Die Geschichte von CSU-Bayern neigt sich nun dem Ende zu

Bayern schafft sich ab

Seite 2 – Das Wir gibt es nicht mehr
Essay Von
Laptop und Lederhosen

Tradition trifft Moderne. Die Geschichte der CSU ist auch eine Geschichte des Aufstiegs Bayerns zum Industriestandort

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mauritius images / Marc Gilsdorf

Wenn Markus Söder nun beschwört, die CSU sei die letzte Volkspartei, beschreibt er unwillentlich ihren Niedergang. Sowohl die durch die Strauß-Doktrin erzwungene stete Wanderung nach rechts als auch die Hegemonie der reichen »Oberbayern« und der Reaktion machte genau diese Kraft der Vereinigung der Gegensätze, das Besetzen einer undisputablen »Mitte« unmöglich. Seehofer und Söder wurden aus verschiedenen Gründen zu Politikern, die nicht allein in der Republik, sondern auch in den eigenen Reihen zu Kräften der Spaltung wurden. Ihr Machtwille lässt sich mit den anderen Parametern der bayerischen Politik (­einer bayerischen Biergarten-Liberalität etwa, dem »barocken« Selbstgenuss) nicht mehr verbinden. Seehofer und Söder verhalten sich, wie sich nur Herrscher am Ende einer Herrschaftsform verhalten: wie sterbende Könige, die lieber ihr Land mit in den eigenen Untergang reißen, als die Herrschaft abzutreten.

Bayern war als Insel der Glückseligen verloren, und das wussten die meisten Menschen in Bayern auch, aber bis zu einem gewissen Grad folgten sie den Regierenden noch in der Lust an der Destruktion: Wenn es uns nicht besser gehen kann als den anderen, dann wollen wir wenigstens die anderen gehörig stören. Wo Bayern verlieren muss, da soll Berlin nicht gewinnen!

Unter Edmund Stoiber hatte die CSU noch einmal ein großes politisch-ökonomisches Projekt, dessen wahre Ausmaße sich gerade hinter Stoibers leicht narrenhaftem Folklorismus perfekt verbergen ließen. Mit einer komfortablen absoluten Mehrheit ausgestattet nutzte er die Gelder aus der Privatisierung in einer »Offensive Zukunft Bayern« und »High-Tech-Offensive Bayern« für eine prosperierende Standort­politik. Konnte jemand, der mit Sprache und Logik so auf Kriegsfuß stand, tatsächlich das Gesicht eines Landes verändern? Noch einmal funktionierte die CSU-Kultur der politisch-ökonomisch-folkloristischen Hybride. Wieder konnte, unter anderem durch etliche Großbaustellen, dieses Gefühl des bayerischen Exzeptionalismus bedient werden: Es geht uns gut, weil wir wir sind. Und weil es uns besser geht als den anderen, sind wir auch die Besseren. Aber danach musste die Politik auf Austerität und Reduktion umgestellt werden. Das achtjährige Gymnasium, die Studiengebühren, der ungelöste Konflikt zwischen Landschaftsschutz und Flächenverbrauch, die Mietpreise, und vieles andere machten deutlich: Das »Uns geht es gut« lässt immer mehr Menschen fallen. Es gibt nichts mehr zu verteilen. Das Wir gibt es nicht mehr. Das Paradies hat sich selbst aufgefressen und existiert als solches nur noch für eine Minderheit, während auch das letzte Dorf noch hinter seinem Industriegebiet Nord den Identitätsrest verliert.

Nach Stoiber konnte es nur noch ein Projekt geben: Bayern schafft sich ab. Warum ist das niemandem als Buchtitel eingefallen? Vermutlich, weil bayerische und deutsche Identität eben doch nicht vollkommen synchron und schon gar nicht in harmonischer Einheit funktionieren.

Die Krise jedenfalls war unabwendbar. Bei der Landtagswahl in Bayern am 28. September 2008 verlor die CSU unter einer Doppelspitze mit Erwin Huber und Günther Beckstein satte 17,3 Prozentpunkte und erreichte erstmals seit 1962 bei einer Landtagswahl nicht mehr die absolute Mehrheit. Erst trat der CSU-Vorsitzende Erwin Huber zurück, danach wurde Ministerpräsident Beckstein zum Rücktritt gedrängt, und es begann die vermutlich letzte Episode in der Geschichte von CSU-Bayern unter Horst Seehofer, gekrönt von einer Rückeroberung der absoluten Mehrheit in der Landtagswahl 2013. Sie ist geprägt von defensiven Maßnahmen. Seehofer trat militant für die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels ein, Theodor Guttenberg organisierte die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, danach ging es um Mautpflicht und die Flüchtlinge. 2016 stand die Abspaltung der CSU von der »Schwesterpartei« CDU im Raum. Selbst Horst Seehofer wollte für die Fraktionsgemeinschaft »keine Ewigkeitsgarantien« abgeben. Was folgte und mittlerweile seinen Höhepunkt überschritten hat, waren eine performative Obstruktionspolitik der CSU in Berlin, und ein zermürbender Machtkampf zwischen Seehofer und Söder in Bayern.

Bayern war als Insel der Glückseligen verloren, und das wussten die meisten Menschen in Bayern auch, aber bis zu einem gewissen Grad folgten sie den Regierenden noch in der Lust an der Destruktion: Wenn es uns nicht besser gehen kann als den anderen, dann wollen wir wenigstens die anderen gehörig stören. Wo Bayern verlieren muss, da soll Berlin nicht gewinnen!

Bei der Bundestagswahl 2017 erzielte die CSU das schlechteste Ergebnis seit 1949, die AfD setzte sich auch in Bayern fest und ließ sich nicht, wie einst die »Republikaner«, die sich für kurze Zeit ebenfalls rechts von der CSU zu etablieren schienen, aufsaugen oder wie die NPD isolieren. Noch am Wahlabend gab Seehofer bekannt, dass sich die CSU nun wieder um »konservative Werte« kümmern werde und die »rechte Flanke« schliessen wolle. Schon damit hatte Seehofer freilich das Konzept einer integrativen, folkloristisch-auf­gelösten Volkspartei aufgegeben. Der Machtkampf zwischen ihm und Söder hörte auch mit seiner Funktion als Bundesinnenminister und Söders Ministerpräsidentschaft nicht auf. Söders groteske Symbolpolitik mit dem Kreuz­erlass und Seehofers rechte Opposition gegen die eigene Regierung in Berlin veränderten die politische Kultur. Es wurde überdeutlich, dass die Einheit von Politik und Folklore nur noch äußerer Habitus war. Sogar Grünen-Politiker und -Politikerinnen trugen »Tracht« überzeugender als CSU-Granden. Und dass das Aufsaugen und Er­drücken des »rechten Rands« diesmal nicht gelingen würde, zeichnete sich schon sehr bald ab.

 

Die drei Gründe des bayersichen Niedergangs

Es gibt also insgesamt drei Hauptgründe für den bayerischen Niedergang: erstens den inneren Zerfall durch die ökonomisch-politische Entwicklung des Neoliberalismus, der das »Leben und leben lassen« als Grundeinstellung und Garant des sozialen Friedens unmöglich macht und kommunitaristische Inseln weitgehend zerstört. Die Umwandlung Bayerns in eine Drei-Drittel-Erscheinung, nämlich Industrie- und Bürowucher, Ödland und Bavaria-Disneyland ist weitgehend abgeschlossen. Es ist unübersehbar: Die CSU hat Bayern verkauft.

Zweitens bringt der äußere Zerfall in der Ära Merkel eine Ausbreitung rechtsextremer und neofaschistischer Gedanken und Verhaltensweisen hervor, die auch von der CSU nicht mehr zu schlucken sind. Zugleich hat die CSU in den vergangenen Jahren im Zug der weiteren Neoliberalisierung nach Stoibers High-Tech-Initiative so viel ökologische, kulturelle und sogar folkloristische Zerstörung zugelassen, dass die Grünen folgerichtig als Konsens- und Konservationskraft nachrücken. Sie sollen, bitteschön, wieder herrichten, was die CSU an und in Bayern letzthin kaputtgemacht hat. Die CSU konnte nie damit rechnen, den Verlust von bürgerlich-liberalem Klientel durch das Fischen am rechten Rand kompensieren zu können. Sie ist mittlerweile nicht mehr allein eine Partei, in der es die Rechten gut haben, sofern sie es nicht übertreiben, sie ist selbst eine rechte Partei.

Drittens fehlt eine ambigue, joviale und folkloristisch-authentische Inte­grationsfigur oder, rundheraus gesagt: ein bayerischer König. Die Spaltung der Figur in den Lear Seehofer und den Hamlet Söder macht den Verlust nur um so deutlicher: Hier sind vor allem Gespenster unterwegs; oder jene Machthaber, die es in der bayerischen Geschichte auch immer wieder gab, die das Land nur als Mittel zur persönlichen Macht und zum persönlichen Besitz machen wollen. So etwas gibt es selbstverständlich auch anderswo, doch am Ort des feudalistischen Urpopulismus wirkt es sich besonders fatal aus. Söder und Seehofer laufen als nackte Könige durch die Straßen eines Landes, das gerade wieder einmal aus einem Traum erwacht.

Fast rührend nehmen sich die Appelle aus, mit dem Niedergang der CSU sei ein »unregierbares« Bayern verbunden. Denn genau das war das klammheimliche Versprechen, das noch die Dissidenten und Grantler in Bayern mit ihrem Land verbunden hatte, das auch immer noch etwas Unregierbares hatte. Mit der Normalisierung Bayerns geht also wahrscheinlich auch der Mythos verloren, dass unter der feudal-mafiösen Oberfläche der Herrschaft ein ganz besonderer Bereich des Anarchismus verborgen wäre. Aber die Jennerweins waren genauso gelogen wie die Märchenkönige.