Keine einsamen Wölfe
Der größte Gerichtsprozess gegen Neonazis, der derzeit in der Bundesrepublik stattfindet, ist nicht etwa das Verfahren gegen Beate Zschäpe und die Unterstützer des NSU in München, sondern der Prozess gegen das »Aktionsbüro Mittelrhein« (ABM) in Koblenz. Am 13. März 2012 klingelten Polizisten an den Türen zahlreicher Neonazis in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Es folgten Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Der Vorwurf lautete, das ABM sei eine kriminelle Vereinigung. Den Neonazis werden Angriffe auf politische Gegner vorgeworfen. Unter anderem sollen sie Autos angezündet, Sachbeschädigungen sowie Propagandadelikte begangen und illegal Waffen besessen haben. Nach den Festnahmen folgte im Sommer 2012 der erste Prozesstag gegen 26 Mitglieder des »Aktionsbüros«. Bis heute haben über 300 Verhandlungstage stattgefunden. Die Neonazis klagen lautstark über »zerstörte Existenzen« und auch über mehrere ehemalige Kameraden, die sich von der Szene abgewendet und im Verfahren ausgesagt haben.
Der prominenteste unter ihnen ist Axel Reitz, der zahllose Aufmärsche organisiert hat und in Nordrhein-Westfalen zu den zentralen Figuren der Naziszene gehörte. Reitz wollte wohl kein zweites Mal ins Gefängnis und entschied sich deshalb dazu, gegen das »Aktionsbüro« auszusagen. Der Prozess selbst zieht sich derweil. In den vergangenen Monaten ging es um den Angriff auf das Dresdner Hausprojekt »Praxis« im Rahmen des rechten »Trauermarsches« im Jahr 2011. Angehörigen des ABM wird vorgeworfen, an der Attacke beteiligt gewesen zu sein. Angeklagte beantragten eine Vertagung der für den 17. Januar angesetzten Verhandlung und hatten damit auch Erfolg. Das Gericht hatte wohl nicht an eine an diesem Tag stattfindende Urteilsverkündung in Karlsruhe gedacht.
Christian Häger, der in Koblenz angeklagt ist, allerdings schon. Der frühere Kader des »Aktionsbüros« ist mittlerweile Kreisvorsitzender der NPD in Rheinland-Pfalz und posierte mit der NPD-Führung vor dem Bundesverfassungsgericht. Das ABM mag zwar verboten sein, aber in der NPD haben Häger und Co. eine neue Heimat gefunden. Häger ist mittlerweile im Landesvorstand der NPD Rheinland-Pfalz, andere Mitglieder des »Aktionsbüros« sind in der NPD-Jugend »Junge Nationaldemokraten« (JN) aktiv und betätigen sich dort wie schon zuvor als »Anti-Antifa« Aktivisten.
Düsseldorfer Antifaschisten beklagen, dass damals nicht ausreichend in der extremen Rechten ermittelt wurde.
Einige Angeklagte im Prozess gegen das »Aktionsbüro Mittelrhein« haben einen anderen Weg gewählt. Etwa der Kölner Paul Breuer, der seit den neunziger Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv ist. Er war lange Zeit die rechte Hand von Axel Reitz. Für den 14. Januar hatten Breuer und seine Kumpane von der Kameradschaft »Köln für deutschen Sozialismus« zu einem Aufmarsch aufgerufen. Breuer selbst wurde wegen seiner Vorstrafen von der Polizei als Anmelder abgelehnt. Es kamen nur knapp 100 Nazis, die nach nur 500 Metern, für die sie Stunden brauchten, wieder umdrehen mussten. Bei ihrer Abreise griffen die Neonazis mehrere Journalisten und Gegendemonstranten an und bewarfen sie mit Böllern und Pyrotechnik.
Auch der Düsseldorfer Sven Skoda ist in Koblenz angeklagt. Der heute 38jährige zählt zu den zentralen Figuren der Neonaziszene im Westen der Bundesrepublik. Skoda stammt aus Düsseldorf und betrieb ab Mitte der neunziger Jahre das »Nationale Infotelefon Rheinland«, einen Anrufbeantworter, über den sich Rechtsextreme informieren konnten, welche Aufmärsche oder Veranstaltungen gerade anstehen. Gleichzeitig avancierte Skoda schon als Schüler zum Anführer der »Kameradschaft Düsseldorf«, die aus der 1995 verbotenen »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei« (FAP) hervorgegangen war. Gute Kontakte zu der Kameradschaft pflegte auch der Militariahändler Ralf Spies.
In der vergangenen Woche wurde Spies von einem Sondereinsatzkommando der Polizei in Ratingen verhaftet. Staatsanwaltschaft und Polizei werfen dem 50jährigen vor, für das Bombenattentat am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn am 27. Juli 2000 verantwortlich zu sein (Jungle World 32/2000). Bei dem Anschlag wurden zehn Menschen teils schwer verletzt; ein Metallsplitter drang in den Bauch einer schwangeren Frau ein und tötete den Fötus. Die Bombe richtete sich gegen jüdische Menschen aus Osteuropa, die in der Nachbarschaft von Ralf Spies eine Sprachschule besuchten.
Dass Spies der Täter sein könnte, verwundert nicht. Schon in den Tagen nach dem Anschlag hatte der »Antifa-Koordinierungskreis Düsseldorf« auf die Naziszene im Stadtteil Flingern rund um den S-Bahnhof Wehrhahn aufmerksam gemacht. Sven Skoda wohnte damals in der elterlichen Wohnung einige Hundert Meter vom Tatort entfernt. Spies betrieb seinen Laden für »Survival Security & Outdoor« in der Gerresheimer Straße, beinahe in Sichtweite des Tatorts. Der Laden war bekannt als Treffpunkt der Neonazi-Kameradschaft.
Spies hat bei der Bundeswehr eine Sprengstoffausbildung absolviert. Düsseldorfer Antifaschisten berichteten, dass er Ende der neunziger Jahren oft mit einem großen Schäferhund durch den Stadtteil patrouilliert und durch rassistische Pöbeleien aufgefallen sei. Spies geriet zwar ins Visier der Ermittlungsbehörden, eine Hausdurchsuchung bei ihm blieb allerdings ohne Ergebnis. Als seine Wohnung wenige Jahre später zwangsgeräumt wurde, habe man in seinem Keller neben zahlreichen NPD-Plakaten auch eine militärische Übungshandgranate gefunden, berichteten Düsseldorfer Antifaschisten. 2014 verbüßte Spies eine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel und prahlte dort gegenüber einem Mitgefangenen damit, für den Anschlag im Sommer 2000 verantwortlich gewesen zu sein. Der Mithäftling erzählte der Polizei von der Selbstbezichtigung. Dies alleine, so Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft bei einer Pressekonferenz, habe nicht für eine Festnahme ausgereicht. Man habe eine neue Ermittlungskommission gebildet und systematisch Hinweise auf die Täterschaft von Ralf Spies gesammelt, nun habe man eine Indizienkette, die eine Verurteilung von Spies »überwiegend wahrscheinlich« erscheinen lasse, so Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück.
Düsseldorfer Antifaschisten sind froh über Spies’ Verhaftung, beklagen allerdings, dass damals nicht ausreichend in der extremen Rechten ermittelt wurde. Auch dass die Tat jetzt nur der Person Ralf Spies angelastet wird und der neonazistische Kontext in den Hintergrund gerät, kritisieren sie. Das Bündnis »Düsseldorf stellt sich quer« zweifelt daran, dass Spies ein Einzeltäter ist.
Der politische Hintergrund einer anderen Neonazibande, die in Duisburg aktiv war, spielte, als diese vor Gericht stand, nur eine nebensächliche Rolle. Die »Legion 47« war zwischen 2012 und 2014 in Duisburg aktiv. Ihr sollen über 30 Personen angehört haben. Gegen drei Mitglieder der Gruppe wurde im Jahr 2015 ein Prozess geführt. Den Angeklagten wurden 37 Delikte vorgeworfen, darunter auch ein Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft. Der Gruppe wurde eine bandenmäßige Organisierung zur Last gelegt, neben politischen Straftaten waren sie für zahlreiche Eigentums- und Drogendelikte verantwortlich. Auch Waffen wurden bei ihnen gefunden.
Frank Steffen, der im Herbst 2015 ein Messerattentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker verübte, entstammt ebenfalls der extremen Rechten. So unterschiedlich die geschilderten Taten auch sein mögen, so ist ihr jeweiliger politischer Charakter doch offensichtlich. Ermittlungsbehörden und Gerichte negieren diesen Hintergrund jedoch allzu oft.