Notizen aus Neuschwabenland

Carl Schmitt gegen Yücel

Notizen aus Neuschwabenland, Teil 20: Deniz Yücel, Erdoğan und die deutsche Rechte

Ende 2012 wurde Billy Six in Syrien vermisst. Der als »Abenteurer« gepriesene Finanzberater publizierte seit Jahren in der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit (JF). Nun war er nach einem illegalen Grenzübertritt von Assad-treuen Einheiten in Zentralsyrien bei Hama verhaftet worden. Auswärtiges Amt, BKA und deutsche Auslandsredaktionen machten sich auf die Suche und fanden Six in einem syrischen Gefängnis. Das russische Außenministerium arrangierte schließlich die Freilassung, wobei die Assad-freundliche Linie der JF sicher kein Nachteil war. Nach seiner glücklichen Heimkehr schrieb die Zeitung, dass sich ihr Autor illegal in Syrien aufgehalten und riskant verhalten habe. Vor allem aber bedankte sie sich für die »Unterstützung von vielen Seiten«. Das »Tröstliche« sei gewesen, »wie unglaublich viele Journalisten unterschiedlicher Couleur und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen sich darum bemühten, bei der Suche nach unserem Reporter zu helfen. Es waren Kollegen großer Blätter dabei, mit denen wir sonst in der Berichterstattung häufig über Kreuz liegen.« Die JF war so erleichtert, dass sie ihre heftige Abneigung gegen NGOs und »Lügenpresse« vergaß.
Die damalige Solidarität sollte man sich bei den Kommentaren rechter Medien zur Inhaftierung Deniz Yücels in Erinnerung rufen, der nicht als »Abenteurer« unterwegs war, sondern als Türkei-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt. Sein Schicksal ließ selbst gewöhnlich antitürkische Kreise in offenen Jubel ausbrechen, für die Yücel, der auch Mitherausgeber der Jungle World ist, durch seinen Spott über nationale Überspanntheiten schon lange eine Hassfigur ist. Bereits im vergangenen Jahr begann das Institut für Staatspolitik mit einer Broschüre eine Kampagne gegen ihn.  Für die Institutszeitschrift Sezession brachte der »Identitäre« Till-Lucas Wessels die Begeisterung auf einen Nenner, mit der er und seine Kameraden angesichts der Inhaftierung Yücels gen Türkei blicken: »Heute also ein High-five für Erdoğan, ab morgen heißt es dann wieder: Make Istanbul Constantinople again!«
Autoren der JF sprechen sich angesichts Yücels Haft zwar pflichtschuldig für die Pressefreiheit aus, lassen es sich aber nicht nehmen, zuvor nochmal gegen Erdoğans Geisel zu wettern. Thomas Fassbinder befand dort: »Deniz Yücel ist ein Hetzer und kein Held des freien, fairen und kritischen Journalismus.« Ein anderer Autor sieht in ihm den »Kolonistensohn«. Vor allem dient die Auseinandersetzung nun dazu, endlich gegen die ungeliebte doppelte Staatsbürgerschaft vorzugehen. Hätte Yücel nur einen deutschen Pass, so lautet die Argumentation, wäre er in der Türkei niemals eingesperrt worden. In dieses Horn stößt auch Frauke Petrys Berater Michael Klonovsky. Nach einigen wutschnaubenden Tiraden gegen Yücel sprach er sich immerhin für die Pressefreiheit aus. Im Kommentarbereich dagegen tobt der offene Hass auf den »Zugereisten«. JF-Leser wünschen ihm eine lange Inhaftierung.
Sowohl in der JF als auch der Sezession wurde umgehend eine Parallele zum Fall Akif Pirinçci gezogen. Nicht, dass dieser eingesperrt oder des Terrorismus angeklagt worden wäre, aber aufgrund seines ständigen Testosteronüberschusses will keiner (außer Götz Kubitschek) mehr mit ihm arbeiten. So sei Pirinçci irgendwie auch Verfolgungsopfer.
Überboten wurde diese Schäbigkeit noch von der NPD. Deren Berliner Vorsitzender Uwe Meenen befand, Erdoğan handele »vorbildlich, indem er sein Volk und sein Land vor Leuten wie Deniz Yücel schützt«. In der Türkei seien »Gefängnisse noch Gefängnisse« und »keine Sanatorien wie in der BRD«. Wer es »mit Deutschland und mit der Türkei gut meint, kann Präsident Erdoğan und dem Staat, den er vertritt, nur dankbar sein«. Der Titel von Meenens Text lautet: »Erdoğan schützt das Recht!« Das ist eine kaum verklausulierte Anleihe bei Carl Schmitt, der mit der Formel »Der Führer schützt das Recht« die Säuberungsaktionen der Nationalsozialisten im Rahmen des sogenannten Röhm-Putsches 1934 staatsrechtlich absegnete. Hätte es noch weiterer Beweise bedurft, wie eng die Verwandtschaft von europäischen und türkischen Rechten ist, in den vergangenen Wochen wurden sie en gros geliefert.