Kritische Astrologie - Die Telefonie und ihre Macht über unser Leben.

Angst frisst Stimme auf

Kolumne Von

Als das Handy aufkam und jeder, der was auf sich hielt, mit den damals noch flaschengroßen Dingern am Gemächt herumgockelte, war einer der schlimmsten in diesem Zusammenhang geäußerten Witze: »Und telefonieren kann man damit auch?« Wie aber alles, was einmal als Witz gemeint war, nach und nach Wirklichkeit wurde, ist aus der Farce von damals heute eine weltgeschichtliche Tatsache geworden. Die Leute telefonieren nicht mehr, ja, haben einen regelrechten Graus davor – je jünger sie sind, umso grauslicher.

Einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zufolge benutzen 30 Prozent der befragten Jugendlichen die Telefonfunktion ihres Smartphones fast überhaupt nicht mehr.

Messenger-Dienste ersetzen die Fernmündlichkeit komplett; sogar das Beziehungsleben wird darüber abgewickelt: 36 Prozent der jungen Leute haben schon mal per Chat Schluss gemacht.

Aber auch ältere Nutzer schildern, eine regelrechte Panik vor dem Telefonieren zu haben. Vielfältige Gründe werden für das Phänomen angeführt: Man muss sofort reagieren, kann seine Botschaft nicht nachträglich korrigieren oder löschen. Vielfach werden verbal geäußerte Gefühle schon nicht mehr richtig erkannt, weil außer der Mimik des Gegenübers auch noch die unterstützenden Emojis fehlen.

Der paradoxe Effekt: Die scheinbar persönlichste Kommunikationsform ist zur peinlichsten und unangenehmsten geworden.

So haben also Gesichter nach und nach die Stimme aufgefressen. Darüber ließe sich bestimmt ein herrlich kulturkritisches Lamento anstimmen: Wir erkennen Emotionen nur noch in ihrer Karikatur; die Aufzeichnung ist originaler als das Original und so weiter. Man kann das als Soziophobiker aber auch begrüßen – und hoffen, dass es bald eine Möglichkeit gibt, auch persönliche Treffen per Aufzeichnung zu arrangieren. Eine Aufzeichnung von sich selbst ins Café schicken, die man löschen kann, wenn sie einem peinlich wird – das wäre vielleicht die Rettung des Sozialen!