Die Nordkorea-Politik Chinas und Südkoreas

Moon will Sonnenschein

Im Umgang mit Nordkorea versucht es die neue südkoreanische Regierung mit versöhnlichen Gesten. China betrachtet das Regime von Kim Jong-un nicht mehr als befreundet, möchte aber den Eindruck vermeiden, der US-Führung zu folgen.

Nicht zufällig wählte das nordkoreanische Regime den 4. Juli, den Independence Day in den USA, als Termin für seinen Raketentest, den Kim Jong-un als »Geschenk« für die »amerikanischen Bastarde« bezeichnete. Das Timing verdeutlichte aber auch den Teilnehmern am G20-Gipfel in Hamburg, wie dringlich das Problem der nordkoreanischen Aufrüstung ist. Am Tag nach dem Test sagte Vincent K. Brooks, US-General und Befehlshaber des Pazifik-Hauptkommandos, dass es nur die »Selbstbeherrschung« der USA sei, die den Waffenstillstand von 1953 aufrechterhalte. In Hamburg berieten dann die Staats- und Regierungschefs der fünf Staaten, die von den nordkoreanischen Nuklearrüstungspolitik am meisten betroffen sind. Seit 2003 trafen sich die USA, China, Russland, Japan, Nord- und Südkorea zu Sechsparteiengesprächen, aus denen Nordkorea 2009 ausstieg.

China drohte bereits explizit damit, auch mit militärischer Gewalt gegen Nordkorea vorzugehen.

In einer offiziellen Erklärung des Weißen Hauses vom 7. Juli zu einem Treffen am Vortag zwischen US-Präsident Donald Trump, Südkoreas Prä­sident Moon Jae-in und Japans Premierminister Abe Shinzō heißt es, die drei Staaten hätten sich darauf geeinigt, auch zukünftig »maximalen Druck« auf Nordkorea auszuüben, um ein Einlenken zu bewirken. Ein nuklear bewaffnetes Nordkorea werde von keinem der drei Staaten akzeptiert. Trump garantierte Südkorea zudem uneingeschränkten nuklearen Schutz. Schnell fiel auf: China wird in der ­Erklärung mit keinem Wort erwähnt, es ergeht nur ein Appell an Nordkoreas Nachbarländer Russland und China, auch zukünftig mäßigend Einfluss zu nehmen. Trump hatte sich zuvor un­zufrieden über die Zusammenarbeit mit China in der Nordkorea-Politik geäußert. In Hamburg war er konzilianter und sprach von der »wundervollen ­Beziehung« zu China, nach Angaben der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua wurden gemeinsame Marinemanöver vereinbart, die im kommenden Jahr stattfinden sollen.

Wird eine solche militärische Kooperation Kim Jong-un beeindrucken? Kann ihn überhaupt etwas beeindrucken? Brian R. Myers, Autor des Best­sellers »The Cleanest Race«, argumentiert, die Erfolgsaussichten jeder Art der Einflussnahme auf Nordkorea seien gering. Doch vor allem in Südkorea, das von einem militärischen Konflikt am härtesten betroffen wäre, hält sich die Hoffnung, eine Entspannung durch Annäherung sei möglich. Eine solche »Sonnenschein-Politik« hatte Präsident Kim Dae-jung (1998–2003) vertreten; Moon Jae-in, seit dem 10. Mai Präsident Südkoreas, versucht es nun wieder mit versöhnlichen Gesten. Ende Juni äußerte er die Hoffnung, 2018 könnte bei den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang eine pankoreanische Delegation antreten. Moon hatte im Wahlkampf die Stationierung des US-amerikanischen Raketenabwehrsystems Thaad (Terminal High Altitude Area Defense) in Südkorea als »sehr bedauerlich« bezeichnet und sie nach seinem Amtsantritt ausgesetzt. Auch nach dem nordkoreanischen Raketentest vom 4. Juli scheint er an dieser Position festzuhalten.

Für die USA ist die Nordkorea-Frage von enormer geostrategischer Bedeutung. Es geht um die Hegemonie in Ostasien und in der Konkurrenz mit China auch um den Einfluss auf Südkorea, das mittlerweile wirtschaftlich stark von der Volksrepublik abhängig ist. Die US-Regierung will nicht schwach gegenüber China erscheinen, doch Trumps inkohärente und erratische Äußerungen verwirren die neue ­südkoreanische Regierung.

Dennoch lässt sich die Lage nicht einfach als ein ostasiatisches Great Game beschreiben. Presseberichte, die auf die traditionell engen Beziehungen zwischen China und Nordkorea verweisen, übergehen die Tatsache, dass es zwischen beiden Staaten bereits seit einigen Jahren kriselt. Innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) haben die zwei größten Flügel verschiedene Interessen bezüglich Nord- und Südkorea. Zwar haben in den vergangenen Jahren Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros des ZK der KPCh Nordkorea besucht, Präsident Xi Jinping hingegen besuchte 2014 zunächst Seoul. Traditionell hätte einer solchen Reise ein Besuch in Pjöngjang vorausgehen müssen. Moons Vorgän­gerin Park Geun-hye nahm 2015 an der von China ausgerichteten Militärparade in Beijing anlässlich des 70. Jahrestags des Sieges im Zweiten Weltkrieg teil. Nordkorea entsandte den international wenig bekannten Vizemarschall Choe Ryong-hae. Park saß in der ersten Reihe, wo früher Nordkoreas Spitzenpolitiker platziert wurden. Choe hingegen musste in den hinteren Reihen Platz nehmen und ihm wurde, im Gegensatz zu Park, nicht die Ehre eines längeren Treffens mit Xi Jinping zuteil. Im Hinblick auf den innerparteilichen Machtkampf und mit Rücksicht auf die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Südkorea hält Xi einen härteren Kurs gegen Nordkorea für erforderlich. Es geht um die chinesische Machtstellung, China drohte bereits explizit damit, auch mit militärischer Gewalt gegen Nordkorea vorzugehen.

Allerdings hat die Stationierung des Thaad-Systems die chinesisch-südkoreanische Annäherung wieder gebremst. Chinesische Nationalisten riefen als Reaktion zum Boykott südkoreanischer Konzerne und Kulturgüter auf. Diese Krise der Beziehungen mag in den ersten Monaten dieses Jahres auch bei der Zunahme des nordkoreanisch-chinesischen Handelsvolumen eine Rolle gespielt haben, über das Trump sich – das Ausmaß übertreibend – via Twitter beklagte.

Der Handel mit Nordkorea ist für China von geringer wirtschaftlicher ­Relevanz. Ein härteres Vorgehen gegen Nordkorea könnte aber den Eindruck erwecken, China beuge sich einer US-Hegemonie. Das wäre ein Zeichen der Schwäche und schädlich an anderen diplomatischen und geostrategischen Fronten, insbesondere bei den Aus­einandersetzungen um territoriale Rechte im Südchinesischen Meer. Zudem möchte kein einflussreicher Flügel der KPCh einen Zusammenbruch Nordkoreas riskieren. Die Fortsetzung der Handelsbeziehungen ist von poli­tischer Bedeutung und spiegelt neben dem Stand der Machtkämpfe in der Partei auch die geostrategische Bedeutung Nordkoreas wider. Für dieses Dilemma wird von chinesischer Seite bisweilen ein Sprichwort bemüht: Wenn die Lippen fehlen, frieren die Zähne.