Proteste gegen ein Bauprojekt in Spanien

Boulevard of broken dreams

Im Arbeiterviertel Gamonal der nordspanischen Stadt Burgos haben sich die Anwohner erfolgreich gegen ein überteuertes Bauprojekt der konservativen Stadtverwaltung gewehrt.

An normalen Werktagen läuft viel Verkehr über die Nationalstraße im Norden Spaniens von Vitoria ins Zentrum von Burgos durch Gamonal, ein typisches Arbeiterviertel. Städteplanerisch war es lange uninteressant, das änderte sich unter der Stadtverwaltung der konservativen Volkspartei (PP). Bereits 2005 schlug der damalige Bürgermeister Juan Carlos Aparicio (PP) vor, in Gamonal eine riesige Tiefgarage zu bauen, die über Gebühren der Parkenden finanziert werden sollte. Das Projekt scheiterte in der Planungsphase am Widerstand der Nachbarschaft. Im vorigen Jahr verkündete Aparicios Amtsnachfolger Javier Lacalle (PP), dass bis April 2014 die Nationalstraße auf 800 Metern im Zentrum von Gamonal zu einem Boulevard umgebaut werden solle und die kostenlosen Parkplätze am Straßenrand verschwinden sollten. Erneut wurde eine gigantische Tiefgarage geplant, die durch Parkgebühren finanziert werden sollte. 19 800 Euro würde ein Stellplatz für 40 Jahre kosten.

Die Umweltorganisation »Ecologistas en Acción« stellte klar, dass der geplante Boulevard mit Tiefgarage weder die Verkehrsprobleme im Stadtteil lösen noch Infrastruktur zum Fahrradfahren oder Parks schaffen würde. Vielmehr sollten große Bauunternehmen Einnahmen aus städtischen Geldern erzielen. Während aufgrund der Sparmaßnahmen in Gamonal die Hälfte der Straßenlaternen ausgeschaltet wurde, Zebrastreifen verblassen und die Fassade der Bücherei seit Jahren bröckelt, hat die Stadt Burgos viel Geld für Großprojekte ausgegeben: für einen neuen Industriepark, eine neue Kaserne der Guardia Civil und ein privates Krankenhaus. Mit 500 Millionen Euro ist Burgos infolge dieser Aufträge verschuldet. Von den städtischen Bauaufträgen profitieren die beiden großen Bauunternehmensgruppen der Stadt, Méndez-Ordóñez und Arranz Acinas. Deren Besitzer sind eng mit der lokalen Parteiführung des PP verbunden. Die Partei ist in Spanien für ihre Beziehungen zur Bauwirtschaft bekannt, immer wieder werden Fälle von Korruption aufgedeckt. Antonio Miguel Méndez Pozo ist der erste Bauunternehmer Spaniens, der deswegen 1994 zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Bereits nach sieben Monaten konnte er aber unter geringen Auflagen das Gefängnis wieder verlassen. Geholfen hat ihm dabei sicher, dass er mit dem damaligen Spitzenkandidaten des PP und späteren Ministerpräsidenten, José María Aznar, befreundet ist und ihn mit Spenden und positiver Berichterstattung gefördert hatte.
Für den Bau des Boulevards und der Tiefgarage sollten die Baufirmen 15 Millionen Euro erhalten. Im November musste einer der beiden kommunalen Kindergärten in Gamonal geschlossen werden, weil die Stadt für die notwendige Renovierung keine 13 000 Euro bezahlen wollte. Die Proteste gegen die Schließung ignorierte die Stadt genauso wie die Forderung, die örtliche Bücherei für 150 000 Euro zu sanieren. Auch die Proteste gegen den Bau des Boulevards ignorierte sie zunächst. Am 10. Januar sollte der Umbau frühmorgens beginnen, doch Nachbarn hatten ein provisorisches Protestlager mit Zeltplanen eingerichtet. Einige Jugendliche stellten sich den Baumaschinen entgegen. Sofort griffen Polizisten einer Aufstandsbekämpfungseinheit ein und vertrieben sie mit Knüppeln. Während an den Tagen zuvor nur einige hundert Menschen demonstriert hatten, waren es an diesem Abend Tausende, es kam zu Ausschreitungen und Verhaftungen.

Spanische Medien berichteten ausführlich über die nächtlichen Auseinandersetzungen – und stellten verwundert fest, dass sich Nachbarschaft und Anwohnerinitiativen nicht von dem als gewalttätig klassifizierten Widerstand distanzierten. Nach fünf Tagen und Nächten des Protests verkündete der Bürgermeister einen vorläufigen Baustopp und die Bereitschaft zum Dialog. Doch in Gamonal wurde weiter protestiert, 6 000 Menschen forderten einen endgültiger Baustopp und Freiheit für die Verhafteten. Am Protest war auch die örtliche Versammlung der indignados beteiligt. Die landesweit vernetzte Bewegung sorgte dafür, dass in 48 Städten Spaniens Solidaritätsdemonstrationen stattfanden. Der Protest in Gamonal begann, zum Symbol für den Unmut über die PP-Regierung zu werden. Ministerpräsident Mariano Rajoy (PP) befand, in Burgos gehe es nur um ein lokales Verständigungsproblem; die PP-Regionalregierung von Kastilien-Leon pflichtete ihm bei und verurteilte die »Gewalt einiger Protestierer«. Doch der Widerstand in Gamonal entwickelte eine derartige Stärke, dass der Bürgermeister von Burgos kurz darauf den endgültigen Baustopp verkündete.
Innenminister Jorge Fernández Díaz (PP) konnte sich mit seiner Behauptung, in Gamonal hätten radikale Linke aus Madrid den Konflikt eskaliert, nicht durchsetzen. Auch die Polizei von Burgos behauptete, die »gewalttätigen Ausschreitungen« seien von bekannten antisistemas und Anarchisten heimlich geplant und gesteuert worden, insbesondere aus einem »anarchistischen Zentrum« in Gamonal heraus. Die Anwohnerversammlung erklärte hingegen, die Proteste würden von niemandem gesteuert, alle seien gleichberechtigt: »Wenn sie jetzt Anarchisten beschuldigen, sind wir alle Anarchisten. Wenn sie morgen Kommunisten beschuldigen, sind wir alle Kommunisten.« Aufgrund der jahrzehntelangen Selbstorganisation unter Beteiligung radikaler Linker ist es im Gamonal nicht gelungen, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen. Dies hat viel zum Erfolg der Proteste beigetragen.
Am 20. Januar begann der Rückbau der Baustelle. Am Samstag wurde im Viertel für eine Einstellung aller Verfahren, eine Ende der Bauspekulation und für Geld für soziale Einrichtungen demonstriert. Im Anschluss wurde ein leerstehendes Gebäude besetzt und zum sozialen Zentrum erklärt. Am Abend darauf fand eine Filmvorführung statt, gezeigt wurde »Wem gehört die Straße?« über den erfolgreichen Widerstand im Jahr 2005 gegen die damals geplante Tiefgarage.