wochenende erhole ich mich.« In »Ich bin cool«, dem vielleicht besten Stück des Albums, scheitert jemand an der Verheißung, sich mit Hilfe von Waren in alles verwandeln zu können. »Brezel Says« ist eine freundliche Betrachtung des sich missverstanden fühlenden Künstlers und eine entzückende Anspielung auf »Candy Says« von The Velvet Underground. Auch in all den anderen Texten geht es immer wieder um Liebe, ums Scheitern, um Hoffnungen und Enttäuschungen, um die Illusionen, die Menschen sich selbst machen – das alles wie stets in einer Sprache, in deren ­Einfachheit viel Arbeit steckt.

Mit dieser alten Indie-Haltung, die dem Pop gegen seine kommerzielle Verwendbarkeit einige Aufmüpfigkeit entlocken will, sind sie doch auch reichlich pädagogisch, oder nicht? »Ich möchte nicht, dass unsere Band pädagogisch wirkt«, sagt Cactus, »und sie tut es dann natürlich doch. Vielleicht ist es schon Pädagogik, wenn junge Mädchen bei unseren Konzerten sind und dann sehen sie mich alte Schachtel da hinterm Schlagzeug und ich erlaube mir das. Dann ist das so.«

In dieser Art des Sich-Erlaubens, kann man die Haltung, die die Band seit 26 Jahren auszeichnet, sehr gut erkennen – es ist das »Wir lassen uns nichts verbieten«, das glückliche Kinder rufen, bevor sie zu Konsumenten und Fachidioten werden. »Es ist nicht leicht« – mit diesen Worten beginnt der Eröffnungssong von »Ah! Quel Cinéma!« Er heißt »Einfach«, und die Band stellt darin fest: »Es ist nicht leicht / einfach zu sein«. Sich seine Kunst einfach über so viele Jahre zu erlauben, ist noch schwerer. Doch Stereo Total fällt es anscheinend leicht.

Stereo Total: Ah! Quel Cinéma! (Tapete ­Records/Rough Trade)