14.07.2016
Einer Flüchtlingsunterkunft in Bayern wird vorgeworfen, kinderrechtliche Standards zu missachten

Kinderrechte nur für Deutsche

Minderjährige Bewohner einer Bamberger Unterkunft für Flüchtlinge aus den Balkan-Staaten werden einer aktuellen Studie zufolge in puncto Bildung, Gesundheitsversorgung und Privatsphäre nicht gemäß der UN-Kinderrechtskonvention behandelt. Das bayerische Sozialministerium weist die Kritik zurück.

Eigentlich betrachtet die CSU die Familienpolitik gerne als ihre Kernkompetenz. »Wir wollen eine familienfreundliche Gesellschaft« und »eine kinderfreundliche Gesellschaft, in der Kinder willkommen sind«, heißt es in der ­Regierungserklärung von 2013 mit dem Titel »Der Bayernplan«.
Doch offenbar sind für die Christsozialen nicht alle Kinder gleich. Einer jüngst vorgestellten Untersuchung der von Sinti und Roma gegründeten Hildegard-Lagrenne-Stiftung zufolge werden die Rechte von Minderjährigen in der »Aufnahme- und Rückführungseinrichtung« in Bamberg, kurz ARE II, nicht genügend geschützt. Diese Unterkunft dient vorwiegend der Unterbringung von Flüchtlingen aus den Balkan-Staaten, die wegen der Einstufung ihrer Länder als »sicher« keine Chance auf Asyl haben. Sie sollen durch schlechte Bedingungen zu einer »freiwilligen« Ausreise gedrängt werden.
Für die Pilotstudie haben die Autoren Gespräche mit 19 Personen geführt, darunter hauptamtliche Mitarbeiter, ehrenamtliche Helfer sowie 14 minderjährige und erwachsene Bewohner. Zum Zeitpunkt der Studie wohnten 880 Menschen in der Einrichtung. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand vor allem die Frage, inwieweit »geltende kinderrechtliche Standards« in der Einrichtung gewahrt werden. Es zeigen sich deutliche Missstände bei der Achtung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Um dem Zweck einer schnellen Ausreise Genüge zu tun, werde der »Vorrang der Kinderrechte« teils »nicht geachtet«. Als besonders kritikwürdig sehen die Forscher das ein­geschränkte Recht auf Bildung, die Gesundheitsversorgung nur in Notfällen und die fehlende Privatsphäre aufgrund von Räumlichkeiten, die nicht abschließbar sind.
So würden der Studie zufolge schulpflichtige Kinder in der ARE II im ­Gegensatz zu anderen Asylsuchenden beispielsweise nicht in regulären Klassen unterrichtet, sondern als Gruppe in einem ein­zigen Raum auf dem ehemaligen Kasernengelände. Dort erhielten Lerngruppen, die jeweils drei bis vier Jahrgänge und bis zu 60 Schüler umfassten, Unterricht, für den lediglich drei Lehrkräfte und zwölf Unterrichtsstunden pro Woche zur Verfügung stünden. Insgesamt waren es zum Untersuchungszeitpunkt etwa 180 schulpflichtige Kinder, die sich also drei Lehrkräfte teilen mussten. Mit einer gleichwertigen Bildung, die sogar in der ersten Klasse mindestens 28 Stunden vorsieht, sei das nicht vergleichbar.
Zudem bemängelt die Studie die Bedingungen in der Unterkunft. Da die Türen zu den Wohnbereichen nicht abgesperrt werden dürfen, damit keine Abschiebung behindert werden kann, bestehe zum Beispiel das »Risiko von Diebstahl und Übergriffen gegen Frauen und Kinder«. Darüber hinaus bleibe die Diskriminierung von Roma durch andere Bewohner vom Personal häufig unbemerkt, weshalb vielfach nicht eingeschritten werden könne. Hinzu komme, dass außerhalb der ärztlichen Sprechstunden die Einschätzung der Gesundheitssituation dem Wachdienst obliegt und dem Bedürfnis der Kinder nach Zwischenmahlzeiten durch eine Beschränkung auf drei Mahlzeiten pro Tag nicht ausreichend Rechnung ­getragen werde. Eines der befragten Kinder bewertete die Bedingungen in der Bamberger Unterkunft aus diesen Gründen als »Katastrophe«.
Die Studienautoren sehen dringenden Handlungsbedarf. »Auch im Rahmen der gegenwärtigen Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge vom Westbalkan«, so die Autoren in ihrem Fazit, »müssen die Kommunen, die Länder und der Bund einen Weg finden, um die Kinderrechte der Flüchtlingskinder zu garantieren.« Dies sei die »Pflicht« der Regierung.
Dass dieser Appell Gehör findet, muss jedoch bezweifelt werden. Kurz nach Veröffentlichung der Ergebnisse wies das bayerische Sozialministerium die Kritik zurück und bezeichnete die Studie gegenüber der Mittelbayerischen Zeitung als »nicht aussagekräftig«. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahlen, so das Ministerium, sei sie als »hoch ­selektiv« einzustufen. Geltendes Recht würde konsequent eingehalten – gerade auch die Kinderrechte. Ähnlich sieht es die Regierung des Bezirks Oberfranken: Sie verweist auf Nachbesserungen etwa bei den Zwischenmahlzeiten, die inzwischen erfolgt seien, argumentiert ansonsten aber ebenfalls wie das Sozialministerium.