»Vernunft wegstampfen«
Was sollte mit den gefälschten AfD-Urkunden bezweckt werden?
Ich sehe die Aktion als eine Mischung aus Scherz und Drohung. Die Vorgehensweise bestätigt einen gewissen Sozialcharakter, den auch Nachtmann in seinem Vortrag beschrieben hat: ein Charakter, der nicht in der Lage ist, sich begrifflich mit den in Rede stehenden Gegenständen zu beschäftigen, der auf Stichworte reflexhaft reagiert und es als notwendig erachtet, im Sinne einer Gegenmacht zu reagieren und einzuschüchtern. Es macht auch einen Unterschied, ob man solche Briefe an die Fachschaft schickt, deren Adresse bekannt ist, oder an Privatpersonen. Letzteres sind Praktiken, die Linke normalerweise gegen ganz andere Gegner anwenden. Zwei Feministinnen aus Oldenburg haben solch eine personalisierte Urkunde bekommen, in der explizit auf deren Interesse an der Veranstaltung Bezug genommen wurde. Sie waren an der Planung überhaupt nicht beteiligt.
Im Ankündigungstext beschreibt Nachtmann die »Willkommenskultur« 2015/2016 als »antirassistische Volksfront«. Ging es Ihnen als Veranstalter nicht auch darum, zu provozieren?
Eine Provokation, die sich gegen ein Kollektiv – und nicht gegen eine Einzelperson – richtet, war natürlich gewollt. Es geht um die Kritik eines »Antirassismus«, der identitätspolitisch Kulturen, aber nicht Individuen schützen will, dem es nicht um Flüchtlinge geht, sondern um ein geläutertes Nationalbewusstsein und die Apologie des politischen Islam. Einige, denen der Ankündigungstext aufstößt, können zwischen Polemik und persönlicher Beleidigung anscheinend nicht mehr unterscheiden.
Das Autonome Feministische Referat der Universität behauptete, Nachtmann agiere rassistisch, weil er die Konzepte der Intersektionalität und Selbstdefinition abwerte.
Nachtmann wird hier folglich als Rassist bezeichnet, da er die Annahmen eines Theorieansatzes problematisiert. Viele Linke meinen, Menschen als Rassisten identifizieren zu können, ohne einen Begriff von Rassismus zu haben. Da passt es auch, dass das Feministische Referat in einer Stellungnahme zur Veranstaltung schreibt: »Generell muss gelten, dass es nicht so schlimm ist, als Rassist_in bezeichnet zu werden, als es tatsächlich zu sein.« Zunächst wird ein Generalverdacht ausgesprochen. Ob dafür auch Belege angeführt werden können, ist dann nicht mehr so wichtig. Das zeigt auch ein Artikel in der Online-Zeitung Oldenburger Rundschau, in dem von »rassistischen Demagog_innen« gesprochen wurde. Auf den Hinweis, dass diese Behauptung strafrechtliche Relevanz haben könnte, wurde die Formulierung sofort abgeschwächt. Dem Autor war klar, dass er seine Diffamierungen nicht belegen kann.
Der Artikel hat den Titel »Fachschaft Philosophie gegen die Islamisierung des Abendlandes«. In den gefälschten AfD-Urkunden werden die Empfänger für ihren Kampf gegen die »Islamisierung des Abendlandes« geehrt.
Es ist nicht meine Aufgabe, privatdetektivisch nachzuverfolgen, wer hinter diesen Schreiben steckt. Man kann jedoch sagen, dass hinter den Artikeln des Feministischen Referats, der Oldenburger Rundschau und den Aktionen gegen die Veranstaltung – der Referent wurde mit Wasser überschüttet, das Büro des AStA-Vorstandes und der Fachschaft Philosophie wurde mit einem Klebeband mit der Aufschrift »Rassistische Kackscheisze« verziert – die gleichen Grundannahmen stecken. Man geht von einer intakten Linken als homogenem Block aus, geeint durch die Bestimmung des Feindes, gegen den man auf verschiedene Arten vorgeht – mit vorgefertigten Tickets, wie bei einem Reiz-Reaktions-Schema. Wenn dann auf Twitter mit der Parole »Vernunft wegstampfen« gegen die Veranstaltung mobilisiert wird, ist das entwaffnend ehrlich.