In den vergangenen Monaten ­haben sich zwei neue Balkanrouten etabliert

In der Push-Back-Zone

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Pro Asyl berichtet, wenn »Schutzsuchende irgendwo in Kroatien aufgegriffen werden, verweigern ihnen die dortigen Behörden das Recht, Asyl zu beantragen. Geflüchtete werden nicht registriert, sondern von der kroatischen Grenzpolizei direkt wieder nach Bosnien abgeschoben.«

Die kroatische Polizei war schon zuvor für ihre Brutalität bekannt. Der aufsehenerregendste Fall ereignete sich am 31. Mai 2018. Ein Kleinbus mit zwei Dutzend Insassen versuchte die Grenze zu überqueren. Kroatische Grenzpolizisten schossen auf den Bus und trafen dabei zwei Kinder. Sie überlebten.

Trotz dieser Brutalität und der illegalen Push-Backs schweigt die EU-Kommission zu den Zuständen an der bosnisch-kroatischen Grenze, denn die Zahl der irregulären Grenzübertritte in die EU sinkt kontinuierlich. Laut Frontex sind in den ersten zehn Monaten des Jahres 118 990 Personen irregulär in die EU eingereist. Das sind 31 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum und es ist eine andere Größenordnung als 2015 und 2016. Für die EU-Kommission und viele nationale Parlamente der EU-Staaten ist das ein großer Erfolg. Man ist bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen, dass weniger Flüchtlinge kommen.

Derzeit ertrinkt jeder fünfte Flüchtling, der sich auf dem Weg über das Mittelmeer nach Europa macht. Die Gefahr ist größer als je zuvor. 2018 sind bereits über 2 000 Menschen auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Bei solchen Zuständen ist es keine Überraschung, dass die EU ihren Türsteher Kroatien gewähren lässt, wenn es darum geht, auch den Weg über Land unpassierbar zu machen.

Nun entdeckt auch die kroatische Regierung das Thema für sich. Jahrelang wurde die Balkanroute von den kroatischen Leitmedien und der breiten Öffentlichkeit eher als technisches Problem behandelt – es wollte ja kaum jemand bleiben. Nun versucht die Prä­sidentin Kolinda Grabar-Kitarović sich auf Kosten der Flüchtlinge zu profilieren und kritisiert vermehrt die vermeintlich großzügige Flüchtlingspolitik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Als die rechtspopulistische Regierung in Österreich ankündigte, den UN-­Migrationspakt nicht zu unterschreiben, zog Grabar-Kitarović nach und ­erklärte, sie halte nichts von dem Abkommen: »Seien Sie sicher, dass ich das Abkommen von Marrakesch nicht unterzeichnen werde«, teilte Grabar-Kitarović mit. Sie verstehe die Sorge der kroatischen Bürger wegen des Abkommens.

Später relativierte die kroatische Präsidentin diese Aussage wieder. Der Welt sagte sie, es gebe noch offene Fragen, die weiter diskutiert werden müssten, aber sie sei nicht grundsätzlich gegen den Pakt. Grabar-Kitarović überlegt offenbar noch, ob es sich für sie unterm Strich politisch auszahlt, sich öffentlichkeitswirksam gegen den Pakt zu stellen oder nicht.

In Bosnien ist die Stimmung geteilt. Der bosnische Staat tritt kaum in Erscheinung, die Flüchtlinge sind auf freiwillige Helfer angewiesen. In der Re­gion um Velika Kladuša sieht man noch die Spuren des Bosnienkrieges, in Form von Ruinen und Einschusslöchern in Wänden. Viele Bosnier in der Region waren selbst Kriegsflüchtlinge und zeigen sich solidarisch mit den Geflüchteten. Sie bringen ihnen Wasser und ­Essen. Die Bürger von Velika Kladuša haben rund 200 Menschen in ihren Häusern aufgenommen.

Doch auch in Velika Kladuša ändert sich die Stimmung langsam. Medienberichte über vermeintlich gefährliche und kriminelle Flüchtlinge nehmen zu. Die Solidarität weicht der Kriminalisierung. Manche Helfer kommen nur noch heimlich, damit ihre Familien nichts mitbekommen. Bei vielen Menschen in Velika Kladuša sind die Geflüchteten genauso unerwünscht wie in der Europäischen Union. Doch sie werden nicht aufgeben. Im Gespräch mit der kroatischen Wochenzeitung ­Novosti äußerte eine Gruppe: »Wenn es sein muss, dann buddeln wir einen Tunnel bis nach Italien.«