Hillary Clinton trat im Wahlkampf dezidiert als Frau auf. Auch dafür wurde sie bestraft

Die Macht der Differenz

Dass Hillary Clinton eine Frau ist, erklärt ihr Scheitern nicht. Trotzdem hat dies eine große Rolle gespielt. Was bedeutet Clintons Niederlage für den Feminismus?

Es ist vielfach herausgestellt worden, dass Clinton nicht nur als Mensch, als Politikerin und als Demokratin gescheitert ist, sondern auch »als Frau«. Es war offensichtlich, dass die Angriffe gegen sie häufig sexistische Züge hatten.
Clintons Scheitern »als Frau« betrifft nicht nur ihre Person, sondern auch einen bestimmten Weg des Feminismus, für den sie eine Symbolfigur ist: die Emanzipation der Frauen durch ihre Gleichstellung mit den Männern. Der Präsident der USA wird nicht zufällig als »mächtigster Mann der Welt« bezeichnet. Dieses Amt hat außerordentliche Symbolkraft. Eine Frau als Präsidentin, so war oft zu lesen, hätte endlich auch »die höchste gläserne Decke« durchbrochen. Die allerletzten Zweifel darüber, dass Frauen politisch »alles erreichen können, was Männer können«, wären mit Clintons Sieg ausgelöscht gewesen.
Diese Rolle, nicht nur einfach eine Frau zu sein, wie etwa Margaret Thatcher oder Angela Merkel, sondern dezidiert »als Frau« aufzutreten, wurde Clinton nicht nur zugeschrieben, sie hat sie sich zu eigen gemacht. Es ist bezeichnend, dass dieses »Bekenntnis« ihr am Ende sogar noch zu einem halbwegs fortschrittlichen Anstrich verhelfen sollte. Denn das war die eigentliche Ironie dieses Wahlkampfs: Der ersten Frau, die echte Chancen auf das  – auch symbolisch gesehen  – höchste politische Amt der westlichen Welt hatte, fiel gegenüber ihren Konkurrenten, zwei alten weißen Männern, die Rolle zu, für das Althergebrachte zu stehen.
Bezeichnend ist Clintons Appell an die »kleinen Mädchen« in ihrer Rede nach der Niederlage: »Zweifelt niemals daran, dass ihr wertvoll und stark seid, dass ihr jede Chance und Möglichkeit dieser Welt verdient, eure eigenen Träume zu verfolgen und zu erreichen.«
Genau das ist nach Donald Trumps Sieg nicht mehr selbstverständlich. Es muss wieder gesagt und betont werden. Jungen konnten aus diesem Wahlkampf lernen, dass sie, egal wie wenig sie können, wie schlecht sie vorbereitet sind und wie viele Fehler sie machen, trotzdem Chancen haben, zu erreichen, was sie wollen. Mädchen hingegen haben gelernt: Selbst dann, wenn sie hundertmal besser sind als ihr männlicher Konkurrent, wenn sie bestens informiert und auf alles vorbereit sind, können sie trotzdem verlieren.
In einem kurzen Kommentar mit dem Titel »Hillary, eine Frau ohne Volk« in der Huffington Post fragt die italienische Philosophin Annarosa Buttarelli, warum nicht nur Männer, sondern auch Frauen Clinton nicht in dem Maß unterstützt haben, wie viele das erwartet hatten. Ihrer Ansicht nach liegt der Grund darin, dass der »Emanzipationsfeminismus« gerade keine Alternative zum bestehenden politischen Establishment bietet, dessen aber so viele Menschen, und damit auch viele Frauen, überdrüssig sind.
Die Parteien, so Buttarelli, stünden vor einem Scheideweg: Entweder sie geben dem Populismus nach, oder sie geben denjenigen Frauen eine Chance, die gerade nicht »dasselbe wollen wie Männer«, sondern anderes. Eine andere Politik, andere Prioritäten, andere Beziehungen, andere Arten, Konflikte auszutragen. Frauen, die sich der weiblichen Differenz bewusst sind, die mit Feminismus noch ein Projekt der Weltveränderung verbinden und nicht nur eines der Integration und Anpassung an die Welt, so wie die Männer sie sich untereinander eingerichtet haben. Wirklich radikale Frauen, also Frauen, die »in ihrem Frausein verwurzelt« sind, glaubt Buttarelli, hätten auch gute Chancen, von anderen Frauen gewählt zu werden. Und auch von Männern, die echte Veränderung wollen.
Das ist vielleicht etwas optimistisch gedacht, und mit Sicherheit ist es sehr optimistisch, zu glauben, dass radikale Frauen in der derzeitigen Parteienlandschaft tatsächlich Chancen hätten, für wichtige Ämter nominiert zu werden. Aber die Analyse hilft dennoch, zu verstehen, was derzeit passiert. Sie hilft, aus den so häufigen Niederlagen »emanzipierter« Frauen etwas zu lernen. Und es ist ja nicht so, dass es diese hierzulande nicht gäbe: Die Frage des Umgangs mit Flüchtlingen hat gezeigt, wie eng die Grenzen der Autorität von Angela Merkel sind. Und so wie ihr geht es nahezu allen Frauen, die sich in höhere Positionen hineinemanzipiert haben: Sobald sie den Mainstream ihrer männlichen Peers mit eigenwilligen Ansichten herausfordern, werden sie nicht nur als Menschen angegriffen, sondern als Frauen.
Man sollte diese Herausforderung annehmen und die Idee der Gleichstellung vergessen. Man muss ihr nicht hinterhertrauern. Das Pfund, mit dem man wuchern kann, ist nicht die Gleichheit der Frauen mit den Männern, sondern es ist ihre Differenz. Denn wie die italienische Philosophin Luisa Muraro es formuliert hat: Die besten Antworten auf die Probleme unserer Welt finden nicht diejenigen, die die schönsten Ideen über die Gleichheit ausarbeiten, sondern diejenigen, die Erfahrung darin haben, mit realer Ungleichheit umzugehen.