»Angst um ihr Leben«

Am Sonntag trafen sich etwa 70 Roma am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin. Am folgenden Tag wollten sie eine Pressekonferenz angesichts ihrer drohenden Abschiebung abhalten. Die Polizei beendete die unangemeldete Versammlung noch in der Nacht. Ein Mitglied der Organisation »Alle bleiben«, die sich für das Bleiberecht für Roma einsetzt, hat mit der Jungle World gesprochen.

Warum haben Sie das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma als Ort der Pressekonferenz ausgesucht?
Eine Sache muss klar sein: Wir wollten das Denkmal nicht besetzen. Wir wollten uns dort am Sonntag treffen, da die Teilnehmer bundesweit anreisen mussten, in Ruhe bleiben und am Montag um elf Uhr eine Pressekonferenz abhalten. Das wurde uns jedoch nicht erlaubt. Das Denkmal ist als Symbol wichtig für uns, es verbindet uns geschichtlich. Die Roma haben 70 Jahre auf seine Entstehung gewartet.
Am 8. April, dem internationalen Roma-Tag, fand am Denkmal eine Gedenkveranstaltung statt, an der auch Bundespräsident Joachim Gauck teilnahm. Wie haben die Roma darauf reagiert?
Die Solidaritätsveranstaltung war für viele Roma von großer Bedeutung, denn prominente Menschen sprachen über sie und den Antiziganismus. Wir hatten vorgeschlagen, die Vorsitzende des Bundesromaverbands solle auch eine Rede halten zum Bleiberecht. Sie durfte aber nicht reden. Das Thema Bleiberecht wurde an dem Tag nicht erwähnt.
Ist Ihre Gruppe akut von der Abschiebung bedroht?
Diese Leute befinden sich seit sechs Monaten in der Illegalität. Sollten sie abgeschoben werden, müssen sie noch einmal das durchmachen, was sie schon kennen. Es gibt Videos davon, wie die Häuser von Roma im Kosovo systematisch niedergebrannt werden. Die Leute haben Angst um ihr Leben.
Im Sommer 2015 war von der deutschen »Willkommenskultur« die Rede. Haben die Roma irgendetwas davon mitbekommen?
Deutschland hat damals eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Aber die 30 000 Roma, die hier sind, gelten als Wirtschaftsflüchtlinge. Deutschland hat gemeinsam mit der Nato das ehemalige Jugoslawien bombardiert. 600 Jahre lang haben Roma vorher im Kosovo gelebt, dann haben wir unsere Häuser und unser Eigentum verloren und wurden vertrieben. Ich spreche nicht von einigen Tausend Roma, sondern von 150 000. Die deutsche Regierung spricht von sicheren Herkunftsländern. Klar, Serbien ist sicher für Serben, das Kosovo ist sicher für Kosovaren. Aber nicht für Roma.
Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma hat die vermeintliche Besetzung des Denkmals kritisiert. Welches Verhältnis hat der Zentralrat zu den Roma vom Balkan?
Wir haben immer an ihn appelliert, unsere Forderungen zu unterstützen. Wir haben aber bislang keine klare Aussage erhalten, ob der Zentralrat und andere Organisationen sich für unser Bleiberecht einsetzen. Der Zentralrat spricht sich eindeutig gegen Antiziganismus aus. Er kritisiert die Balkan-Zentren, also die Abschiebezentren für Roma. Das ist alles gut in theoretischer Hinsicht. Aber praktisch bewirken die Organisationen nichts.
Geht Ihr Protest in Berlin weiter?
Zurzeit suchen wir Übernachtungsmöglichkeiten für die Familien. Es soll in den nächsten Tagen eine Veranstaltung geben mit Leuten von uns und anderen Roma-Organisationen aus Berlin.