Berlin Beatet Bestes. Folge 238.

»Der Hippie hat kein Dusch«

Berlin Beatet Bestes. Folge 238. Großes Tanzorchester: Der verrückte Boogie.

Als die Osterferien näher rücken, wird meine Freundin unruhig. Die Aussicht, mir beim Platten sortieren zuzusehen, ist nicht besonders verlockend. Seit einigen Jahren besuchen wir in den Ferien Swing-Workshops, aber das ist eigentlich immer stressig. Diesmal wollen wir nur rumgammeln, so wie früher. Gammeln auf Gomera! Da waren wir vor zehn Jahren schon mal und das hat überhaupt nicht gestresst. Im Internet gibt es vor den Ferien zwar günstige Unterkünfte, aber nur noch sehr teure Flüge. Im Reisebüro erweist sich vor allem ein Anbieter als unschlagbar billig: Neckermann. Pauschalreisen kosten dort nur wenig mehr als der einfache Flug nach Teneriffa. Wir entscheiden uns schnell.
Dabei haben noch nicht mal unsere Eltern jemals Pauschalreisen gemacht. Mein Vater ist 20 Jahre zur See gefahren und hätte sich nie mit irgendwelchen deutschen Touristen zusammen in einen Bus gesetzt. Wenn wir im Ausland andere Deutsche getroffen haben, hat er den Finger an die Lippen gelegt und uns ermahnt zu schweigen. Meine Freundin hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Jetzt sind wir unterwegs ins Hippie-Dorf Valle Gran Rey, Mekka der Individualreisenden. Mit Neckermann.
Es ist lächerlich, wie beschwerlich die Anreise dennoch ist, sie dauert von Berlin aus mit Flug nach Teneriffa, Überfahrt nach Gomera und Busfahrt auf die andere Seite der Insel fast einen ganzen Tag. Am nächsten Morgen um zehn Uhr gibt es bereits den ersten Ferieninformationstreff. Im Tagungsraum des Hotels setzen wir uns neben ein lesbisches Pärchen und einen schwarzgekleideten Typen mit Iro. Unser belgischer Reiseleiter Vandamme erklärt uns radebrechend die Insel. Das Busnetz sei schlecht, Vandamme empfielt einen Mietwagen. Allerdings warnt er auch vor trampenden Hippies. Hast du einen erstmal im Auto, gibt es kein Entkommen, denn: »Der Hippie hat kein Dusch.« Dann preist er eine Reihe von Inselwanderungen an. Ins Bananental, ins Palmental und in den Märchenwald, alles inklusive »Lynch«, also Lunch. Außerdem sei der Spar-Markt konkurrenzlos billig.
Nach einer halben Stunde ist die Show vorbei, wir sehen unse­re Mitreisenden nie wieder. Den Rest des Tages verbringen wir am Pool, mit anderen Deutschen, die nicht nerven und keinen Kontakt suchen. Überhaupt sind hier fast nur deutsche Touristen, die sich bemühen nicht zu nerven. Gomera ist Anti-Malle. Am Nachmittag kaufen wir billig bei Spar ein, essen frischen Salat. Abends laufen wir auf der Strandpromenade entlang. Als die Sonne untergeht, trommeln zwei Hippies für die Touristen. In der Bar hängt eine Handvoll sonnengegerbter Kreuzberger rum. Am Rande wäscht eine junge Frau im Schatten einem alten, vollbärtigen, obdachlosen Deutschen die offenen, entzündeten Beine. Traurig humpelt er davon.
Der Versandhandel von Neckermann ging 2012 pleite. In den Fünfzigern, als das Geschäft noch boomte, produzierte Neckermann sogar eigene Schallplatten wie die Single »Der verrückte Boogie« des anonymen großen Tanzorchesters.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.