Die Identitären und der Terror

Die heikle Spende als Komplott

Martin Sellner von der Identitären Bewegung Österreich hatte eine Spende des mutmaßlichen Mörders von Christchurch erhalten. Nun wird geprüft, ob die Bewegung verboten werden kann.

Martin Sellner ist erzürnt. Am Montagabend vergangener Woche gab der Sprecher der Identitären Bewegung Österreich per Videobotschaft bekannt, sein Haus sei durchsucht und sein Computer beschlagnahmt worden. Gegen ihn laufe ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Grund war eine Spende des australischen Rechtsextremen Brenton Tarrant, der am 15. März im neuseeländischen Christchurch mutmaßlich 50 Menschen ermordete (Jungle World 12/2019), an Sellner. Bevor dieser in dem 15minütigen Video auf Youtube zur Sache kommt, breitet er eine längere Vorgeschichte aus. Er sei übers Wochenende unterwegs gewesen, habe sich den Magen verdorben, dann an seiner Steuererklärung gearbeitet, dabei sei ihm der »unverhältnismäßig hohe« Geldeingang aufgefallen, also habe er sich den Absender genauer angeguckt und Böses geahnt, so dass er sich am Montag mit seinem Anwalt habe beraten wollen, aber da sei die Polizei schon da gewesen. Tags darauf bestätigte das österreichische Innenministerium die Hausdurchsuchung, an der auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT) teilgenommen habe.

Während die österreichische Politik sogar über ein Verbotsverfahren gegen die Identitäre Bewegung diskutiert, hat Sellner in Wirklichkeit wenig zu befürchten.

Die Spende in Höhe von 1 500 Euro soll am 5. Januar 2018 eingegangen sein. Sie ist den Behörden offenbar schon vor einiger Zeit aufgefallen. Als der Name des mutmaßlichen Attentäters von Christchurch bekannt wurde und demjenigen von Sellners Wohltäter glich, habe man beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, sagte der Sprecher des Innenministeriums. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Stellvertreter Heinz-Christian Strache (FPÖ) ließen ein paar kernige Ansagen gegen Terrorismus jedweder Couleur folgen. »Bei uns funktioniert der Rechtsstaat«, deklamierte der FPÖ-Vorsitzende, was ihm ironische Bemerkungen im Netz einbrachte. Der »Witzekanzler«, der in seiner Jugend an Wehrsportübungen teilnahm, setzt sich ganz gern einmal zu einem Bier mit einem Identitären an einen Tisch und kann sich später nicht erinnern, wenn der Wirt mit entsprechenden Fotos für sein Lokal wirbt.

Kurz deutete an, es gebe »Machenschaften im Hintergrund«, Strache forderte, alle Verbindungen des Attentäters nach Österreich »lückenlos« aufzuklären. Diese Äußerungen beziehen sich darauf, dass der Mann Ende 2018 zweimal nach Österreich gereist war. Es ist also durchaus möglich und sogar wahrscheinlich, dass er versucht hatte, mit Gleichgesinnten nicht nur in Österreich Kontakt aufzunehmen. Denn er verstand seine Tat als Auftakt und Propaganda für einen globalen Aufstand gegen Migration und »Umvolkung«. Wie eng Tarrant sich den europäischen Faschisten verbunden fühlt – »Mein Blut ist europäisch« – und wie sehr er mit deren Geschrei vertraut ist, zeigt sich schon daran, dass er in einem selbstverfassten sogenannten Manifest Angela Merkel und den Bürgermeister von London, Sadiq Khan, als Todfeinde benennt.

Sellner wirkt nun recht zerknirscht und selbstmitleidig. Wie hätte er ahnen sollen, dass der Absender der Spende ein Terrorist sein könnte? Er habe mit dem Mann außer einer Dankesmail nach Erhalt der Spende keinen Kontakt gehabt und sei immer für den »fried­lichen Widerstand« eingetreten. Das Vorgehen der Polizei und des BVT sei völlig überzogen und rufschädigend. Wahrscheinlich habe der australische Terrorist seine Spende in voller Absicht getätigt, um ihn und die Identitären »in die Sache reinzuziehen«. Im Begleittext seines Video-Posts versteigt sich Sellner sogar zu der Behauptung: »Die von Tarrant erhofften und bezweckten Repressionen gegen patriotische Aktivisten gehen los.« Wer die tatsächlichen Opfer waren, die in Christchurch ermordet wurden, ist ihm im Video noch keine Silbe wert.

Während die österreichische Politik sogar über ein Verbotsverfahren gegen die Identitäre Bewegung diskutiert, hat Sellner in Wirklichkeit wenig zu befürchten. Seine Behauptung, er habe sich erst jetzt an die belastende Spende erinnert, ist unglaubwürdig. Der Anschlag in Neuseeland war am 15. März. Zwei Tage später wurde das sogenannte Manifest bekannt, das der mutmaß­liche Täter unmittelbar vor seiner Tat verschickt hatte. Darin bezieht er sich auf alles, was in der rechten Szene derzeit angesagt ist, auf weiße Rassisten und White Supremacists, auf Alt-Rights, Reichsbürger, Prepper, Truther, rechtsextreme Netze in der Bundeswehr et cetera – vor allem aber auf den identitären Kampf gegen den »Großen Austausch«.

Vom Anschlag bis zur Hausdurchsuchung hatte Sellner also über eine Woche Zeit, um alle anderen Indizien eines Kontakts mit Tarrant zu beseitigen, die es möglicherweise über die Spende hinaus gegeben hat. Diese Zeit hat ihm das österreichische Innenministerium unter Herbert Kickl (FPÖ) – der »Minister ohne Verfassung« und »populistische Extremist« in der Regierung, so Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung – gewährt. Als sie dann endlich vor der Tür standen, dürfte Sellner vom Besuch der Beamten kaum überrascht gewesen sein. Repression sieht anders aus.

Mit herkömmlichen Mitteln wird das BVT auf den Datenträgern, die bei Sellner beschlagnahmt wurden, wohl nichts Belastendes finden. Interessant wird die Untersuchung erst, wenn die Ermittler sämtliche Undelete-Techniken zur Anwendung bringen, über die ihre IT verfügt.

Der inzwischen angeklagte Australier hat sein Manifest mit der Überschrift »The Great Replacement« (»Der Große Austausch«) versehen. Dieser ähnelt Titeln diverser rechter Bestseller, etwa »Feindliche Übernahme« von Thilo Sarrazin oder »Le Grand Remplacement« seines französischen Pendants Renaud Camus. »Der Große Austausch« ist das Kernstück der identitären Propaganda. Diese Fiktion haben sie dermaßen verinnerlicht, dass sie sich ­untereinander wie selbstverständlich mit einer Abkürzung verständigen. Der »GA« komme, der »GA« sei in vollem Gang, der »GA« schreite unaufhaltsam voran.

»Ach, Martin!« ruft der Rechtsideologe Götz Kubitschek in seiner Zeitschrift Sezession in einem Artikel mit dem Titel »Mein Freund Martin Sellner« diesem zu. Es gelte abzuwarten, ob der Begriff »Großer Austausch« nicht »am Ende so sehr kontaminiert ist, dass man ihn im Grunde nicht mehr benutzen und schon gar nicht mehr retten kann«. Doch, meint Kubitschek, auch der »politische Kampf in einer Demokratie« sei »nicht ›gerecht‹« und »manchmal sogar hinterfotziger als in einem autoritären Regime«. Die Rechten müssen wohl nun selbst »hinterfotziger« sein und mit anderen Begriffen operieren. Auch Alice Weidel (»Umvolkung«) und Alexander Gauland (»Bevölkerungsaustausch«) dürften genau hingehört haben. Hinterfotzig ist in der Tat eine treffende Charakterisierung der identitären Moral.