Cesar Millan im Gespräch über Menschen und Hunde

»Im Ghetto sieht man keine Pudel«

Sprechstunde beim Hundeversteher: Der 45jährige Cesar Millan wird in den USA wie ein Hollywoodstar gefeiert. Er trainiert verzogene Vierbeiner und deren Besitzer, darunter Prominente wie Gwyneth Paltrow, Scarlett Johansson und Mark Zuckerberg. Der Coach hat eine eigene Fernsehshow und schreibt Ratgeberbücher über Hundeerziehung. Unter Tierschützern sind seine Methoden umstritten. Mit seiner Bühnenshow »Leader of the Pack« tourt Millan jetzt durch Europa.

Vor 25 Jahren kamen Sie als illegaler Einwanderer in die USA und lebten zunächst auf der Straße. Hatten Sie damals einen Hund bei sich?
Das wäre schön gewesen! Ich stamme aus einer armen Familie. Eines Tages bin ich einfach über den Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA geklettert und losgerannt. Ich wollte eine Chance. Ein Visum oder einen Pass hätten mir die Amerikaner nie gegeben, weil ich arm war wie eine Kirchenmaus.
Hatten Sie zu Hause in Mexiko bereits Erfahrungen mit Hunden gemacht?
Aber ja, ich bin auf einem Bauernhof mit Hühnern, Eseln und Hunden groß geworden. Heute habe ich selbst Kinder, die in Amerika zusammen mit einem Dutzend Hunden aufwachsen. Der Unterschied ist, dass meine Kids auf gewienerten Fußböden herumkrabbeln und ich im Dreck aufgewachsen bin. Aber sie kennen sich mit Hunden, Rottweilern, deutschen Schäferhunden, Dobermännern und Pitbull, aus. Mit diesen Rassen habe ich als Trainer angefangen. In den ärmsten Gegenden Amerikas hält man sich einen Hund als Schutz vor Übergriffen. Im Ghetto sieht man keine Cockerspaniel oder Pudel. Aber Chihuahuas, denn sie können sehr laut bellen.
Hunderassen wie der Pittbull haben keinen guten Ruf. Wie denken Sie darüber?
Mein Lieblingshund ist ein Pitbull, er hört auf den Namen Junior. Meine Hunde sind immer dabei, wenn ich auf Reisen gehe. In einigen Ländern sind Pitbulls verboten, aber da Junior ein Service-Hund ist, darf er mit mir in der Kabine fliegen. Wir arbeiten mit Patienten in Krankenhäusern und mit Soldaten, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt sind. Besonders Soldaten mögen Pitbulls.
Warum ist ausgerechnet Junior Ihr Lieblingshund?
Ich habe ja nicht nur den einen Hund, es gibt auch noch Carly, Moose und Mr. President. Mit Hilfe von Junior möchte ich die Vorurteile gegenüber Pitbulls abbauen. Dass diese Rasse generell böse und gefährlich ist, halte ich für einen fatalen Irrtum. Sobald ein Pitbull mit anderen Hunden zusammen ist, zeigt er seinen Helfercharakter. In den siebziger Jahren waren es die Dobermänner, die einen schlechten Ruf hatten. In den Neunzigern waren es die Rottweiler. Verurteilt werden immer nur die kraftvollen Rassen.
Wo haben Sie gelernt, wie man Hunde trainiert?
Ich wollte das eigentlich von den Amerikanern lernen: Ich bin mit Lassie und Rin Tin Tin aufgewachsen. Doch dann habe ich festgestellt, dass die meisten Amerikaner überhaupt nicht wissen, wie man einen Hund ausführt. Sie lassen sich von ihren eigenen Tieren schleifen. Sowas habe ich in Mexiko nie gesehen. Mir wurde klar, dass ich nicht die Hunde, sondern deren Herrchen und Frauchen dressieren musste. Als Einwanderer sucht man immer nach irgendwelchen Möglichkeiten – oder man schafft sich selbst welche. Wenn ein Hund nervös, aggressiv, ängstlich oder aufgeregt ist, wird er nicht hören. Wir kennen das von Pferden. Allerdings gehen wir mit ihnen besser um als mit Hunden, obwohl wir mit letzteren zusammen leben. Deshalb bringe ich meinen Klienten zuerst die Grundkenntnisse bei und erst dann sprechen wir über ihre Hunde.
Was machen die Menschen falsch im Umgang mit Hunden?
Zu mir kommen regelmäßig Hundebesitzer, die aus irgendeinem Grund völlig verzweifelt sind. Bevor ich ihnen sage, dass ich mich ihres Hundes annehme, müssen sie mir beweisen, dass sie selbst auf dem Weg der Besserung sind. Im Haus einer Familie, die sich uneinig ist, herrscht eine negative Dynamik vor. Logisch, dass auch deren Hund sich schlecht benimmt, denn er nimmt diese Stimmung ja auf. Aggressionen sind nicht das Problem, sondern das Symptom. Deshalb versuche ich immer, Menschen von ihren schlechten Gewohnheiten zu befreien. Ansonsten würde ich die Zeit des Hundes verschwenden. In meinen Sendungen sieht man diesen Prozess nicht, denn es ist Fernsehen. Aber in meiner Liveshow zeige ich, wie man sich im Umgang mit Hunden richtig verhält. Dazu hole ich Hunde aus dem Publikum auf die Bühne.
Warum mögen Menschen Hunde?
In Amerika werden Hunde aus zwei Gründen gerettet: entweder, weil das Tier niedlich ist, oder, weil es dem Menschen leid tut. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Hund sich fortan beschützt fühlen kann. Die besten Hundeversteher sind Obdachlose, vor allem, weil sie mehr mit Hunden spazieren gehen als meine Klienten und weil sie weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft denken. Sie leben im Hier und Jetzt. 90 Prozent der Obdachlosen in Los Angeles haben Pitbulls. Aber die Hunde, die Menschen beißen, leben in der Regel in Häusern. Es geht darum, die Bedürfnisse des Hundes zu erkennen: Bewegung, mentale Stimulation, Zuneigung. Viele Herrchen und Frauchen geben ihrem Liebling aber nur Zuneigung, und zwar so lange, bis dieser irgendwann wütend wird. Und diese Wut soll dann mit bestimmten Werkzeugen unterdrückt werden. Als Coach will ich aber Hundeführung lehren und nicht Hundeunterdrückung.
Beißen Hunde, weil sie dazu erzogen werden, auf die Häuser und Wohnungen ihrer Besitzer aufzupassen?
Oder weil sie nie an die frische Luft kommen und deshalb frustriert sind. Also beißen sie andere Frustrierte, zum Beispiel die Hausherrin. Ich rede hier über untersetzte amerikanische Hunde, die kein normales Leben führen und 24 Stunden am Tag hinter Mauern eingesperrt sind. Die geistig und körperlich kein bisschen stimuliert werden, sondern immer nur Zuneigung bekommen. Kein Wunder, dass die irgendwann beißen. Tiere denken nicht, sie sind einfach. Deshalb muss der Mensch sein Verhalten ändern. Er ist zwar intelligent, aber dafür besitzen Tiere einen ausgeprägten Instinkt. Bereits drei Tage vor dem Tsunami in Südostasien waren alle Tiere verschwunden. In Jakarta habe ich mit Menschen gearbeitet, die Angst vor Hunden hatten. Im Islam gelten Hunde als unrein – und deshalb wurden die Menschen von ihnen gebissen. Ich habe ihnen erklärt, dass sie nicht mehr gebissen würden, wenn sie anders auf Hunde reagierten. Am Ende hatten sie sich tatsächlich in das Tier eingefühlt und waren glücklich.
Sind Hunde für Sie die überlegeneren Wesen?
Kein Tier braucht eigentlich den Menschen, um zu überleben. Ich glaube, alle Tiere sind gleich programmiert, um ihr Lebensziel zu erreichen, das Ausgeglichenheit und Harmonie ist. Sie streben nicht nach Geld und Ruhm, wie der Mensch, der sich deshalb für überlegen hält. Ich sehe in einem Hund keinen Schüler, sondern einen Lehrer. Wenn Sie das einfache Leben anstreben, richten Sie sich einfach nach Ihrem Hund. Dem ist es egal, ob man reich, schön oder gesund ist. Er möchte einfach nur mit jemandem zusammen leben, der ihn liebt und den er bedingungslos zurücklieben kann. Eine sehr unverfälschte Beziehung also. Jemand, der sagt, sein Hund sei unberechenbar, versteht ihn einfach nicht. Wenn ein Hund ­einen Menschen nicht mag, denn liegt das an der Energie, die dieser verströmt. Sie ist unsere Identität in der tierischen Welt.
Wie bauen Sie eine Beziehung zu einem schwierigen Hund auf?
In dem Moment, wo mich jemand zu sich nach Hause einlädt, versuche ich erst einmal herauszufinden, in welcher Verfassung jedes einzelne Familienmitglied und der Hund sind. Ist hier jemand nervös, ängstlich, aufgeregt, unsicher? Dann versuche ich diese Person zu stabi­lisieren, indem ich ihr die Energie, die sie verströmt, bewusst mache und diese umzupolen versuche. Eigentlich müsste ich nur alle Menschen aus dem Raum schicken, damit sich der Hund ändert. Wenn Ihr Hund partout nicht auf den Befehl »Sitz!« hören will, dann sind Sie einfach zu gereizt. Hunde reagieren nicht auf Lautstärke, aber sie spüren menschliche Energie. So behandeln Behinderte ihre Hunde in der Regel besser als Nichtbehinderte.
Sie kennen die Hunde vieler Hollywoodstars. Sind die Tiere der Prominenz eher modisches Beiwerk?
Ich denke, auch Filmstars und Präsidenten mögen Hunde wirklich. Wer sich einen anschafft, will zeigen, dass er zu Liebe fähig ist. Allerdings hören Hunde nicht auf labile Anführer, das tun nur Menschen. Sie werden ja dafür bezahlt. Einem Hund ist das egal. Meine Erfahrung ist, dass die meisten Menschen keine Hunde verstehen. Deswegen können sie auch keine Beziehung zu ihrem »Liebling« aufbauen. Der Hund spürt das und übernimmt sofort die Führung.
Wie viel erlauben Sie Ihren eigenen Hunden?
Ich teile mein Leben mit ihnen. Es besteht aber ein Unterschied zwischen Eindringen und Einladen. Es ist Ihre Aufgabe, dem Hund zu vermitteln, dass er ganz entspannt auf sein Fressen warten soll, während Sie in seiner Gegenwart speisen. Sie teilen sich mit ihm zwar die Nahrung, aber Sie zeigen ihm auch, dass er sie sich verdienen muss. Er braucht Regeln, er kann ja nicht rational denken, aber erlauben Sie ihm immer, Sie zu erschnüffeln.
Was kostet bei Ihnen eine Trainingsstunde?
Ich berechne kein Honorar, sondern ich bitte um eine Spende für meine Stiftung. Ich arbeite mit Schulen zusammen, die Schüler bekommen meinen Service gratis. Je reicher meine Klienten sind, desto mehr geben sie.
Mit welchem Prominenten hatten Sie es besonders schwer?
Oprah Winfrey wurde jahrelang von ihrem Cockerspaniel Sophie gebissen. Kein Hundetrainer konnte ihr helfen, weil niemand ihr ­eigenes Verhalten analysiert hat, sondern immer nur das des Tieres. Die einflussreichste und stärkste Frau der Welt wurde ängstlich, sobald sie mit ihrem Hund zusammen war. Oprah liebt Hunde, aber es gelang ihr nicht, ihre Sophie mit ihren fünf Golden Retrievern zusammenzubringen. Als ich zu ihr kam, brauchte Sophie 15 Sekunden, um sich zu ändern, und Oprah drei Tage. Ich sagte zu dieser mächtigen Frau, dass sie ihre Angst vor Sophie überwinden müsse, dann würde sich das Tier ändern. Und das ist ihr auch gelungen.
Kritiker werfen Ihnen vor, Sie würden Hunde einschüchtern und Foltermethoden mit Hilfe von Elektrohalsbändern, Kettenwürgern und Stachelhalsbändern anwenden. Was sagen Sie dazu?
Diesen Vorwürfen widerspreche ich vehement. Ich schüchtere keine Hunde ein, ich trainiere zuerst Menschen, bevor ich mich deren Hunden widme. Es gibt ein paar Ausnahmefälle. Manchmal komme ich zu Leuten, die diese Werkzeuge bereits benutzen. In manchen Teilen der Welt sind sie ja legal. Wenn das also der Fall ist, dann zeige ich ihnen wenigstens, wie man es richtig macht. In Mexiko gab es keine Halsbänder, dann kam ich in eine Welt, in der solche Dinge üblich sind, aber niemand konnte damit um­gehen. Kritiker suchen sich immer einen bestimmten Aspekt meiner Arbeit heraus und tun so, als würde ich nichts anderes machen. Sie recherchieren nicht, wie alles angefangen hat, und auch das Ende ist ihnen gleich. Sie fragen mich nicht persönlich, sie mutmaßen lieber. Das ist irreführend. Mein Ziel ist, Menschen auszubilden, darunter auch welche, die gar keine Hunde haben. Ihr Nachbar zum Beispiel kann bewirken, dass Ihr eigener Hund sich schlecht benimmt.
Manche behaupten, Sie würden Hundebesitzer dahingehend trainieren, dass sie uneingeschränkte Macht über ihr Tier gewinnen.
Das ist ein Missverständnis. Beim Thema Sport hat niemand ein Problem mit dem Wort Dominanz. Aber wenn ich dasselbe Wort im Zusammenhang mit einem Haushund benutze, wird es negativ interpretiert. Ich möchte vor allem Menschen dabei helfen, ihre Ängste und Unsicherheiten zu erkennen und diese in Selbstvertrauen umzuwandeln. Wenn sie ohne Selbstzweifel sind, kommen sie auch besser mit ihrem Hund klar. Das hat nichts mit Einschüchterung zu tun. Es geht darum, Menschen und Hunden ein glückliches und ausgeglichenes Miteinander zu ermöglichen. Kommunikation ist die Mutter der Bindung.