Die CDU in Sachsen und ihr seltsames Verständnis vom Rechtsstaat

So geht Sächsisch

In Sachsen offenbart die gemeinsam mit der FDP regierende CDU immer wieder ein eigenwilliges Verständnis vom Rechtsstaat.

»Wolfgang Thierse, hilf uns doch – Sachsen gibt es immer noch!« war ein Slogan auf einer Demonstration von Antifaschisten nach der Verurteilung von Tim H. im Januar 2013 in Dresden. Bereits im Februar 2011 hatte der Vizepräsident des Bundestags den Polizeieinsatz bei den Protesten gegen einen Neonaziaufmarsch als »Sächsische Demokratie« bezeichnet. Vor wenigen Wochen war Thierse (SPD) wieder in Dresden, um auf einer Veranstaltung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus seine Solidarität mit Lothar König zu zeigen. Wenige Tage später wurde der Prozess wegen des Vorwurfs des schweren Landfriedensbruchs gegen den Jenaer Jugendpfarrer ausgesetzt; eine Verurteilung Königs wird immer unwahrscheinlicher. Sein Anwalt Johannes Eisenberg sah bei der Arbeit der Sonderermittlungsgruppe 19/2 des Sächsischen Landeskriminalamtes (LKA) »eine Art Fälscherwerkstatt« am Werk. Anscheinend wurden der Verteidigung von den Ermittlern und der Staatsanwaltschaft bewusst Akten und Videoaufzeichnungen vorenthalten.
Die vorläufige Aussetzung des Verfahrens gegen König ist jedoch nur ein Etappensieg. Der Eifer der sächsischen Behörden bei der Strafverfolgung jener, die sich nicht dem autoritären Staatsverständnis anschließen wollen, ist ungebrochen. Nach wie vor werden etwa 25 Antifaschistinnen und Antifaschisten aus Sachsen beschuldigt, eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 StGB gebildet zu haben. Auch König wurde vom LKA bis August 2011 als Teil dieser vermeintlichen kriminellen Vereinigung verfolgt. Gegen weitere 21 Beschuldigte, die sich am Abend der Anti-Nazi-Proteste im Dresdner »Haus der Begegnung« befanden, wurde das Verfahren im Juli 2012 eingestellt, weil sich der Tatverdacht nicht bestätigte. Die Razzia im Haus der Begegnung, die am 19. Februar 2011 stattfand, war damit begründet worden, dass sich darin die zentrale Koordinationsstelle für die Ausschreitungen am Rande der Proteste gegen den Naziaufmarsch in Dresden befunden haben soll.

Die Durchsuchung wurde inzwischen ebenso wie die Funkzellenabfrage vom 19. Februar 2011 zu überwiegenden Teilen für rechtswidrig erklärt. Auch der Klage eines der nach Paragraph 129 Beschuldigten gegen seine erkennungsdienstliche Behandlung wurde im März vom Verwaltungsgericht Dresden stattgegeben. Es ist davon auszugehen, dass weitere Ermittlungsmaßnahmen des LKA für rechtswidrig erklärt werden. Was in anderen Bundesländern mindestens zur Absetzung des Innenministers führen würden, war in Sachsen lediglich Anlass, den Dresdner Polizeipräsidenten zu versetzen.
Der vermeintlichen kriminellen Vereinigung werden fünf Landfriedensbrüche, drei gefährliche Körperverletzungen und eine Sachbeschädigung vorgeworfen. Diese stehen nach Aussage der Anwälte der Beschuldigten jedoch in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang miteinander.

Nach der Verurteilung von Tim H. zu einem Jahr und zehn Monaten Haft steht die Berufungsverhandlung noch aus. Der zuständige Richter sagte in seiner mündlichen Urteilsbegründung, dass die Einwohner von Dresden es leid seien, dass ihr Gedenken von Rechten und Linken ausgenutzt werde. In dem Verfahren gegen Tim H. vor dem Amtsgericht wurde nachgewiesen, dass ein junger Mann, der H. ähnlich sieht, durch ein Megaphon »Kommt nach vorne!« gerufen hatte, bevor Antifaschisten eine Polizeisperre durchbrachen. Der Familienvater war nicht vorbestraft. Obwohl kein Zeuge Tim H. zweifelsfrei identifizieren konnte, fordert die Dresdner Staatsanwaltschaft in ihrer Berufungsbegründung ein höheres Strafmaß von über zwei Jahren Haft ohne Bewährung.
Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann bezeichnete Sachsen im Juli 2011 gegenüber dem Spiegel nicht nur wegen der Verfolgung antifaschistischen Engagements als das »rechtskonservativste und unfreiste Bundesland der Republik«. Eine Reihe von Vorfällen erweckt den Eindruck, dass in Sachsen gegen unbequeme Personen nicht nur auf politischer Ebene vorgegangen wird. Bereits 2000 erhob der damalige Landesdatenschutzbeauftragte, Thomas Giesen, den Vorwurf, dass Sachsens damaliger Justizminister Steffen Heitmann (CDU) sich Berichte der Staatsanwaltschaft zu laufenden Ermittlungsverfahren habe zukommen lassen und diese an Parteifreunde weitergegeben habe. Nach dem Rücktritt des Justizministers wurden die Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Giesen wurde wegen Geheimnisverrats angeklagt, das Verfahren vor dem Dresdner Landgericht endete mit einem Freispruch. Als weiteres Beispiel gilt der Fall des Regierungskritikers Karl Nolle (SPD). Er wurde bekannt durch die Aufdeckung der sogenannten Dienstwagen- und Dienstwohnungsaffäre des damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU), welcher in Folge der Korruptionsvorwürfe 2002 zurücktrat. Die Steuerfahndung soll sich damals bei Nolle mit den Worten, »die Königstreuen« hätten sie geschickt, vorgestellt haben. Kurz vor der Veröffentlichung seines Buches »Sonate für Blockflöten und Schalmeien« 2009, in dem sich Nolle mit der Kollaboration sächsischer CDU-Politiker mit dem SED-Regime beschäftigte, wurde ein Verfahren wegen Subventionsbetruges gegen ihn eingeleitet. In seinem Buch hatte er unter anderem die DDR-Biographie des heutigen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) aufgearbeitet. Nolle sowie sein Verlags- und Druckhaus gerieten aufgrund der Ermittlungen in Verruf. Als das Verfahren später gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt wurde, hatte er die Geschäftsführung seines Unternehmens bereits aufgeben. Sein Verlagshaus stand kurz vor dem Konkurs, weil es Aufträge verloren hatte.
Besondere Brisanz haben auch die Ermittlungen um den sogenannten »Sachsensumpf«. Justiz- und Polizeibeamte aus Sachsen sollen in den neunziger Jahren enge Verbindungen zu zweifelhaften Immobiliengeschäften und ins Rotlichtmilieu gehabt haben. Zwei Frauen, die noch als Minderjährige im Leipziger Bordell »Jasmin« zur Prostitution gezwungen worden waren, identifizierten zwei hohe Justizbeamte als ehemalige Freier. Der Verfassungsschutz legte mindestens 15 000 Seiten Geheimdossiers über die Geschehnisse an. Statt den Vorwürfen gegen die Beamten in Strafverfahren nachzugehen, wurden zwei Verfassungsschutzmitarbeiter, Informanten und die ehemaligen Zwangsprostituierten mit Anzeigen und Verfahren überzogen. Zwei Journalisten, die umfangreich über den »Sachsensumpf« berichtet hatten, wurden wegen Verleumdung und übler Nachrede angezeigt. Der Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi (Grüne) kündigte vor einigen Wochen an, dass eine politische Einflussnahme auf die zuständige Staatsanwaltschaft parlamentarisch zu überprüfen sei.

Das Staatsverständnis der sächsischen Regierungspartei CDU wurde 2009 auch in einem Weihnachtsbrief des Ministerpräsidenten Tillich an die Bediensteten des Landes deutlich. So schrieb er an die Verwaltungsbeamten und Richter: »Wir haben die Wahlen auch deshalb gewonnen, weil Sie in der Verwaltung unsere politischen Ideen umsetzen«. Und fuhr fort: »Ich danke Ihnen ganz persönlich für Ihren Anteil am erfolgreichen Wahljahr 2009.« Staat und Partei scheinen in den Vorstellungen der CDU-Funktionäre eine Einheit zu bilden. Insofern ist es nicht überraschend, dass im Rahmen einer neuen, 32 Millionen Euro teuren Imagekampagne für Sachsen Plakatentwürfe mit Schriftzügen wie »Kraft ohne Hannelore. So geht Sächsisch« oder »Baden ohne Württemberg« präsentiert wurden. Finanziert wird die Kampagne, die bisher verdächtig nach Wahlkampf aussieht, aus Landesmitteln.