Der Türkeibesuch der Kanzlerin – Merkel, die Mauer und das Mittelmeer

Zu Gast im sicheren Herkunftsland

Angela Merkel hat sich bei ihrem Besuch in der Türkei kritischer gegenüber Präsident Recep Tayyip Erdoğan geäußert, als zu erwarten war. Doch für das drohende Abrutschen des Landes in die Diktatur fand die Bundeskanzlerin keine Worte.
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Möglicherweise hatten die Kritiker unrecht, die Angela Merkel vor ihrem Türkei-Besuch vergangene Woche einen weiteren Kniefall vor einem Autokraten vorgeworfen hatten. Sie wird schon nichts Provokatives sagen, damit Präsident Recep Tayyip Erdoğan der EU weiter die Kriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak abnimmt – so die Erwartung. Das war wohl übertrieben: Die Bundeskanzlerin sagte bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdoğan, dass Opposition zur Demokratie gehöre. Für Merkels Verhältnisse eine ­geradezu beißende Kritik an einem ausländischen Staatsoberhaupt. Ob das die Anhänger der linken HDP zufriedenstellte, lässt sich ­bezweifeln. Diese hatten gefordert, die Kanzlerin solle sich zur prekären Lage der Demokratie in der Türkei äußern. Merkel traf in ­Ankara dann auch Vertreter der HDP sowie der CHP, der größten Oppositionspartei. Immerhin.
Viel mehr hatte sie zumindest im öffentlichen Teil des Besuchs nicht zu sagen angesichts des Verfassungsreferendums im April und der endgültigen Transformation des türkischen Restdemokratie in eine Diktatur. Das Parlament hat sich im Januar mit der Annahme der Reform selbst entmachtet. Sollten die Wähler dem Präsidialsystem zustimmen, könnte Erdoğan ab 2019 mit weitreichenden Befugnissen und ohne funktionierende Gewaltenteilung so herrschen, wie es die Autokraten in Kasachstan oder Weißrussland längst tun.
Darauf könnte selbst die prinzipientreueste Außenpolitik Deutschlands wenig Einfluss nehmen; eine Tatsache, derer sich die demokratischen Kräfte in der Türkei bewusst sind. Was sie allerdings von der Bundesregierung erwarten könnten, wäre ein klares Bekenntnis zum Grundrecht auf Asyl. Der türkische Verteidigungsminister Fikri Işık forderte auf der Pressekonferenz, deutsche Behörden sollten Asylanträge von türkischen Militärangehörigen nicht bearbeiten, die nach dem Putschversuch im vergangenen Jahr nach Deutschland geflohen sind. Merkel entgegnete kühl, diese Entscheidung läge bei unabhängigen Gerichten. Diese Feststellung ist einerseits richtig und andererseits zu wenig. Denn die Bundesregierung hätte Spielraum, verfolgten Türken und Kurden die Flucht nach Deutschland zumindest nicht zu erschweren. Doch trotz der sich verschlechternden Menschenrechtssituation und des Konflikts in Südostanatolien weist Merkel nicht einmal jene in Deutschland und in der EU zurecht, die die Türkei zum »sicheren Herkunftsland« erklären wollen. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) etwa schlug dies im vergangenen Jahr vor.
Es gehört zu den diplomatischen Gepflogenheiten, dass man bei schwierigen Partnern neben Kritik auch Dank zum Ausdruck bringt. Die Bundeskanzlerin würdigte in ihrer Rede in Ankara, dass die Türkei zwei Millionen Flüchtlinge beherbergt und damit »Außergewöhnliches« leiste. Doch leben viele dieser Flüchtlinge prekär in Lagern und werden als Tagelöhner ausgebeutet. Zahlreiche, oft kurdische Hilfsvereine wurden im Zuge der Repression nach dem Putsch verboten, Hunderte Flüchtlingsunterstützer inhaftiert. Syrische Vertriebene werden von den Behörden in das Kriegsgebiet abgeschoben.
Während Donald Trump für sein Vorhaben, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, scharf verurteilt wird, verfügt Europa über gleich zwei Barrieren, um Migranten fernzuhalten. Die eine ist das Mittelmeer, die andere Erdoğans neue Türkei. Das ist auch Merkels äußergewöhnliches Verdienst.