Die Plastikstrategie der EU ist wirkungslos

Recycelte Ideologie

Einige Verbote und unverbindliche Freiwilligkeit – so lässt sich die Plastikstrategie der EU beschreiben, die lieber von »gutem Plastik« träumt, als wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

Die »Plastikstrategie« der EU, die Anfang des Jahres angekündigt wurde, enthält eher einen bunten Strauß schöner Ziele als eine richtige Strategie. Plastikverpackung soll demnach bis zum Jahr 2030 recyclingfähig, Schiffsmüll an Land entsorgt und der Einsatz von Mikroplastik eingedämmt werden. Begriffe wie »Reduzierung«, »Vision« und »freiwillige Verpflichtungen«, die im Papier eine zentrale Rolle spielen, signalisieren einerseits Unverbindlichkeit, andererseits das harte Primat wirtschaftlicher Interessen: 200 000 Arbeitsplätze sollen europaweit im Recyclingsektor geschaffen und zwischen 70 und 105 Milliarden Euro jährlich durch bessere Verwertung der Rohstoffe eingespart werden.

Wie schon bei der Einführung des Gelben Sacks beziehungsweise der gelben Tonne für leichten Verpackungsmüll beschwört die EU erneut das Konzept der »Kreislaufwirtschaft« bei steigender Profitrate: Die Produkte sollen am Ende ihrer Haltbarkeit repariert, wiederverwendet oder recycelt werden. Das ist aber in kapitalistischen Produktionsverhältnissen schwierig. Denn diese basieren historisch auf dem wachsenden Verbrauch von Ressourcen und auf einer gründlichen Störung des Verhältnisses von Menschen zu unterworfener Natur. Trotz blauer Tonnen verbrauchte Deutschland 2015 dem »Papieratlas« zufolge so viel Papier wie Afrika und Südamerika zusammen.

Auch der Gelbe Sack erwies sich als untauglich. Der Europäischen Statistikbehörde Eurostat zufolge konnten bisher europaweit weniger als 30 Prozent des Plastiksabfalls recycelt werden, nur sechs Prozent des Plastiks in der EU stammen demnach aus dem so erzeugten Recyclingkunststoff. Vor allem in China wurden aus recyceltem Plastik minderwertige Fleece-Stoffe, Spielzeug, Kitsch und kurzlebige Konsumwaren unter anderem für den außereuropäischen Markt hergestellt, während immense Mengen des als Rohstoff aus Europa exportierten Plastikmülls in asiatischen Flüssen und Meeren landeten. Bezeichnenderweise beendete Anfang des Jahres nicht etwa die EU den Export, sondern China verbot den Import von Plastikmüll.

100 Millionen Euro will die EU für Forschung in Sachen Plastikmüll bereitstellen – eine ziemlich niedrige Summe, wenn man bedenkt, dass die Kosten für den Schaden von Plastikmüll an marinen Ökosystemen zurzeit auf acht Milliarden jährlich geschätzt werden. Wie ernst es die EU mit der Forschung meint, zeigt der Stand der Statistik: Die meisten Zahlen im Strategiepapier stammen aus dem Jahr 2015.

Ein unerträglicher Komfortverlust ist nicht zu beobachten. Plastik ist in den seltensten Fällen unverzichtbar.

Zu den wenigen präziseren Ankündigungen, die das Papier enthält, gehört die Investition von 351,5 Millionen Euro bis 2020 in Kampagnenarbeit und in die Beseitigung von Plastikmüll durch Freiwilligenprojekte des »European Solidarity Corps«. Anderweitige Schadensbeseitigung will die EU in bislang unbestimmter Höhe unterstützen. Ein Verbot von Mikroplastik wird immerhin vorbereitet, Minimalanforderungen für Bekleidung sollen formuliert werden. Normierte Siegel sollen nur vorgeblich kompostierbare Kunststoffe von wirklich kompostierbaren unterscheiden – die Wahl bleibt allerdings weiterhin den Konsumentinnen und Konsumenten überlassen.

Dass Plastik seinen Siegeszug antreten konnte, liegt zum einen an der Verlagerung der Folgekosten ins Ausland oder in die Zukunft, zum anderen an der Einsparung von Arbeitskraft bei der Entsorgung. Die gesellschaftlich bezahlte Müllentsorgung ist für den einzelnen Verursacher, etwa einen Großveranstalter, günstiger als individuell bezahlte Spüldienste. Obst und Gemüse abgepackt und fertig etikettiert zu erwerben, ist für Supermärkte günstiger, als eine Verkaufskraft anzustellen. Windeln zu verbrennen, rechnet sich eher als das Waschen von Stoffwindeln. Dieses Produktionsverhältnis ­erzeugt Druck auf andere Staaten, ihre Produktion am deutschen Vorbild auszurichten. Exporte haben die Gewöhnung an den Reiz des Aufreißens von Plastikverpackungen bei Neuwaren ebenso globalisiert wie das lustvolle Wegwerfen von »To Go«-Kaffeebechern, in denen sich der Stress der Arbeit symbolisiert.

 

Generell sind nichteuropäische Staaten in Sachen Plastik stärker gefordert und nehmen ihre Funktion als ideelle Gesamtkapitalisten entsprechend realistisch wahr. Anstatt eine teure Infrastruktur für Müllentsorgung aufzuziehen, haben bereits 17 afrikanische Staaten angesichts der katastrophalen Entwicklung der vergangenen 20 Jahre Plastiktüten verboten. Auch Indien und China haben sich zu einem Verbot entschlossen, ohne dass wirtschaftliche Nachteile entstanden wären. Das bislang wenig erfolgreiche Beispiel ­Indien allerdings zeigt, dass nicht nur der Konsum, sondern auch die Herstellung von Plastiktüten zumindest streng überwacht werden sollte.
In Europa hat Dänemark bereits 2003 eine Steuer auf Plastiktüten eingeführt, in Irland waren Steuern und individuelle Müllsortierung sehr erfolgreich. In Italien sind Plastiktüten seit 2011 verboten, in Frankreich seit 2016.

Ein unerträglicher Komfortverlust ist nirgends zu beobachten. 60 Prozent des Plastikmülls entstehen aus Verpackungen. Gummibärchen können in Papiertüten, Wasser aus Sprudlern, Käse in Holzspanschachteln und Legosteine in untergliederten Kartons verkauft werden – Plastik ist in den seltensten Fällen unverzichtbar. Bewährte Behältnisse wie Kartonagen, Körbe und Metallboxen sind zwar etwas teurer, dafür ungleich komfortabler in der Verwendung. Es bedarf eines gesellschaftlichen Prozesses, der unverzichtbare Nutzungsweisen von verzichtbaren trennt. Was selbst Entwicklungsländer schaffen, sollte Industrienationen im Stande größtmöglichen Reichtums, großer ­Lebenssicherheit und beispielloser Freiheit möglich sein.

Wenn jedoch nur ein subventionierter Markt für recycelbares Plastik entstehen soll, wie das die EU anstrebt, bedeutet das nicht, dass Plastik durch bessere Materialien ersetzt wird, sondern dass eine industrielle Sparte vom Plastikverbrauch abhängig bleibt und weitere Verbote auf nationaler Ebene durch die EU eher sabotiert werden. Damit wird die EU als Weltmacht an der globalen Verdoppelung des Plastikverbrauchs in den nächsten 20 Jahren teilhaben. Mit der Normierung von Lebensmitteln hat sie bereits Standards gesetzt, die sich nur durch mehr Verpackung einhalten lassen.

Plastikmüll gibt es erst seit rund 50 Jahren, doch er bleibt über 100 Jahre erhalten. Kunststoff zerbricht durch Einwirkung von Reibung, Wärme, Druck und UV-Strahlung in immer kleinere Teile, die irgendwann sogar in die Blutbahn gelangen können. Dort können sie theoretisch Arterien verstopfen und hormonähnlich wirkende Substanzen freisetzen.

Das ist die Hauptangst des Industrielandes Deutschlands, das sein Müllproblem erfolgreich kaschiert hat und Plastikpartikel daher vor allem in den ansonsten klinisch reinen Nahrungsmitteln fürchtet. Viel größer aber sind die Auswirkungen außerhalb Europas. Die globale Warenproduktion erzwang durch Konkurrenzdruck, Schuhe aus Naturrohstoffen durch Flip-Flops und Sneakers, Ton- und Holzschüsseln durch Plastikgeschirr, Kalebassen durch Wasserbeutel und -flaschen zu er­setzen.

Der westliche Konsumstil hat sich von jeher einen Weg in den Süden gesucht und als Fortschritt maskiert. In dessen Namen verpesten in afrikanischen Städten Furane und Dioxine aus der wilden Hausmüllverschwelung die Luft, 10 Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich im Meer und an einstmals plastikfreien tropischen Stränden.

Dieser globalen Realität spotten die unverbindlichen »Anreize für die Wirtschaft«, mit denen die EU das seit Jahrzehnten bestehende Problem nun lösen möchte.