Die britischen Populisten

Insel bleiben

Bei den Kommunalwahlen in Großbritannien konnte die europafeindliche, rechts­populistische United Kingdom Independence Party große Erfolge verbuchen.

Die United Kingdom Independence Party (UKIP) hat bei den englischen Kommunalwahlen vor einem Monat einen Durchbruch erzielt, gewann über 140 Mandate und kam auf einen durchschnittlichen Stimmenanteil von 23 Prozent. In drei Landkreisen stellt die UKIP nun die Opposition, fast überall ist sie mindestens drittstärkste Fraktion. Der Zugewinn an lokalen Mandaten folgte einer Reihe von sehr guten Ergebnissen bei Nachwahlen zum britischen Parlament in den vergangenen zwei Jahren. Und auch in Umfragen für das gesamt Königreich liegt die UKIP derzeit bei um die 20 Prozent.
Die Partei wurde bereits 1993 von europaskeptischen Konservativen gegründet und hatte ihre ersten politischen Erfolge bei den Europawahlen. Ihr Erfolg bei den lokalen Wahlen verdankt sich zum einen dem gegenwärtigen Vorsitzenden Nigel Farage, der die UKIP seit 1999 in Straßburg als Europaabgeordneter vertritt. Farage gelang es, der zuvor durch innere Konflikte und politisches Chaos geprägten Partei eine gewisse Stabilität zu verleihen. Zum anderen spielt die Unzufriedenheit in der britischen, in erster Line englischen Bevölkerung mit der Regierung David Camerons eine wichtige Rolle.

Die UKIP steht zuvorderst für die in Großbritannien verbreitete Ablehnung der EU. Von Anfang an vertrat sie aber auch andere Positionen der Rechtspopulisten, wie die Ablehnung von Immigration und Multikulturalität sowie von sozialen Wohlfahrtsprogrammen aller Art. Wirtschafts- und steuerpolitisch ist die UKIP so etwas wie die britische Version der »Tea Party«-Bewegung der USA: Steuern sollen radikal gekürzt, Staatsausgaben reduziert werden. Des Weiteren ist die UKIP gegen die Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften mit der Ehe, was ihr derzeit besonders viel Unterstützung von Konservativen bringt. All dies soll – glaubt man den Aussagen der Unterstützerinnen und Unterstützer der UKIP – dem Erhalt der britischen Kultur dienen, die sie als bedroht ansehen. Sollen sie diese Kultur Journalisten beschreiben, antworten sie meist wahlweise mit Hinweisen auf Winston Churchill, verlorene Industriebetriebe oder Überfremdung durch andere Kulturen. Abgelehnt wird, was vermeintlich aus den Metropolen kommt: Multikulturalismus, Homosexualität, Europäisierung und Globalisierung der Konsumkultur. Gleichzeitig schwingt auch ein kleinbürgerlicher Groll mit, der besonders die Herkunft der gegenwärtigen Spitze der Konservativen Partei aus der sogenannten Elite kritisiert und den »einfachen Mann« verteidigt.
Dazu passen die Vorwürfe der Misogynie gegen die Partei. Die ehemalige UKIP-Europaabgeordneten Nikki Sinclaire und Marta Andreasen berichteten beide von einer frauenfeindlichen Stimmung in der Fraktion. Sinclaire gewann eine Klage wegen Diskriminierung, nachdem sie aus der Fraktion geworfen worden war. Andreasen wechselte zu den Konservativen. Seitdem ist die Fraktion der UKIP im Europa-Parlament ein reiner Männerclub.
Immer wieder sah sich die UKIP dem Vorwurf ausgesetzt – oft durch eigene Mitglieder –, dass die Partei ein Sammelbecken für Rechtsextreme sei. Doch in der Manier anderer Rechtspopulisten in Europa hat sie in den vergangenen Jahren eine scharfe Abgrenzung von diesen propagiert und erlaubt es zum Beispiel nicht, dass ehemalige Mitglieder der British National Party (BNP) oder der National Front (NF) Mitglied werden. Im Zuge der Kommunalwahl ist deutlich geworden, dass es der UKIP nicht so leicht fällt, dies auch umzusetzen. Insgesamt sieben Kandidaten mussten zurückgezogen werden, nachdem Presseberichte ihre Verbindungen zu rechtsradikalen Organisationen öffentlich gemacht hatten. Im Übrigen steht außer Frage, dass die UKIP im rechtsradikalen Lager Stimmen gewinnt. Die BNP, die in den vergangenen Jahren lokal einige Wahlerfolge verbuchen konnte, verlor bei der diesjährigen Kommunalwahl sämtliche Sitze.
Während Rechtsextreme in der UKIP eine neue Heimat finden mögen, ist die Unterstützung für die Partei doch gleichwohl breiter, wenn auch nur in bestimmten Gegenden Großbritanniens. Die Partei hat besonders viele Anhänger im Osten und Süden Englands, vor allem in Kleinstädten und auf dem Land. Im Norden Englands ist sie generell schwächer, in Wales und Schottland spielt sie keine Rolle.

Derzeit scheint es zwar ziemlich sicher, dass die UKIP bei den nächsten Europawahlen 2014 in Großbritannien die stärkste Partei wird, aber über die Erfolgschancen bei den Unterhauswahlen 2015 sagt das nicht viel aus. Selbst wenn die UKIP über 20 Prozent Wählerstimmen auf sich vereinen kann, würde sie aufgrund des britischen Wahlrechts wohl auf kaum mehr als ein Dutzend Sitze hoffen können.
Doch bei derartigen Wahlen, in denen je ein Abgeordneter pro Wahlkreis per Mehrheitswahlrecht gewählt wird, zeigt sich, welche Relevanz die UKIP politisch bereits jetzt hat. So wurde zum Beispiel im Februar dieses Jahres der Wahlkreis Eastleigh des ehemaligen liberaldemokratischen Energieministers Chris Huhne frei. Dieser musste zurücktreten, nachdem er des Meineids für schuldig befunden worden war. Durch diese Tatsache und da die Liberaldemokraten in Umfragen seit langem schlecht abschneiden, schien der Sitz den Konservativen sicher, die bei vorherigen Wahlen an zweiter Stelle standen. Doch obwohl der Kandidat der Liberaldemokraten, Mike Thornton, 14 Prozentpunkte im Vergleich zu Huhnes Ergebnis verlor, konnte er den Sitz gewinnen. Die Konservativen hatten nämlich so viel verloren, dass sie erst an dritter Stelle hinter der UKIP landeten, für die einstige Wählerinnen und Wähler der Konservativen in Massen gestimmt hatten.
Für konservative Strategen ist die Stärke der UKIP daher ein echtes Problem, denn sie könnte dafür sorgen, dass die Konservativen viele Sitze verlieren, nicht nur an die UKIP, sondern auch an Labour oder Liberaldemokraten, die von der Spaltung des konservativen Lagers profitieren. Zwar sind es bis zu den Wahlen zum nationalen Parlament noch zwei Jahre, doch die konservativen Abgeordneten zeigen immer deutlicher, wie die Erfolge der UKIP ihr Abstimmungsverhalten beeinflussen. So wurde ein Gesetz zur Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften von fast der Hälfte der konservativen Abgeordneten abgelehnt, in einer Abstimmung ohne Fraktionszwang, doch gegen die Vorlage der eigenen Regierung.
In der Europa-Politik hat sich Cameron dagegen durch die Ankündigung eines Referendums über den Verbleib in der EU für 2017 geschickt etwas Spielraum verschafft. Zwar stimmten auch hier über 100 Konservative zunächst gegen die Regierung, weil diese kein Gesetz zum EU-Referendum in die aktuelle Regierungserklärung eingebracht hatte. Doch Cameron konterte mit dem Verweis auf die Koalition mit den proeuropäischen Liberaldemokraten, er unterstütze ein solches Gesetz, könne es aber als Premierminister nicht einbringen. Der konservative Abgeordnete James Wharton brachte daraufhin eine »Private Member Bill« für ein Referendum ein, eine Gesetzesinitiative, die von einem einzelnen Abgeordneten ausgeht. Cameron erklärte es zum Fraktionszwang, das Gesetz zu unterstützen, und konnte damit zunächst den Druck der Europa-Skeptiker etwas reduzieren. Nun liegt es an den Liberaldemokraten und vor allem an Labour, wie es weitergeht. Beide Parteien wollen das Referendum nicht. Von den Konservativen und der UKIP werden sie bereits dafür gescholten, den Britinnen und Briten keine Wahl lassen zu wollen. Ob dieses Manöver ausreicht, um bei den Wahlen 2015 die Spaltung des konservativen Lagers zu verhindern, ist allerdings zu bezweifeln.