Der Antisemitismus hat in Deutschland wieder Hochkonjunktur

Jüdischsein als Provokation

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Ein großes Problem ist es allerdings auch, den muslimischen Antisemi­tismus zu verharmlosen, wenn jede Kritik daran höchstens abgelenkt wird und als Reaktion lediglich auf den ebenfalls vorhandenen Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft verwiesen wird. Der Islamismusexperte Ahmad Mansour spricht von qualitativen Unterschieden der Phänomene. Der muslimische Antisemitismus sei »in den Herkunftsländern wie in der Diaspora frecher, dreister und emo­tionaler als der verhohlene deutsche«, schrieb er im Tagesspiegel. »Nicht zu Unrecht haben Juden in Deutschland, in Europa vor ihm Angst. Umso mehr ist es eine Schande, dass die Angst vieler Juden relativiert wird«, so Mansour.

Ein typisches Beispiel für diese Relativierung ist das gerade erschienene Buch »Muslimischer Antisemitismus« von David Ranan. Antisemitismus wird dort im Wesentlichen als Reaktion auf Israels Politik gegenüber den ­Palästinensern rationalisiert – als ob es Antisemiten um irgendein bestimmtes Verhalten von Juden ginge. Doch Ranan behauptet, der Antisemitismus­begriff sei teilweise »eine politische Waffe« und werde auch genutzt, »um Gegner Israels zu diskreditieren«. Die Feststellung, dass muslimischer Anti­semitismus ein großes Problem sei, nennt er im Spiegel »kurios«.

Zurück zu Adam Armoush. Dass er nach dem Angriff nicht alleine gewesen sei und der Fall viel Aufmerksamkeit erhalten habe, habe ihm gutgetan, ­berichtet er im Gespräch mit der Jungle World. »Mir geht es mittlerweile besser, aber nicht gut. Ich schwitze nachts sehr viel.« Noch immer quälten ihn Albträume, auch tagsüber fühle er sich gestresst. Weitere Interviews wolle er vorerst nicht mehr geben. »Auf dem gestrigen Heimweg von der Arbeit habe ich gemerkt, dass ich die ganze Zeit renne. Bis zu meiner Haustür bin ich gerannt, weil ich so viel Angst habe. Ich fühle mich einfach unsicher und hätte nicht erwartet, dass es so schlimm wird.«

Dass das Tragen der Kippa ein »Experiment« gewesen sei, hätten viele Medien falsch übersetzt oder falsch übernommen. »Der Großteil meiner Freunde in Israel ist jüdisch, ich habe dort auch jüdische Feiertage gefeiert und habe das Gefühl, dass ich ein Teil davon bin«, berichtet er. »Ich habe die Kippa getragen, weil ich nach dem israelischen Gedenktag für die Opfer des Holocaust Solidarität zeigen wollte. Sie hat mir ein gutes Gefühl gegeben, als ich sie geschenkt bekam. Ich habe mich einfach wohl damit gefühlt.«

Einige deutsche Kommentatoren haben dafür kein Verständnis. So kritisiert Jakob Augstein in einem Tweet Armoush: »Wie gestört ist unsere Wirklichkeit, dass jemand auf die Idee kommt, das Tragen der Kippa als ­Provokation zu nutzen – und damit auch Erfolg hat!« Für Augstein ist ­offenbar nicht etwa die antisemitische Gewalttat »gestört«, sondern das ­Tragen der jüdischen Kopfbedeckung. 2012 setzte das Simon-Wiesenthal-­Center Augstein, der Spiegel-Kolumnist und -Miteigentümer sowie Eigentümer und Chefredakteur des Freitag ist, auf seine jährliche Rangliste antisemitischer Verunglimpfungen und wurde damals vielfach für eine vermeintlich überzogene Entscheidung kritisiert. Offenbar will Augstein den damaligen Kritikern nun beweisen, dass sein Platz auf der Liste durchaus gerechtfertigt war.