Gefangene aus den Niederlanden

Voll Verpfiffen

Fast 100 niederländische Bürger werden in der Türkei festgehalten – viele von ihnen wurden von Erdoğan-Anhängern denunziert.

ebruWenn es um schlechte Beziehungen zwischen EU-Mitgliedsstaaten und der Türkei geht, nehmen die Niederlande seit dem Frühjahr einen der vorderen Plätze ein. Vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei untersagte die niederländische Regierung zwei türkischen Ministern Auftritte im Rotterdamer Generalkonsulat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan quittierte dies mit einigen Nazivergleichen.

Das Verhältnis beider Staaten hatte sich schon in den vergangenen Jahren angespannt. Ausgetragen wird der Konflikt unter den sogenannten Nederturken, Bürgern türkischer Herkunft. 2016 rief das türkische Konsulat sie auf, vermeintlich beleidigende Äußerungen über den türkischen Staat oder dessen Präsidenten zu melden. Einschüchterungen und Bedrohungen regimekritischer Personen sind seither an der Tagesordnung. Die Botschaft ist deutlich: Wer gegen Erdoğan ist, ist auch in den Niederlanden nicht sicher.

Erfahren mußte dies die niederländische Kolumnistin Ebru Umar, die im Frühjahr 2016 in ihrem türkischen Urlaubsort festgenommen und mehrere Wochen festgehalten wurde. Türkische Niederländer hatten sie wegen zweier Tweets über Erdoğan angezeigt. Ihre Inhaftierung sorgte in den Niederlanden wochenlang für Schlagzeilen, nicht zuletzt weil zahlreiche türkischstämmige Niederländer sie ausdrücklich begrüßten.
Zurzeit sitzen 80 niederländische Bürgerinnen und Bürger in türkischer Haft, die »konsularischen Beistand bekommen«, so Roel van der Meij, der Sprecher des Außenministeriums in Den Haag, auf Anfrage der Jungle World. Zudem hätten »ungefähr zehn Niederländer ein Ausreiseverbot«. Gründe der Festnahmen und Haftdauer variierten, so van der Meij. Botschaft und Konsulat hülfen den Betroffenen, Anwälte zu finden, und erinnerten bei den türkischen Behörden »ständig« an ihre Situation – offenbar jedoch ohne viel Erfolg.

Auch Außenminister Bert Koenders setzte sich auf Drängen des Parlaments schon mehrfach in Ankara für ihre Freilassung ein. Den Gefangenen wird vorgeworfen, Gülen-Anhänger oder Regierungskritiker zu sein.

»Niederländer, die mit der Gülen- Bewegung sympathisieren, meiden die Türkei schon seit dem Coup«, so der Journalist Rasit Elibol im September in der linken Wochenzeitschrift De Groene Amsterdammer. »Aber auch in progressiven Kreisen denkt man gut nach, ob ein Besuch in der Türkei vernünftig ist.« Er selbst entschied sich dagegen, als seine Familie unlängst zu einer Beerdigung nach İzmir reiste. »Ich wäre gerne mit ihnen ins Flugzeug gestiegen, aber meine Umgebung riet mir davon deutlich ab. Als Journalist in die Türkei? Nicht so schlau, Junge!«