Die Linke und das Recht

Vertragsrecht für Antifas

Im Paragraphendschungel – eine Kolumne über das Recht im linken Alltag, Teil 5

Samstagnachmittag vor knapp zwei Wochen – es war brütend heiß in Berlin und die rechtsextreme »Identitäre ­Bewegung« erlitt einen herben Rückschlag. Nicht nur, dass sich trotz ihrer europaweiten Mobilisierung nur eine sehr überschaubare Menge an Teilnehmern und noch weniger Teilnehmerinnen zu ihrem ­geplanten Aufmarsch einfand. Wegen erheblicher Gegenproteste kam ihre Demonstration nur einige Hundert Meter weit – ein ­erfolgreicher Tag für den Antifaschismus.

Bereits wenige Tage vorher hatten die Identitären einen anderen Rückschlag zu verzeichnen. Am 13. Juni teilte Martin Sellner, der Leiter der »Identitären Bewegung Österreich«, mit, dass der Online-Bezahldienst Paypal seiner Organisation das Spendenkonto gesperrt habe. Die Identitären hatten es eingerichtet, um unter dem Motto »Defend Europe« ein Schiff zu mieten, mit dem sie die Rettungscrews von Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer drangsalieren wollten. Die Helfer, die Flüchtlinge aus Seenot retten, werden von den Identitären als Schlepper bezeichnet.

Das ging dem Management von Paypal offenbar zu weit. Aber nicht nur dort war man mit der vertraglichen Verbindung zu den Identitären unglücklich. Ebenfalls gesperrt wurde ein Imagevideo der Kampagne auf Youtube. Auch die Steiermärkische Sparkasse kündigte das nach der Paypal-Sperrung dort eingerichtete Spendenkonto. Den Sperrungen waren jeweils Internetkampagnen vorausgegangen, in denen Paypal unter anderem mit einer Petition aufgefordert worden war, die Identitären zu boykottieren. Schnell wurden Rufe von Sympathisanten laut, es handle sich um einen Eingriff in die Grundrechte der Kontoinhaber, schließlich würde deren Meinungsfreiheit eingeschränkt, auch der Gleichbehandlungsgrundsatz werde verletzt.

So einfach ist das aber nicht mit den Grundrechten. Diese binden zuallererst den Staat und nicht Bürger oder Unternehmen wie Paypal. Deswegen ist es auch ein ärgerlicher Unsinn, wenn mal wieder irgendein CDU-Politiker daherkommt und fordert, nach Deutschland eingewanderte Menschen sollten sich gefälligst an das Grundgesetz halten.

Es ist aber auch nicht so, dass das Grundgesetz ganz ohne Einfluss auf die Verhältnisse der Bürgerinnen und Bürger untereinander ist. Das nennt sich »mittelbare Drittwirkung von Grundrechten« und ist schnell erklärt. Eine unmittelbare Wirkung der Grundrechte für die Bürger untereinander würde das System der Grundrechte, die ja Freiheitsrechte sind, komplett umkrempeln und sie in Verpflichtungen umwandeln. Beispielsweise würde aus dem Recht auf freie Meinungsäußerung in Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes eine Pflicht, von der eigenen Meinung abweichende Meinungsäußerungen zu dulden.

Bei dem hohen Stellenwert, den das Grundgesetz hat, wäre es jedoch unsinnig zu fordern, seine Wertungen im Zivilrecht komplett zu ignorieren. Das Bundesverfassungsgericht hat sich daher schon recht früh mit der Thematik befasst. Das wohl prominenteste Beispiel ist das sogenannte Lüth-Urteil. Wenig überraschend hat es ­einen Bezug zur NS-Zeit. Erich Lüth, Vorsitzender des Hamburger Presseclubs, hatte 1950 zu einem Boykott eines Films des Regisseurs Veit Harlan aufgerufen, des Schöpfers des antisemitischen Propagandafilms »Jud Süß«. Die Produktionsfirma des Films beschloss daraufhin, gegen Lüth zivilrechtlich vorzugehen, und erwirkte eine einstweilige Verfügung. Diese untersagte es Lüth, weiter zum Boykott aufzurufen. Nach erfolgloser Beschwerde gegen die Verfügung erhob Lüth Verfassungsbeschwerde.

Das Bundes­verfassungsgericht gab Lüth Recht und stellte fest, dass sich im bürgerlichen Recht der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften entfalte. Insbesondere bei Generalklauseln, das heißt abstrakten, eine Vielzahl von Fallkonstella­tionen regelnden Normen, habe der Zivilrichter die Wertungen des Grundgesetzes in seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Dieser Grundsatz wurde im Laufe der Zeit immer weiter präzisiert und in das bürgerliche Recht integriert.

Darf also Paypal der »Identitären Bewegung« das Konto sperren und die Geschäftsbeziehung beenden? Die Antwort lautet: Es ist kompliziert. Auch wenn in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Paypal entsprechende Regelungen existieren, so sind diese nach deutschem Recht im Lichte der Meinungsfreiheit zu überprüfen. Da Sellner jedoch nach derzeitigem Kenntnisstand nicht rechtlich gegen die Kündigung vorgeht, wird die Frage wohl zunächst offen bleiben. Der Aufruf, die »Identitäre Bewegung« zu boykottieren, ist jedenfalls rechtlich zulässig.