Geflüchtete auf Lesbos. Vier Porträts

»Hier im Projekt ist es sicher«

Vier Geflüchtete, die auf der griechischen Insel Lesbos im Camp Moria gestrandet sind und in einem improvisierten Schulprojekt für Flüchtlingsfrauen mitarbeiten, erzählen ihre Geschichte.

Wenig hat sich in den sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 getan. Die Lage in den Flüchtlingslagern, etwa dem Moria-Camp, in Lesbos seien »die Hölle«, »eine Schande für Europa« und eine »einzige Katastrophe«, wie in den vergangenen Monaten in unzähligen Reportagen und Berichten aus Griechenland zu ­lesen war. Fast 8 000 Menschen müssen Tag für Tag in diesen Lagern leben und überleben. Das sind auch 8 000 Schicksale von Menschen, die mehr sind als nur Objekte einer völlig verfehlten Flüchtlingspolitik. Vier von ihnen kommen an dieser Stelle zu Wort. Ihre Geschichten wurden von den Autoren aus dem Englischen übersetzt.

Zehn Minuten zu Fuß entfernt von dem Camp hat die lokale griechische Hilfsorganisation »Stand by me Lesvos« an einem Hang mit Olivenbäumen vor fünf Monaten eine improvisierte Schule eröffnet. Mittlerweile besuchen gut 500 Frauen, vor allem aus Afghanistan, dort Kurse in Englisch und Griechisch. Unterrichtet wird in Zelten und einem aus Paletten ­gezimmerten Häuschen, in einem Container lagern Nahrungsmittel und Güter für den alltäglichen Bedarf, die im Gegenzug für die Teilnahme an den Kursen an die Flüchtlingsfrauen verteilt werden.

 

Masumeh Sarah

Ich habe zwei Namen: Masumeh, aber auch Sarah. Das ist bei uns in Afghanistan so üblich. Ein Name ist für die Öffentlichkeit und einer für Familie und Freunde. Ich bin im Iran geboren worden, in einem Flüchtlingslager, und dort auch aufgewachsen. In Mashhad, wo sehr viele Afghanen leben.

Seit ungefähr 50 Tagen bin ich auf Lesbos. Ich arbeite hier im Projekt als Englischlehrerin. Ich arbeite hier als Freiwillige. Ich hatte gehört, dass es diese Schule für Frauen gibt und dass man hier jede Woche eine Ration Extranahrung bekommt. Ich habe mir das dann erst einmal angeschaut, mich als Schülerin gemeldet, um zu sehen, wie es hier ist. Und es hat mir gefallen. Als ich hörte, dass sie dringend Lehrerinnen brauchen, habe ich mich gemeldet. Jetzt helfe ich außerdem bei der Organisation, der Registrierung der Frauen zum Beispiel.

Masumeh Sarah

Masumeh Sarah

 

Bild:
Thomas von der Osten-Sacken

Ich habe Englisch von Afrikanern in türkischen Flüchtlingslagern gelernt. Ich glaube, das war sogar ein Gefangenenlager, weil die türkische Polizei mich einmal beim Versuch, nach Griechenland zu gelangen, festgenommen hat. Da waren viele Somalier und Nigerianer und so habe ich Englisch gelernt. Ich war da einige Zeit, bis ich freigelassen wurde. Danach habe ich es nochmal versucht, nach Griechenland zu kommen und es hat funktioniert. Die griechische Polizei hat uns dann hierher ins Moria-Lager gebracht.
Ich weiß nicht, was weiter passieren wird. Niemand weiß das. Wir warten. Nichts ist klar. Ich hatte einen

Termin für meine Anhörung, aber den haben sie verschoben. So ist unser Leben hier, wir wissen nichts. Vielleicht stelle ich mich nachher zur Essensausgabe im Lager an und jemand fängt einen Streit mit mir an und ersticht mich. Da kommt es jeden Tag zu Konflikten, Leute schreien sich an, drängeln und werden gewalttätig.

Ich lebe im Camp, weil ich Schmerzen am Fuß habe, nicht im Dschungel. Dschungel! So nennen wir das Zeltlager neben dem Camp. Aber für mich wäre es besser, da zu leben, denn dort sind die meisten Afghanen untergebracht. In Moria sind es viele Araber und auch wenn meine Nachbarn wirklich nett sind, kommt es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den Arabern und den ­Afghanen. Und das betrifft uns dann alle. Für Afghanen ist deshalb der Dschungel sicherer.

Ich fürchte, der Winter wird schlimm. Vor allem, wenn es schneien sollte. Vor einiger Zeit hat es hier heftig geregnet und da konnten die Leute ihre Zelte nicht verlassen, alles war verschlammt und einige der Zelte sind sogar eingestürzt. Schon damals sind viele Kinder, aber auch Frauen und Männer krank geworden. Und die ärztliche Versorgung hier ist ganz schlecht.

Es gibt zu wenige Ärzte und sie kümmern sich nicht wirklich um einen. Sie geben kaum Medizin. Vielleicht haben sie einfach zu wenig. Das weiß ich nicht. Sie sagen den meisten Leuten: »Trinkt viel Wasser.« Mehr nicht. Offiziell sollen sie bis fünf Uhr nachmittags arbeiten. Aber ganz oft gehen sie schon um zwei oder drei. Dann bleiben nur die Krankenschwestern.

Als ich kam, hatte ich nichts. Auch kein Geld. Zum Glück haben mir damals die arabischen Nachbarn geholfen und uns etwas Geld geliehen. Jetzt habe ich auch einen kleinen Kocher und kann vor dem Zelt kochen. Und ich bin recht froh, dass wir nur zu zweit sind, andere müssen sich zu sechst ein Zelt teilen. Ich lebe jetzt mit meinen Bruder. Das ist sehr schön, denn wir haben uns hier in Lesbos getroffen. Wir sind getrennt in die Türkei gefahren damals. Mein Bruder kam aus Afghanistan, ich aus dem Iran. Jetzt erhalten wir hier 90 Euro im Monat.

Die Frauen hier im Projekt wollen vor allem Englisch lernen. Sie wissen, dass sie das brauchen werden. Und sie brauchen die zusätzlichen Nahrungsmittelrationen, die man hier am Ende jeder ­Woche bekommt. Manche kommen auch nur wegen der Nahrung, aber sie müssen eben vorher die Kurse besuchen. Aber ich freue mich, dass die meisten wirklich lernen wollen.

Ich unterrichte jeden Tag eine Klasse und springe manchmal ein, wenn andere Lehrerinnen nicht kommen. Aber mehr als eine Klasse am Tag zu unterrichten, ist schwierig, ich verliere dann schnell die Nerven, fange an laut zu werden. Die ganze Flucht und alles, was ich erlebt habe, belastet mich, ich habe, wie fast alle hier, auch mit eigenen psychischen Problemen zu kämpfen. Ich möchte nicht erzählen, warum ich geflohen bin, zu meiner Sicherheit, denn wenn einige der Leute im Camp das erfahren würden, dann bekäme ich Probleme.
Dieser Ort hier ist sicher und hier kann man sich entspannen. Nur der Weg hierher ist nicht sicher. Männer versuchen einem ­aufzulauern, weil wir ja durch einen kleinen Olivenhain laufen müssen. Man muss immer aufpassen. Es gibt unglaublich viele solcher Probleme in Moria. Frauen haben hier immer Angst. Deshalb kommen sie auch immer in kleinen Gruppen, nie alleine. In Moria ist es genau so. Ich verlasse nachts mein Zelt nicht mehr. Ich habe in den letzten Wochen viel gesehen und erlebt. Ratten und andere Tiere, und dann gibt es nicht genug Toiletten. Die nächste ist 300 Meter entfernt. Da kann man nachts nicht einfach hingehen. Und es ist dunkel da.

Dann ist da das Dusch- und Wachproblem: Frauen nutzen die Duschen nicht, die sind offen und das ist sehr gefährlich. Es gibt nicht einmal heißes Wasser. Für Frauen gibt es deshalb ein Projekt, Duschen außerhalb, wo sie hingehen können. Das ist ein Projekt von einer Hilfsorganisation.

Ich möchte gerne weiter als Lehrerin arbeiten und auch helfen, diese Projekte hier zu verbessern. Ich arbeite sehr gerne mit anderen Menschen. Auch im Iran habe ich als Freiwillige anderen afghanischen Flüchtlingen geholfen. In ganz verschiedenen Bereichen. Deshalb mag ich es es hier, finde es sehr gut und wichtig. Es ist wichtig, etwas zu tun zu haben, nicht nur den ganzen Tag herumzusitzen und über die eigenen Probleme nachzudenken. Und wenn man mich lässt, dann habe ich viele Ideen, was man hier noch besser machen könnte. Wir brauchen zum Beispiel einen Platz für die Kinder, die sitzen jetzt noch mit ihren Eltern in den Klassen und stören. Und wir brauchen mehr Material. Vor allem aber müssten die Lehrer besser ausgebildet werden, auch wie sie mit all den Problemen der Frauen umgehen können. Die meisten hier haben so viele Probleme und brauchen dringend Hilfe.

 

Mohammad

Ich heiße Mohammad und komme aus Lahore in Pakistan und ich bin jetzt seit fast drei Jahren in Lesbos. Ich warte noch immer auf eine Entscheidung über meinen Asylantrag.

Ich bin 2016 hierhergekommen und ich bin fast den ganzen Weg gelaufen. Erst in den Iran, dann in den Irak, in die Türkei bis nach Istanbul und von dort nach Griechenland. In Pakistan hatte ich große Probleme. Ich habe dort einen Unfall mit meinem Motorrad gehabt und einen alten Mann schwer verletzt. Da bekam ich großen Ärger mit dessen Familie, vor allem einem seiner Söhne, der drohte, mich zu töten. Das war sehr gefährlich für mich, denn ich stamme aus dem indisch-pakistanischen Grenzgebiet und hatte keinen pakistanischen Ausweis oder andere Dokumente. Mein Dorf liegt eigentlich auf indischer Seite. Ich bin nie in eine richtige Schule gegangen, hatte keine langfristige Arbeit und deshalb kein Geld, um der Familie des Unfallopfers eine Entschädigung zu zahlen. Mein Leben war bedroht und keine Behörde hätte mir geholfen.

Mohammad

Mohammad

Bild:
Thomas von der Osten-Sacken

Ich habe viel freie Zeit und die Lage in Moria ist furchtbar. Da komme ich gerne her in das Projekt und helfe als Freiwilliger. Ich helfe dabei, Nahrung zu verteilen und wenn etwas repariert werden muss. Solche Sachen. Ich mag es, hier zu sein, im Lager gibt es nämlich so viele Probleme. Da kommt es jeden Tag zu Auseinandersetzungen, Schlägereien unter den Leuten. Es ist dreckig, überall sind viel zu viele Menschen. Und für alles steht man stundenlang an, für Essen, beim Arzt, überall nur lange Schlangen.

Wenn mein Asylantrag anerkannt wird, will ich versuchen, nach Athen zu gehen und mir dort einen Job zu suchen. Und wenn das nicht klappt, vielleicht nach Italien oder Spanien. Griechenland ist kein guter Ort für uns, die Menschen sind auch arm und es gibt keine Arbeit.

Ich bin ganz alleine in Europa. Seit fast drei Jahren. Zu meiner Familie in Pakistan habe ich keinen Kontakt. Leider nicht. Im Moment bin ich ganz alleine.