Große Teile der Bevölkerung Myanmars heißen die Vertreibung der Rohingya gut

Spenden und vertreiben

In Myanmar geht die Armee nach Überfällen einer Rebellengruppe brutal gegen die muslimische Minderheit der Rohingya vor, Hundert­tausende wurden vertrieben. Der Militäreinsatz ist im Land populär.

Vorab die gute Nachricht, wenn auch zu einem unpassenden Zeitpunkt: Zum vierten Mal in Folge führt Myanmar dieses Jahr die Liste der weltweit spendenfreudigsten Länder an, wie dem vor wenigen Tagen veröffentlichten World Giving Index 2017 zu entnehmen ist. In keinem anderen Land ist – gemessen an Größe und durchschnittlichem Einkommen der Bevölkerung – die Bereitschaft, Geld zu spenden, nichtmonetäre Hilfe und Unterstützung für bedürftige Fremde zu leisten sowie ehrenamtlich für Hilfsorganisationen zu arbeiten, höher als in Myanmar. Die schlechte Nachricht: Dort spielt sich seit einigen Wochen eine humanitäre Katastrophe ab.
Die Vereinten Nationen sprechen von ethnischen Säuberungen und haben die gewalttätigen Ausschreitungen im nordwestlichen Staat Rakhine, in deren Folge bislang über 400 000 Rohingya in das Nachbarland Bangladesh geflohen und rund 1 000 Menschen getötet worden sein sollen, auf die Tagesordnung der Sicherheitskonferenz ­gesetzt.

Aung San Suu Kyi verurteilt die Gewalt

Aung San Suu Kyi sagte am Mittwoch vergangener Woche ihre geplante Teilnahme ab. Erst am Dienstag äußerte sich die Staatsrätin, die de facto die Funktion einer Regierungschefin erfüllt, bei einer Pressekonferenz zu den Menschenrechtsverletzungen. Sie verurteilte die Gewalt und bot den vertriebenen Rohingya die Rückkehr nach Myanmar an. Allerdings sollen die Flüchtlinge vorher einer Überprüfung unterzogen werden, wobei unklar blieb, wie diese aussehen soll. Das Militär kritisierte Suu Kyi in ihrer Rede nicht. Einmal mehr hat sich damit gezeigt, wie machtlos sie tatsächlich ist.

Auslöser für die jüngste Welle der Gewalt waren gut koordinierte Überfälle auf zwei Dutzend Grenzschutzposten Myanmars am 25. August. Etwa 150 Kämpfer der Arakan Rohingya ­Salvation Army (ARSA) waren daran beteiligt, auf beiden Seiten gab es Todesopfer zu beklagen. Bisher kaum in Erscheinung getreten, kämpft die ARSA nach eigener Aussage für die Anerkennung der Rohingya als ethnischer Gruppe in Myanmar. Dabei bediene sie sich des Prinzips der Selbstverteidigung, um die Rohingya vor staatlicher Repression zu schützen.

Die Regierung Myanmars betrachtet die ARSA als terroristische Vereinigung. Einem Bericht der International Crisis Group (ICG) zufolge sollen nach Saudi-Arabien emigrierte Rohingya die Gruppe gegründet haben und viele ­ihrer Kämpfer im Ausland trainiert worden sein. Ihr Anführer ist Ata Ullah, ein in Pakistan geborener Rohingya, der angeblich in Mekka aufgewachsen ist. Es wird vermutet, Ullah habe Kampferfahrung in Afghanistan und Pakistan gesammelt, bevor er die Gruppe 2016 in Rakhine aufbaute. Verbindungen zu jihadistischen Gruppen streitet die ARSA allerdings ab. Die Perspektivlosigkeit der staatenlosen Rohingya, denen in Myanmar jegliche gesellschaftliche Partizipation verwehrt wird, verschafft der ARSA vor allem unter jungen Männern der mus­limischen Minderheit im Nordwesten Myanmars regen Zulauf.

Menschen, die noch vor wenigen Jahren, nach der Öffnung des Landes, nur hinter vorgehaltener Hand über das Tatmadaw gesprochen haben, scheuen sich nicht, das Vorgehen der Armee nun gut zu heißen.

Das Tatmadaw, die Armee Myanmars, reagierte mit extremer Härte auf die Überfälle im August. Häuser und ganze Dörfer wurden niedergebrannt. Hunderte Zivilistinnen und Zivilisten sind bei den Kämpfen bereits ums Leben gekommen. Hunderttausende Rohingya haben seit Beginn des Konflikts versucht, sich im benachbarten Bangladesh in Sicherheit zu bringen, täglich werden es mehr. In der Region um die Stadt Cox’s Bazar sollen mittlerweile insgesamt 700 000 Flüchtlinge in Lagern leben.

Breite Teile der Bevölkerungunterstützen das Vorgehen gegen die Rohingya

In Myanmar haben Hilfsorganisationen kaum Zugang zu den betroffenen Gebieten und mussten teilweise ihre Arbeit aus Sicherheitsgründen einstellen. Die Lage ist extrem angespannt.
Auf offizieller Seite herrschte in Myanmar lange Stillschweigen. Zu Recht kritisieren weltweit Menschenrechtler Aung San Suu Kyi scharf. Sie hat keinen Einfluss auf militärische Entscheidungen, ihr derzeitiges Verhalten erweckt jedoch den Eindruck, sie unterstütze das Militär. Senior General Min Aung Hlaing, der Oberbefehlshaber des Tatmadaw, wird in der internationalen Presse schon so lange als der »geheime mächtigste Mann in Myanmar« bezeichnet, dass es inzwischen gar nicht mehr so geheim ist, wer in Myanmar die Fäden zieht. Der General zeigt offen, dass er keinerlei Sympathien für die Rohingya hegt, die er, wie viele in Myanmar, als »illegale Einwanderer aus Bangladesh« bezeichnet. Dies betont er immer wieder in seinen offiziellen Reden und Beiträgen auf Facebook, wo er 1,2 Millionen Follower hat.

Die staatliche Repression gegen die Rohingya wird von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt. Menschen, die noch vor wenigen Jahren, nach der Öffnung des Landes, nur hinter vorgehaltener Hand über das Tatmadaw ­gesprochen haben, scheuen sich nun nicht, das Vorgehen der Armee gutzuheißen. Das militärische Vorgehen wird in den sozialen Medien gelobt und damit aktiv unterstützt. Viele Menschen, die über Jahrzehnte erfahren haben, was es bedeutet, verfolgt zu werden, applaudieren nun jenen, die sie Jahrzehnte lang ausgebeutet und unterdrückt haben.
Erschreckend ist in dieser eigentlich toleranten Gesellschaft die Angst der buddhistischen Mehrheit vor den Muslimen im Land, die weniger als fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Erschreckend und kaum erklärlich ist der tiefsitzende Hass gegen Menschen, die seit Jahren nur darum kämpfen, anerkannt zu werden – in einem Land, dessen Bevölkerung für ihre Hilfsbereitschaft bekannt ist.

Vor einigen Tagen hat die ARSA einen einseitigen Waffenstillstand angekündigt, damit Hilfsorganisationen und Menschenrechtsbeobachter ihre Arbeit in dem Gebiet wieder aufnehmen können.

Nur Thailand zu Hilfe bereit

Die Lage in Bangladesh ist derweil äußerst heikel. Die Geflüchteten können sich nicht frei bewegen und müssen in den ihnen zugewiesenen Camps ausharren. Myanmar solle »seine Landsleute« zurücknehmen, heißt es von offizieller Seite. Damit ist in ab­sehbarer Zeit nicht zu rechnen. Erneut aufgegriffen wurde die zweifelhafte Idee, die Rohingya nach Thengar Char umzusiedeln. Die abgelegene, nur etwa 40 Quadratkilometer große Insel ist unbewohnt und erst vor ungefähr zehn Jahren im Golf von Bengalen aufgetaucht. Während der Monsunmonate steht sie unter Wasser. Sollten die Behörden diesen Plan tatsächlich verwirklichen, käme wohl bald die nächste humanitäre Katastrophe.

Unter den Nachbarländern hat sich bislang einzig Thailand bereit erklärt, den Rohingya Schutz zu gewähren. Doch wenn sich die Situation in Rakhine beruhigt hat, sollen sie zurückgeschickt werden. Australien spricht nur von neuen Sanktionen gegen Myanmar. In Indonesien protestieren zwar Hunderte Menschen vor der myanmarischen Botschaft in Jakarta, die Regierung fordert jedoch, dass eine Lösung in der Region gefunden werden müsse. Indien plant, Zehntausende Rohingya des Landes zu verweisen.

Lediglich Thailand hat sich dazu bereit erklärt, den Rohingya Schutz zu gewähren. Das UN-Flüchtlingskommissariat sieht die einzige dauerhafte ­Lösung darin, den Rohingya in Myanmar die Staatsbürgerschaft und damit gesellschaftliche Partizipation zu garantieren.